Название | Der Tanz der Heuschrecken |
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Автор произведения | Ulrich Fritsch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738021479 |
„Wie beruhigend!“, sagte Leon Petrollkowicz beim Abschied.
Kapitel 2
Leon Petrollkowicz ging eigentlich recht gerne ins Büro. Er hatte vierzig Angestellte und zu den meisten ein gutes Verhältnis. Die Lage der Firma war ideal: In der Schadowpassage im Herzen von Düsseldorf, wo das Treiben nicht bunter und die allgemeine Stimmung nicht besser sein konnte. Schöne Geschäfte, nette italienische Restaurants, etliche Straßenmusikanten, kleine Verkaufsstände mit allerlei Tand, gut gekleidete Menschen. Wenn er in sein Office ging, mischte er sich gerne für Minuten unter das Volk, warf einen Blick auf die Schaufensterauslagen und ließ sich bei einem italienischen Früchtestand einen frischen Orangensaft auspressen. Weil er kein Frühaufsteher war und sich in seinem Job das meiste in den Abendstunden abspielte, ließ er es morgens langsam angehen und verlangte auch von seinen Mitarbeitern nicht die absolute Pünktlichkeit. Allerdings legte er Wert darauf, dass beim Klingeln der schnurrende Türöffner ertönte, ein Zeichen dafür, dass schon jemand da war und sich dieser gewisse Jemand mit den anderen über das Begrüßungszeremoniell verständigte. Es war fast ein Ritual, dass in der Chefetage jemand eigenhändig die Tür öffnete und man diese Tätigkeit nicht von ihm selbst oder dem Türautomaten übernommen werden musste. Die Mitarbeiter waren damit sehr einverstanden, hatten sie auf diese Weise Gelegenheit, das allmorgendliche Gelage in eine manierliche Büroszene umzugestalten. Ein Hereinplatzen des Chefs hätte unter Umständen recht peinlich sein können. Besonders Frau Hengstenberg legte Wert darauf, sich gegenüber Petrollkowicz keine Blöße zu geben. Es war eine ihrer Gewohnheiten, sich früh zur Auflockerung einen Whisky zu genehmigen, den sie freilich mit Orangensaft geschickt kaschierte. Als Frühaufsteherin nutzte sie die Morgenstunden, um private, aber auch dienstliche Telefonate zu führen, einmal, weil sie dann ungestört parlieren konnte, dann aber auch, um ihrem Gesprächspartner zu stecken, dass Leon Petrollkowicz es mit seinem Berufseifer nicht so ernst nehme, mal erscheine, mal nicht, und dass sie auf künstlerische Gepflogenheiten dieser Art halt Rücksicht nehmen müsse. Auch pflegte sie morgens den Umgang mit einigen ihr besonders sympathischen Mitarbeiterinnen, um sich so ihre Seilschaften aufzubauen. Meistens waren es vom Leben und der Liebe nicht verwöhnte Frauen, die ganz in ihrem Beruf aufgingen und sich gerne an Frau Hengstengberg anlehnten. Wenn dann in den schönsten Gesprächen der Chef klingelte, wurden die Drinks schnell weggestellt und die Plätze eingenommen. Abwechselnd öffnete immer ein anderer die Tür.
An jenem Morgen hatte eine Frau Gabler Türdienst. Sie stand für Sekunden vor ihrem Chef, murmelte ein „Morgen“, machte auf dem Absatz kehrt und ging erhobenen Hauptes in ihr Zimmer. Frau Gabler war ein Lästermaul besonderer Güte. Sie verstand es, sich immer diejenigen der Firma für ihren Schmäh auszusuchen, die bei Frau Hengstenberg ein besonders negatives Image hatten, und dies waren in erster Linie die Vertrauten von Leon Petrollkowicz. Auf diese Weise stieg sie in der Achtung ihrer Chefin und konnte sich viel herausnehmen, zum Beispiel auch, auf Fragen männlicher Vorgesetzten pampig oder überhaupt nicht zu antworten. Irgendeines der männlichen Wesen hatte ihr früher einmal ein Kind gemacht, und danach war ihr Hunger nach männlicher Zuneigung für alle Zeiten gestillt. Man erzählte sich, dass jener Liebhaber, ein Schwarzer, sie mit seinem großen Ding so erschreckt hatte, dass sie tagelang wie traumatisiert herumrannte und seitdem keinen Mann auf mehr als dreißig Zentimeter an sich heran ließ. Leon Petrollkowicz machte ohnehin immer einen großen Bogen um diese Dame, aber er hielt sie, weil sie besser als alle anderen texten konnte, und dies sogar mit leisem Humor, den man bei ihr gar nicht vermutete.
Aber natürlich hatte auch Leon Petrollkowicz seine Bastionen. Da waren seine beiden Sekretärinnen. Abwechselnd brachten sie ihm in letzter Zeit nach seinem Eintreffen das Frühstück oder besser das, was er sich so unter Frühstück vorstellte: einen Haferschleim, einen Zwieback, viel Kaffee. Seine Lebensgefährtin Anna weigerte sich ab einem bestimmten Tag, ihm diese Haferflocken anzurühren, weil, wie sie meinte, der therapeutische Effekt des Breis durch den starken schwarzen Kaffee wieder zunichte gemacht werde und sie sich über diese Unvernunft und seine immer schlimmer werdenden morgendlichen nervösen Einlassungen über Kindererziehung und Hausstand zunehmend ärgern müsse. Außerdem machte sie ihm klar, dass sie gerade am Morgen viele Hausfrauenpflichten hätte und nicht warten könne, bis er irgendwann einmal aus dem Bett kröche. Natürlich hatte der Genussmensch Leon Petrollkowicz keine große Neigung, früh einen Haferschleim zu essen. Aber die äußeren Umstände zwangen ihn dazu, sich mehr als gewohnt um seine Gesundheit zu kümmern. Er spürte, dass mit der ihm aufgezwungenen Emma Hengstenberg ein ungutes Kapitel in seiner Firma aufgeschlagen wurde und dieser Umstand bereitete ihm Magenschmerzen.
An jenem frühen Vormittag, als er mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ die Mitarbeiter durch die geöffneten Türen begrüßte, fühlte er sich recht entspannt. Er hatte am Abend vorher noch in Amsterdam mit Kollegen aus dem Internationalen Marketingverband, dessen Vorsitzender er war, gezecht und lange über die Frage diskutiert, ob man wider besseres Wissen eine Investor-Relations-Kampagne starten dürfe, deren strategisches Ziel es sein sollte, einen Zustand schön zu reden. Er berichtete in Amsterdam von seinen Querelen mit den Bankern, besonders mit Dr. Maibohm, und fand bei seinen Kollegen viel Verständnis. Und das stimmte ihn zufrieden.
Weniger zufrieden mit sich, der Welt und mit der internationalen Reputation ihres Kollegen war Emma Hengstenberg. Voller Neid und Eifersucht verfolgte sie seine Auftritte bei großen Veranstaltungen, im Fernsehen, seine Veröffentlichung in der Fachpresse und, wie jetzt, seine emsige Reisetätigkeit. Wenn es irgend ging, suchte sie nach einem Haar in der Suppe und fand meistens auch eins, was dann prompt irgendeiner ihrer vielen Gesprächspartner so ganz beiläufig zu Ohren bekam. Den größten Erfolg hatte sie immer mit dem Hinweis, dass bei Fernsehauftritten von Petrollkowicz einer der Vorstände der Industrie oder der Banken das Ganze viel besser gemacht hätte. Sie wusste, dass die Herren in den obersten Etagen mediale Events schätzten und jeden auch noch so guten Beitrag eines Dritten wenig würdigten, wenn sie zum gleichen Thema ebenso hätten befragt werden können. Macht und Kompetenz sind eben nicht teilbar und schon gar nicht mit irgendeinem im Lande, der letztlich in einer Abhängigkeitsposition war. Leon Petrollkowicz wusste das, aber er musste auch an das Image seiner Firma denken, die letztlich hauptsächlich von guter Publicity und seinen kompetenten Auftritten lebte.
Frau Holle, eine seiner beiden Sekretärinnen, brachte ihm seinen „ekelhaften Haferschleim“ (so drückte er sich immer aus, wenn er den Geruch dieses mehligen Gaumenkillers mit einer abweisenden Handbewegung von sich wegzufächern suchte) und eine Kanne Kaffee, mit dem er seine sieben Sinne wieder auf den normalen Alltag einstellen wollte. Er war an jenem Morgen wach, aber trotzdem nicht ganz da, weil er, wie gesagt, mit seinen Kollegen in Amsterdam auch einen heben musste und er sich bei solchen Gelegenheiten gerne von seiner trinkfesten Seite zeigte.
Frau Holle fragte, diskret wie immer, nach seinem Wohlbefinden. Sie hatte wohl gemerkt, dass er nicht so frisch wie sonst den Tag begann und versuchte in solchen Situationen mit höflichen Floskeln herauszubekommen, wie sie ihm vielleicht einen zusätzlichen kleinen Dienst erweisen könnte: Mit einer Aspirin, einem Glas Wasser, dem Öffnen der Fenster oder auch nur, indem sie ihn besonders verständnisvoll, ja liebevoll ansah. Frau Holle war der perfekte mütterliche Typ, innerlich wie äußerlich. Sie war um seine Gesundheit besorgt, seine Kleidung, kein Knopfannähen war ihr zu viel, kein schnelles Überbügeln der zerknitterten Hose zu lästig, und dabei wahrte sie immer Form und Anstand. Allerdings zeigte sie an manchen Tagen recht auffällig ihre weiblichen Attribute, indem sie zum Beispiel ihren üppigen Busen beim Hinstellen des Tabletts absichtlich etwas länger über der Tischkante