Название | Der Tanz der Heuschrecken |
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Автор произведения | Ulrich Fritsch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738021479 |
Der Jungunternehmer dachte besonders über seine Pappenheimer in der Industrie nach. Für ihn waren die Topmanager keine Unternehmer, weil sie letztlich kein Risiko trugen. Sie verdienten Millionen, und wenn sie die Firma in den Ruin gewirtschaftet hatten, bekamen sie noch einmal einige Millionen Abfindung. Weltweit gab es diese schwarzen Schafe. Wenn Petrollkowicz einschlafen wollte, dann zählte er diese schwarzen Schäflein, und manchmal fand er auch nach Stunden noch keinen Schlaf. Wie ungerecht und kompliziert war doch diese Welt. Und er war in den Fängen der Mächtigen. Auf der einen Seite strangulierte ihn der Staat mit Steuern, auf der anderen glaubte er sich dunklen Machenschaften der Industrie und der Banken ausgesetzt. Oder sah er nur Gespenster?
Seine Lebensgefährtin Anna merkte in diesen Tagen, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihr Partner kam ihr so verändert vor. Während er normalerweise mit Oliver, ihrem Sohn aus einer früheren Beziehung, über Schule, Freizeit und Belanglosigkeiten des Alltags plauderte, war er in letzter Zeit schweigsam und zog sich öfter als gewohnt in seine Höhle, in diesem Fall in sein Arbeitszimmer, zurück. Er sinnierte, grübelte, führte Selbstgespräche, war schnell gereizt, kurzum, er war mit sich und der Welt nicht zufrieden.
Seine Lebensgefährtin litt unter dieser angespannten Konstellation, zumal Leon sich nur selten über seine beruflichen Probleme äußerte.
„Anna“, sagte er eines Tages zu ihr, „was wäre, wenn wir arm wären?“
Sie antwortete ausweichend: „Tu mir das nicht an.“
Leon hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Sie lebte in der schönsten Kleinstadt im Umkreis von Düsseldorf, hatte viele anspruchsvolle Freundinnen, spielte gerne Bridge und Golf, manchmal auch Tennis, ging gerne auf dem großen Boulevard in Düsseldorf bummeln, kaufte sich gerne schicke Sachen, ging häufig ins Konzert oder Theater, liebte teure Restaurants und hatte einen Partner, der ihr das alles ermöglichte. Dabei war sie kein Luxusweibchen. Sie sonnte sich nicht im Wohlstand, sondern hielt dieses Leben für etwas Gottgewolltes. Gott liebte eben die Seinen und bescherte ihnen das kleine Paradies schon auf Erden. Um diesen Standard nicht für selbstverständlich zu halten, vergällte einem der Herr den einen oder anderen Tag mit vielen kleinen Widrigkeiten, die aber allesamt nur zu dem Behufe auftauchten, die schönen Seiten des Lebens noch schöner zu finden. Denn wo kein Schatten ist, ist auch kein Licht.
Anna dachte aber nicht nur an sich, sondern teilte die Sorgen ihres Partners. Was sie über diese Emma Hengstenberg gehört hatte, musste auch sie im höchsten Maß beunruhigen.
„Warum gehst du nicht wieder für ein paar Wochen nach Salzburg?“, fragte sie zwischendurch.
Anna wusste, dass sie mit diesem Vorschlag Leon auf schönere Gedanken bringen konnte. Sie hatte schon vor Jahren dafür gesorgt, dass er an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst seinem großen Talent, der Malerei, nachging. Leon war einige Male dort und war so erfolgreich, dass er daheim zunächst kleinere, dann größere Ausstellungen durchführen konnte und die Fachwelt ihn nicht ganz ignorierte. Und das hieß etwas. Schließlich interessierten sich Kunstkritiker und Galeristen schon seit Jahrzehnten nicht mehr dafür, was Qualität bedeutete, sondern nur für den Marktwert eines Künstlers. Die meisten in der Zunft verstanden ohnehin nichts von Kunst, sondern plapperten nur das nach, was die Protagonisten der Szene zu einem Tafelbild oder einer Installation, einer Stele oder einem Gipsabdruck zu sagen hatten. Wie sollten sie auch einen Pappkarton, einen Schuh, eine Fettecke oder einen onanierenden Jüngling auf einer ausgefransten Leinwand künstlerisch einordnen? Dies taten die Wissenschaftler an den Akademien und Universitäten, in den Museen und Kunstzeitschriften.
Leon war als Maler wenig bekannt, dafür verstand er aber etwas vom Marketing. Wenn er den Galeristen versprach, dass der Geldadel einer Stadt zu seiner Vernissage käme, dann öffneten sie schon mal ihre Pforten. Manche wollten das Geschäft aber gar nicht erst abwarten, sondern forderten vorab Garantien für einen Mindesterlös. Leon machte dieses Spielchen nicht mit und verwies auf die Qualität seiner Arbeiten. Einmal wurde er sogar durch einen wirklichen Fachmann bestätigt. Tobias Dominikus, Kunstkritiker aus Düsseldorf, war von seinen Bildern begeistert. Er hatte selbst Kunst studiert, war Meisterschüler von Josef Beuys und verlegte sich dann auf die Kunstkritik, weil sich keiner für seine Werke interessierte. Er schwor sich, nur auf seine innere Stimme zu hören und jeder Einflussnahme von außen zu widerstehen. Er wurde auf diese Weise nicht wohlhabend, aber angesehen, und sein Urteil hatte Gewicht. So kam es, dass Leon auch im Kunstbetrieb etwas bekannter wurde.
„Salzburg?“ Leon überlegte. Er würde sicherlich irgendwann wieder malen, zumal er großartige Ideen hatte, aber im Augenblick stand ihm nicht der Sinn danach. Er konnte in dieser Situation seine Firma keinen Tag im Stich lassen.
Anna erriet die Gedanken ihres Partners. Wenn man jahrelang fast täglich zusammen war, bedurfte es keiner verbalen Äußerungen, um die Reaktion des anderen zu erkennen. In diesem Fall reichten ein nachdenklicher Gesichtsausdruck, ein melancholischer Blick und eine defensive Körperhaltung um dem Gegenüber zu signalisieren, was man meinte. Aber Anna gab so schnell nicht auf. Sie musste ihm irgendwie helfen, damit er nicht die Bodenhaftung verlor. Sie riet ihm, seine einflussreichen Freunde anzurufen und Strategien gegen das üble Intrigenspiel seiner Gegnerin zu entwickeln. „Du musst Dr. Hüttel anrufen.“
Dr. Heinrich Hüttel, Finanzvorstand des Automobilkonzerns CAR in Braunfelden, war in der Tat sein bester Geschäftsfreund, aber eben nur Geschäftsfreund. Er lerne ihn vor Jahren kennen, als dieser noch Finanzvorstand bei der Röhren AG in Düsseldorf war. Damals tranken sie einmal die Woche Tee zusammen, nicht nur um berufliche Dinge zu besprechen, sondern auch, um sich über den Sinn des Wirtschaftens und darüber hinaus des Lebens Gedanken zu machen. Leon Petrollkowicz ging in der Vorstandsetage ein und aus, weil er Hüttel in allen Medienfragen beriet und speziell Pressefragen mit ihm besprach. Natürlich hätte sich Hüttel auf eine große Presseabteilung stützen können, aber diese war auf den Vorsitzenden eingeschworen, mit dem Hüttel nur selten konform ging, beruflich wie privat. Und dann kam es eines Tages zu einer gewaltigen Auseinandersetzung, bei der, wie konnte es anders sein, eine Frau im Mittelpunkt stand. Auch hier hatte Leon Petrollkowicz seine Hände im Spiel. Das kam so:
Vor seiner Tätigkeit als Unternehmer war Petrollkowicz Redakteur bei einer Rundfunkanstalt und lernte schnell die ganze Medienlandschaft kennen. In Wirtschaftsfragen korrespondierte er gerne mit einer Journalistin, die durch gekonnte Fernsehauftritte und durch ihre politischen und ökonomischen Sachkenntnisse in der Fachwelt geschätzt und beim breiten Publikum beliebt war. Später, als er seine eigene Firma hatte, kam Leon Petrollkowicz dieser Kontakt sehr zustatten, denn die Wirtschaft maß die Qualität einer Medienagentur nicht nur an den ausgefeilten Kampagnen, sondern auch an den guten Kontakten zu den Medien.
Diese Journalistin plante ein großes Feature zum Thema „Vermögensbildung in Krisenzeiten“. Die ersten Recherchen zeigten ihr, dass es schwierig war, mit dieser zähflüssigen Materie einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken. Zu oft war der kleine Mann auf die vielen Sprüche der Wirtschaftler und Politiker hereingefallen und hatte viel Geld mit Aktien und anderen Wertpapieren verloren. Andererseits brauchte die Wirtschaft Kapital und musste sehen, wie sie die Anleger mobilisieren konnte. Die Journalistin fand nicht den richtigen Zugang zu diesem Thema, aber auch Leon Petrollkowicz kannte keine Patentrezepte für die journalistische Umsetzung, wohl aber kompetente Gesprächspartner in der Industrie. Er lud seine Kollegin nach Düsseldorf ein und stellte den Kontakt zu Dr. Hüttel her. Schon beim ersten Mittagessen stellte sich heraus, dass Hüttel an Thema und Frau sehr interessiert war und lud sie zu weiteren Gesprächen ein. Leider war aber auch der Vorsitzende des Vorstands an dem gescheiten und hübschen