Название | Das Dunkle Bild |
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Автор произведения | Tristan Fiedler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847607793 |
Zurück im Gasthaus sah mich die fette Dame fragend an. Ich überlegte, ob ich sie auf das Gebäude ansprechen sollte. Ich entschied mich aber dagegen. Stattdessen kehrte ich auf mein Zimmer zurück. Hier öffnete ich meinen Koffer, um das Bild noch einmal zu betrachten. Es sah noch genauso aus wie direkt vor meiner Abreise, als ich es das letzte Mal angesehen hatte. Das Fenster im obersten Stock war leer.
Ich hüllte das Gemälde gerade wieder ein, als es an der Tür klopfte. Noch bevor ich mich erhob, zwängte sich die fette Dame durch den Türrahmen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es so schnell die Treppe herauf geschafft hatte.
„Ja?“ fragte ich verärgert.
„Haben Sie es gesehen?“
„Was gesehen?“
„Na, Ihr Haus...“ Sie grinste mich schief an.
„Wieso mein Haus? Was hab ich damit zu tun?“
„Sie sagten doch, Ihr Vater sei gestorben. Ihm gehörte das Haus. Also gehört es jetzt Ihnen...“
Ich wusste nicht genau, wie ich darauf antworten sollte. Sie taxierte mich einen Moment, ihr Blick blieb dann an meinem Gesicht hängen. Ein Ton der Vertrautheit schwang in Ihrer Stimme mit, als sie sagte: „Sie sehen ihm so ähnlich...“
Ich schloss den Koffer und stellte mich direkt vor sie, die Hände in die Hüften gestemmt. „Was ist denn mit diesem Haus?“
„Was soll damit sein?“
Ich zögerte einen Moment, dann entschloss ich mich, anders vorzugehen. „Seit wann gehörte das Haus meinem Vater?“
„Schon immer. Er und sein Bruder wurden darin geboren...“
Ich stockte. Dass mein Vater einen Bruder gehabt hätte, wäre mir jetzt neu gewesen. „Das kann nicht sein“, sagte ich. „Ich hab keinen Onkel. Und mein Vater hat auch nie von einem erzählt.“
„Doch“, erwiderte die fette Dame bestimmt. „Er hatte einen Bruder. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, lebten die zwei noch eine Weile in dem Haus. Sie waren sehr reich. Ihre Eltern waren sehr reich.“
„Warum... hat er mir nie von seinem Bruder erzählt?“
Die Frage war eher an mich selbst gerichtet, doch die fette Dame beantwortete sie trotzdem: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sein Bruder starb leider auch sehr früh. Er starb und Ihr Vater verließ das Land... mit seiner neuen Frau.“ Ihre Stimme wurde brüchig, als sie das sagte. „Seitdem haben wir ihn nicht wieder gesehen. Und das Haus ist seit damals verlassen.“
„Und wieso wussten Sie, dass ich irgendwann kommen würde?“
„Das wussten wir nicht. Wir haben es aber vermutet. Niemand von uns hat das Haus betreten. Unsere Aufgabe war es nur, den Schlüssel aufzubewahren. Wir haben angenommen, dass früher oder später jemand von Ihrer Familie wieder auftauchen würde.“ Sie sah mich erwartungsvoll an. „Ich denke, Sie werden diese Nacht nicht hier im Zimmer bleiben?“
Ich schwieg eine Weile und schüttelte dann langsam den Kopf. „Ich denke nicht, dass es mich in dieses Haus zieht.“
„Das sollte es aber.“
Ich sah auf. „Was meinen Sie damit?“
Die fette Dame schien angestrengt zu überlegen, als wäre sie auf einmal darauf bedacht, ihre Worte sorgsam zu wählen. „Nun ja, es ist Ihr Haus“, wiederholte sie. „Ich denke, es ist Ihre Pflicht, sich darum zu kümmern. Jetzt, wo Sie hier sind.“
Sie sah mich durchdringend an, als wollte sie mir mehr sagen, als ihr in Worten lieb war. Dann trat sie zur Seite und machte mir so die Tür frei. Ich verstand schon, was sie mir mitteilen wollte: Ich hatte gar keine andere Wahl. In ihrem Gasthaus würde ich keine Nacht verbringen.
Kapitel 6
Da ich nichts ausgepackt hatte, war ich schnell wieder ausgezogen. Diesmal wollte ich auf das vorbereitet sein, was mich erwartete, sobald ich den kleinen Hügel am Ortsrand erklommen hätte. Ich stapfte durch das spärliche Gehölz eines Waldes, der hier begann, zerrte meinen Rollkoffer über abgebrochene Äste und Wurzeln und erreichte endlich den höchsten Punkt. Hier lag es, bedeckt von den langen Schatten des angrenzenden Waldes. Die Sonne war beinahe vollkommen untergegangen und der Himmel war von einem tiefen, klaren Blau. Ein einzelner, leuchtender Punkt war knapp über dem Horizont auszumachen.
Der Verfall, den die vielen Jahre mit sich gebracht hatten, war auf den zweiten Blick deutlich auszumachen. Das Haus empfing seine Besucher mit zwei Flügeln, die mich wie zwei große Arme umschließen wollten. Im Vorhof, der sich dazwischen ergab, ragte ein großer, verwitterter Brunnen in die Höhe, den mehrere Gesichter aus Stein umschlossen. Sie hatten wahrscheinlich einmal als Wasserspeier gedient. Jetzt blickten sie auf ein nacktes Becken und trockenes Laub hinab. Die Fassade des Hauses war brüchig geworden, der Eingangsbereich ließ zwischen braunen Blättern die Stufen einer kurzen Treppe erahnen.
Langsam schritt ich durch den Vorhof. Ben maunzte ängstlich in seinem Käfig. Ich konnte ihn gut verstehen. Das Anwesen wirkte alles andere als einladend. Hinter mir, vor dem mir zur Linken liegenden Flügel, war noch etwas, das wie eine kleine Laube aussah. Eine kleine Treppe führte zu einer Art Pavillon hinauf, durch den man anscheinend in den linken Flügel gelangen konnte.
Als ich die Treppe zum Eingangsbereich hinaufstieg, meinen Koffer fest in der Rechten, fröstelte ich. Auf den Glasscheiben lag eine zentimeterdicke Staubschicht, und von außen war rein gar nichts von dem Inneren des Hauses auszumachen. Ich nahm den Schlüssel aus meiner Tasche und öffnete die Eingangstür. Mit einem leisen Knarren schwang sie zur Seite und ich betrat das Haus.
Im Inneren war es so dunkel, dass ich kaum etwas sah. Ich hinterließ Fußabdrücke auf einem Teppich aus Staub, der den gesamten Boden bedeckte. Ich ging vorbei an einem großen Sofa, das neben einer Frauenstatue stand, die mich aus dunklen Augenhöhlen zu mustern schien. Eine große Treppe führte in das schwarze Nichts des ersten Stockwerkes.
Ich musste eine Weile suchen, bis ich einen Lichtschalter fand und vor mir endlich eine Art Eingangshalle in warmem Licht auftauchte. Die Inneneinrichtung schien tatsächlich seit vielen Jahren nicht angerührt worden zu sein. Ich erkundete zuerst das Erdgeschoss, das auf den zweiten Blick nicht ganz so groß war wie ich erwartet hatte. Die hauptsächliche Funktion lag wohl darin, Besuchern einen Ort des Empfangs zu bieten. Ein Esszimmer schloss sich an, daneben erkannte ich in kühler Dunkelheit liegend eine kleine Küche. Ein weiteres Zimmer auf der anderen Seite der Empfangshalle schien lediglich die Funktion eines Aufenthaltsraumes zu haben. Ein kleiner Kamin schmückte die Rückwand, davor konnte ich mehrere Sessel erkennen, die sich um einen kleinen Tisch scharten. Am Ende des Zimmers stand ein großes Bücherregal, ansonsten war das Zimmer leer.
Ich stieg die Treppe hinauf in das erste Stockwerk, das mich mit schwärzester Finsternis empfing. Draußen war es inzwischen ganz dunkel geworden, deshalb drang kaum mehr Licht durch die Fenster herein. Als ich endlich den Lichtschalter ertastet hatte, fand ich mich in der Mitte eines Korridors wieder, welcher der Länge des Hauses folgte, und an den sich links und rechts Türen zu weiteren Zimmern anschlossen. Die Zimmer waren zum Teil leer, die anderen boten meist nichts anderes als Betten, Tische, Stühle sowie Bücherregale oder Kleiderschränke.
Das zweite Stockwerk noch zu erkunden, vermied ich vorerst lieber. Eine für mich nicht ganz nachvollziehbare Furcht vor dem obersten Stock hielt mich davon ab, die Treppe weiter nach oben zu steigen. Wenigstens für heute Nacht.
Ich suchte in einem der Zimmer Quartier. Die Auswahl traf ich eher willkürlich und nahm ein Zimmer, das mir noch am wenigsten karg erschien. Ein roter Teppich mit aufwendig gestickten Mustern, die sich zur