Herrengedeck und Herzenswärme. Neue Osnabrücker Zeitung

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Название Herrengedeck und Herzenswärme
Автор произведения Neue Osnabrücker Zeitung
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741804533



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ein Übel, wie der Schriftsteller M. R. Stern 1899 schrieb: „Ein nüchternes, klassenbewußtes Proletariat: Das ist es, was die Gegner fürchten.“

      Rolf Spilker, der heute das Museum Industriekultur leitet, schreibt in der Osnabrücker Chronik, dass die Gegner des Schnapses erfolgreich waren. Im Osnabrücker Stahlwerk sei der Konsum von Branntwein einer Verabreichung von Bier gewichen. Spilker führt weiter aus, dass die am Westerberg ansässige Osnabrücker Aktienbrauerei jahrzehntelang das Städtische Krankenhaus mit Bier versorgte: Es wurde als „Stärkungsmittel“ betrachtet.

      Carsten Niemeyer sagt, im 19. Jahrhundert habe es 17 Brauereien in Osnabrück gegeben. 1860 haben sich dann zwölf Brauer zusammengetan und die Osnabrücker Aktienbrauerei (OAB) gegründet. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts sei sie Monopolistin in Osnabrück gewesen.

      Die Brauereien fanden im 19. Jahrhundert zahlreiche Abnehmer. Im Zuge der Industrialisierung sei es zu einem rasanten Wachstum der Kneipen in Osnabrück gekommen, so Niemeyer. Insbesondere in Schinkel in der Nähe von Klöckner oder OKW seien sie wie Pilze aus dem Boden geschossen. „Solche Arbeiterkneipen haben sich sehr lange gehalten“, sagt Niemeyer. Mit der Einführung des Girokontos habe jedoch das Kneipensterben begonnen, sagt er. „Dann konnten die Männer nicht mehr mit ihren Lohntüten zur Theke gehen.“

      Einer, der diese „goldenen Zeiten“ noch miterlebt hat, ist Detlef Jürgens. „Zu Lohntüten-Zeiten war die Kneipe nachmittags immer voll.“ Sein Vater Paul betrieb von 1968 bis 1974 an der Buerschen Straße die „Bürgerklause“. „Stahlwerk, VfL – da war immer was los“, erinnert sich der 49-jährige Großhandelskaufmann. Einen Zug durch die Gemeinde habe damals kaum jemand überstehen können. „Zu viele Kneipen“, sagt er und lacht laut auf. Links und rechts seien in unmittelbarer Nähe der „Bürgerklause“ zwei weitere Kneipen gewesen, sagt er.

      Seine Eltern seien von morgens bis abends in der Kneipe beschäftigt gewesen, erzählt Jürgens. Auch er hat vom Durst der Stahlwerker profitiert. Sie kamen zu dem Zaun auf der anderen Seite der Buerschen Straße. „Die Malocher haben gepfiffen, dann haben wir zwei oder drei Kisten Bier rübergeschleppt und ihnen die Flaschen durch den Zaun gereicht“, erzählt Jürgens und ergänzt: „Da musste man aufpassen, dass es nicht zu laut geklackert hat.“

      Die Stahlwerker fürchteten wohl nicht, wegen des Biertrinkens während der Arbeitszeit gerüffelt zu werden, sondern die Geschäftstüchtigkeit der Vorarbeiter. Carsten Niemeyer erzählt, die Vorarbeiter hatten früher das Recht , im Betrieb Bier zu verkaufen und damit ihren Lohn aufzubessern. Das 1968 von dem ehemaligen Bürgermeister und Bau-Unternehmer Carl Möller und der Wicküler Brauerei errichtete Gebäude, das früher die „Bürgerklause“ beherbergte, nutzt heute ein bosnischer Verein.

      Detlef Jürgens ist froh, dass er die elterliche Tradition nicht fortgeführt hat. Nach dem Tod seines Vaters 1974 führte seine Mutter den Betrieb ein Jahr lang weiter. Dann war Schluss.

      1. Osnabrücker Kneipen – so vielfältig wie die Stadtteile

      27. Dezember 2011

      Parkhaus Rink: Verliebt, verlobt, verheiratet

      Osnabrück. Wenn die Tür im Parkhaus Rink geöffnet wird und ein Neuling die Kneipe betritt, setzen die Zocker an der Theke kurz mit dem Knobeln aus. Sie schauen wie die anderen Gäste, wen die frische Luft von draußen in die rauchgeschwängerte Luft geweht hat. Einen kurzen Moment lang herrscht Stille, nur die Musik aus dem Radio ist zu hören. Dann klackern die Würfel wieder auf dem Brett, und die Gespräche werden wieder aufgenommen. Gastwirt Abdullah Sakarya kommt mit einem freundlichen Blick hinter dem Zapfhahn hervor und streckt die Hand aus.

      Viel Durst in der Wüste: Bei Gastwirt „Abu“ wird gelebt und gefeiert. (Elvira Parton)

      Der 53-jährige Abu, wie Sakarya von allen hier genannt wird, ist ein Mensch, mit dem man schnell ins Gespräch kommt. Er strahlt die typisch türkische Gastfreundschaft aus, ist man geneigt zu denken. Doch die Scheu vor Klischees hemmt den Gedankenfluss. Eins wird aber schnell klar: Klischees gehören in einer Eckkneipe wie dem Parkhaus Rink dazu wie der Korn zum Bier. Sie sind jedoch kein Abklatsch oder eine billige Nachahmung, wie die Bedeutung des Wortes lautet. Sie werden mit Leben gefüllt und sind echt und authentisch.

      Seit 1978 lebt Abdullah Sakarya in Osnabrück, seit vielen Jahren ist er Gastronom. Er erzählt, dass er mal in einem Reisebüro gearbeitet hat. Aber das war nichts für ihn. „Kein Spaß“, sagt er knapp und lächelt. Also hat er Imbisse betrieben und ein paar Gaststätten, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. „Ich war von klein auf immer unter Leuten.“

      Seit vier Jahren steht Sakarya hinter der Theke des Parkhauses Rink. Früher gab es hier an der Parkstraße ein richtiges Kneipen-Bermuda-Dreieck. Ein paar Meter weiter hoch gab es den „Prinzenhof“, direkt gegenüber gingen die durstigen Wüstenbewohner in „Onkel Ottos Pilsstube“. Achim Riering kennt diese Kneipen noch. Der Kettenraucher, der immer einen Spruch auf den Lippen hat, sitzt mit zwei Damen an einem Tisch, seiner Frau Jutta (49) und der 56-jährigen Ingrid. Sie alle haben sich bei „Onkel Otto“ kennengelernt. „Wir harmonieren seit 1997“, sagt Ingrid, und alle lachen.

      Nachdem man kurz gemustert wurde und ein paar Takte miteinander geredet hat, ist man beim Du. Jutta erzählt, dass sie Achim erst nicht leiden konnte, weil der sie mit einem blöden Spruch angebaggert hat. „Du siehst aber schön braun aus“, soll er gesagt haben. Aber Jutta ließ sich schließlich doch umgarnen. Und nun ist sie mit Achim verheiratet. Die Frau hat das Herz am rechten Fleck. Sie kann über sich selbst und über Achims Sprüche herzlich lachen.

      Das Trio trifft sich mindestens einmal in der Woche bei Abu. Eigentlich könnten sie auch jeden Tag ins Parkhaus gehen, denn immer ist jemand dort, „den ich gut kenne und mag“, sagt Ingrid. Jutta und Achim stimmen ihr zu. Im Laufe der Jahre haben sich Freundschaften gebildet, auch wenn vieles an der Oberfläche bleibt, wie Achim einschränkt. Dennoch bleibt ihre Freundschaft nicht auf die Kneipe beschränkt. Nächstes Jahr wollen alle zusammen nach Istanbul reisen. Dann schlüpft Abu aus seiner Rolle als Wirt und wird zum Fremdenführer.

      Die deutsch-türkische Freundschaft wird im Parkhaus Rink gelebt. (Elvira Parton)

      Gemeinsame Ausflüge gehören für die Mitglieder des Sparclubs im Parkhaus zu den alljährlichen Höhepunkten im Kneipenleben. Einmal in der Woche treffen sie sich und stecken fünf Euro in den Schlitz eines silbergrauen Kastens. Durch Spiele wie Bier-Lotto wird ein so genanntes „Vergnügungsfach“ gefüttert. Davon werden dann die Ausflüge bezahlt. Ihre Einlagen bekommen die Kneipen-Sparer kurz vor Weihnachten von Abu zurück – mit Zinsen. Der Wirt trägt das Geld wöchentlich zur Sparkasse, wo es auf ein Sparbuch eingezahlt wird.

      Doch Abus Gäste gehen natürlich nicht in erster Linie zum Sparen ins Parkhaus. Achim betont zwar, dass die Preise dort moderat sind. Aber er kommt vor allem deshalb, „weil man hier über Gott und die Welt reden kann“. Der 65-jährige Rentner lebt seit 63 Jahren in der Wüste und kennt die Kneipe schon von Kindesbeinen an. Als kleiner Junge hat ihn sein Vater mal zu „Onkel Otto“, mal ins Parkhaus mitgenommen. „Das sieht hier noch genauso aus wie früher“, sagt Achim und erntet prompt Widerspruch: „Das war viel dunkler“, wendet Abu ein. Er habe in der Kneipe gründlich renoviert, als er sie übernommen habe. Das typische Aussehen einer Eckkneipe blieb dennoch erhalten.

      Dieses Ambiente schätzen auch Daniela (32) und ihr Verlobter Günther (46). Wie Jutta und Achim haben auch sie sich im Parkhaus kennen- und lieben gelernt. Ein Heiratstermin steht noch nicht fest. Klar ist nur: Gefeiert wird natürlich hier, bei Abu.

      Für Günther ist das Parkhaus fast eine Art Heimat. „Ich kenne die Kneipe seit 40 Jahren“, sagt er und erzählt, wie er für die früheren Besitzer, die Familie Rink, immer einkaufen gegangen ist. Nachdem er 20 Jahre lang im Landkreis gelebt hat, ist er nun zurückgekehrt und wohnt in dem Haus, in dem auch Abus Gaststätte untergebracht ist. Abu hat