Название | Politische Rhetorik der Gewalt |
---|---|
Автор произведения | Dr. Detlef Grieswelle |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844281552 |
Der Gewaltbegriff sollte in einer Betrachtung rhetorischer Auseinandersetzung nicht so extensiv gefasst werden, dass hierunter im Streit mit Kontrahenten verbreitete, ständig benutzte Strategien, um sich gegenüber Antipoden durchzusetzen und bei einem Publikum auf Zustimmung zu stoßen, als verbale Gewalt interpretiert werden. Dies geschieht z. B. in der Untersuchung von Martin Luginbühl, „Gewalt im Gespräch. Verbale Gewalt in politischen Fernsehdiskussionen am Beispiel der ‚Arena‘ “, wo Praktiken wie die Unterstellung von Inkompetenz und Unaufrichtigkeit, die Zuschreibung von negativen Wesens- und Verhaltenszügen, die Taktik der Unterbrechung von Gesprächspartnern, um zu widersprechen, das An-sich-Reißen der Sprecherrolle und die Einflussnahme auf thematische Schwerpunktsetzung unter verbale Gewalt subsumiert werden. So wird ohne große Differenzierung jede Streitrhetorik, die nicht vor allem auf Argumentation und gute Begründung abstellt, einem radikalen Verdikt des politisch Unangemessenen ausgesetzt. Um von Gewaltrhetorik zu sprechen, bedarf es der Herausarbeitung eines engeren Gewaltbegriffs, also eines spezifischen Typus radikaler Violenzrhetorik.
Die Kritik sprachlicher Handlungen in Demokratien kann sich im Kontext der Problematik gewaltbezogener Rhetorik nur auf moralische Bewertungen besonders verwerflichen Sprachgebrauchs beziehen wie: Sprache als Mittel der Freund-Feind-Erklärung, Verteufelung des Gegners, Dogmatisierung politischer Inhalte, aggressive Unterdrückung anderen Denkens, Beanspruchung eines Interpretationsmonopols, oft in Gestalt von Wortverboten und politischer Sprachverfolgung, der eschatologischen Aufladung von Begriffen und Appelle an Heils- und Erlösungssehnsüchte. Den Extremfall solcher Rhetorik stellt der absolute Sprach- und Herrschaftsanspruch dar in Form der Systemüberwindung, der Zerstörung rechtsstaatlicher und parlamentarischer Demokratie. Aber auch das Stellen des demokratischen Gegners außerhalb der Demokratie, z. B. durch assoziative Zuordnung zu Faschismus oder Kommunismus, gehört in diesen Bereich extremer Grenzüberschreitung. Solche Vorgehensweisen, den politischen Gegner in die Nähe des Faschismus bzw. des Kommunismus/DDR-Sozialismus zu rücken, waren ja in den ausgehenden 60er- und in den 70er Jahren sehr verbreitet in der Bundesrepublik Deutschland. Solche Verzerrungen der Position des Gegners im sprachpolitischen Stellungskrieg kann der Wähler in demokratischen Ordnungen mit der Vielfalt der Medien zwar erkennen, es existiert also nicht quasi die Unentrinnbarkeit eines sprachlichen Gefängnisses, Sprache verfügt nicht einfach über das Denken, aber die meinungsfordernde Macht der ideologischen Sprache ist nicht als zu vernachlässigend zu qualifizieren, insbesondere wenn die politische Wirklichkeit gute Ansatzpunkte und eine reale Basis für solche Übergriffe bietet.
Reden oder Gewalt: Das ist kein diametraler Gegensatz; Sprechen kann einerseits der Vorbereitung von Gewalt dienen und aggressives Sprachhandeln zu physischer Gewalt führen, andererseits vermag Sprechen auch ohne solchen angedrohten bzw. realisierten Übergang verbaler zu physischer Aggressivität gewaltsam zu sein. Wer Frieden will als Hauptziel in freiheitlich-demokratischer Ordnung, muss auch friedliches Kommunikations-verhalten wollen. Politik ist hier weitgehend ein kommunikatives Projekt und damit an Sprache und ihre gewaltfreie Verwendung gebunden, um Streitfragen zu klären, sich zu verständigen, Kompromisse und Lösungen zu finden, Wähler zu überzeugen.
Rhetorik gilt als eine Kunst, einen Konsens in Fragen herbeizuführen, die nicht mit zwingender Beweisführung entschieden werden können; das Merkmal der „Wahrscheinlichkeit“ kennzeichnet einen Geltungsanspruch von Aussagen, deren Gültigkeit allein durch andere verbürgt ist, d. h. durch die Intersubjektivität ihrer konsensuellen Akzeptabilität. Es geht also nicht um apodiktisches Schließen aus wahren und ersten Sätzen, sondern – wie in der Dialektik – aus wahrscheinlichen Prämissen, wobei die Rhetorik nicht nur auf eine rationale Zustimmung zielt, sondern auch auf eine emotionale, um den Hörer zu gewinnen. Die Redesituation ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Redner vermittels eines breiten Repertoires von überzeugungskräftigen Argumenten die Zustimmungsbereitschaft seines Publikums zu erreichen sucht. Dabei gibt es in der persuasiven Rede verschiedene Grade vernünftigen Redens, die vom stichhaltigen, plausiblen Begründen und ehrlichen und vorsichtigen Überzeugen bis zu Überredung als Täuschung und fanatischer und intoleranter Propaganda reichen36.
Im Rahmen der Reflexion über politischen Einfluss und politische Macht in unserer Demokratie haben insbesondere Medienwissenschaften die große und immer noch wachsende Bedeutung der Massenmedien, vor allem des Fernsehens, betont. Thomas Meyer37 z. B. konstatiert die Entwicklung der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie, europäische Demokratien würden heute ähnlich wie in Nordamerika nach dem Regelsystem der Mediendemokratie funktionieren, nicht unterschätzt werden dürfe die Macht der Medien auf die Prägung der politischen Kultur; die Betrachtung der politischen Wirklichkeit durch Politik, Medienvertreter und Bevölkerung erfolge vor allem durch Massenmedien und ihre politischen Perspektiven. Meyer nennt u. a. die Dominanz des Visuellen und die Ästhetisierung der Wirklichkeit durch eine Kultur der Bildlichkeit, die Selektions- und Präsentationsregeln der Medien in der Politikdarstellung, die Konzentration auf spektakuläre Ereignisse, die Theatralisierung als Inszenierung visueller Eindrücke (Body-Politik, Eventpolitik, Imagepolitik, symbolische Scheinhandlungen), die Mediokrität und den Infantilismus, die Oberflächlichkeit der Aussagen und das Fehlen eines befriedigenden Maßes an Informativität und Argumentativität.
Dabei wird durchaus bezüglich der Medienmacht auch von Zwängen gesprochen, so vom Inszenierungsdruck auf die Politik und vom Meinungsdruck auf die politische Öffentlichkeit: „Ihre Zwänge und Möglichkeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Masseninklusion und Entpolitisierung des Politischen auf der einen Seite und neuen Möglichkeiten attraktiver Präsentation von Politik und individueller Teilhabe an politischer Öffentlichkeit auf der anderen“38. Der Zwang zeigt sich insbesondere darin, „dass auf den Bühnen und für die Bühnen der Massenmedien zunehmend nur noch das in Betracht kommt, was sich mit dem politischen und kulturellen Geschmack der nach unten offenen breitestmöglichen Schnittmenge der Gesellschaft verträgt, der wiederum durch seine triumphierende mediale Spiegelung bestätigt, bestärkt und durch die nötige Erhöhung der Dosis enthemmt wird“39. Meyer spricht vom Druck der Mediokrität im Sinne eines Drucks der Durchschnittsmeinungen und des durchschnittlichen Geschmacks. Er meint allerdings, dass die medialen Selektions- und Präsentationsregeln keinen determinierten Zusammenhang herstellten, so, dass sie die Aufnahme anderer Logiken und Gesichtspunkte prinzipiell ausschlössen. Die von Meyer angebotenen Möglichkeiten, den Zwängen der Medien zu entgehen, sind aber doch äußerst utopisch, mit wenig Chancen auf Umsetzung: intellektuell-aufklärerische Bürgerforen der Zivilgesellschaft (im Anschluss an Habermas); Veränderung des Mediensystems unter dem Zielwert der Angemessenheit im Hinblick auf Rhetorik und Theatralität; Stärkung der Verhandlung in wichtigen Institutionen wie Parteien, Regierungen, Ministerien etc. mit Schwerpunkt des Diskurses, der Argumentation, der Verständigung. Wie sollen mit solchen Ansätzen die vor allem auch ökonomisch bedingten Tendenzen wie Apodiktik, Dualismus der Aussagen, Freund-Feind-Verhältnisse, Konfliktdominanz, aggressive Moralisierung, Unterhaltung und Spektakel, Skandalisierung und Katastrophierung, Tabuisierung usf. in der medialen Welt begrenzt werden?
Grundsätzlich ist Folgendes zu bemerken: Der Maßstab für die Bewertung der Deformierung der Politik – jedenfalls in Gestalt politischer Werbung – ist augenscheinlich viel zu streng: diskursive Erfahrung der sozialen