Schneeflöckchen Weißröckchen. K. Spitschka

Читать онлайн.
Название Schneeflöckchen Weißröckchen
Автор произведения K. Spitschka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847643654



Скачать книгу

die Hand zu nehmen und die Werner anzurufen. Ich wähle die Nummer und warte. Sie meldet sich atemlos und zwitschert laut ihren Namen. Ich bekomme aus dem Stand Migräne. „Hallo, hier ist Lisa. Lisa Bäumel“, flüstere ich in den Hörer. „Lisa! Gott sei Dank melden sie sich. Wie geht es ihnen?“, schreit sie mich an. „Es geht mir besser“, log ich. „Prima! Morgen ist Montag. Sie fangen mit Spätschicht an. 14Uhr bis 21Uhr. Ist das okay für sie? Oder wäre ihnen ein Tagesdienst lieber? Mir wäre allerdings mit einem Spätdienst mehr geholfen!“ AHA! MORGEN IST MONTAG!

      „Also, ehrlich gesagt, wollte ich noch zu Hause bleiben. Ich war ziemlich mies drauf. Eine schwere Grippe. Hier sieht‘s furchtbar aus! Ich müsste dringend putzen, Wäsche waschen, einkaufen gehen, ich …“ Was ist denn jetzt? Rege ich mich so auf, dass ich … Mein Kreislauf! Ich rutsche hilflos aus dem Sessel auf den Boden. Schweiß dringt aus all meinen Poren. Meine Haare sind sofort klitschnass. Ich kriege keine Luft.

      „Lisa! Jetzt passen sie mal auf. Sie hatten ein Attest für drei Tage. Zwei Tage fehlen sie bereits unentschuldigt! Heute ist Sonntag. Ich kann das für sie rückwirkend geradebiegen. Nur frage ich mich inzwischen, wie es mit ihnen weitergehen soll? Letztes Jahr hatten sie 72 Krankheitstage! Zweiundsiebzig!!! Dieses Jahr sind es bereits 29! Das geht nicht auf Dauer! Ist ihnen das eigentlich klar? Wollen sie ihre Arbeit verlieren? Hören sie, morgen ist der 23. Juni. Übermorgen möchten ihre Kolleginnen und Kollegen wissen, ob ich ihnen ihre gewünschten Urlaubstage genehmigen kann oder nicht. Sie waren mir in der Ferienzeit immer eine verlässliche Stütze! Sind sie das dieses Jahr auch? Irgendwas stimmt mit ihnen nicht! Sie waren doch früher nicht so. Lisa! Was ist passiert? Hallo?

      Wissen sie was? Mein Mann spielt heute Golf und ist sicher nicht vor 18Uhr zurück. Sie bringen Kuchen mit, ich mache uns Kaffee und dann reden wir mal wie zwei Freundinnen. Wir kennen uns inzwischen ein paar Jahre und ich schätze sie sehr. Ich vertraue ihnen und sie können mir vertrauen. Lisa? Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir mal vernünftig miteinander reden würden. Sie kommen doch?“

      Mein Kopf … gleich platzen meine Augen aus ihren Höhlen! Ich drücke auf die ‚Ende‘ Taste. Freundinnen! Ha, ha, ha, ha! Ich lach‘ mich tot!

      Wie bin ich nur zu diesem ominösen Attest gekommen? Ich kann schlecht bei meinem Arzt anrufen und fragen ob ich vor kurzem da war. ‚Hallo, hier ist Lisa Bäumel. War ich von ein paar Tagen in ihrer Praxis?‘ Ich bin tatsächlich reif für die Klapse!

      Ich knalle meinen Kopf an die Wand. Einmal… Zweimal… Dreimal. Ich hasse mich. ICH HASSE MICH!

      Ich spüle drei Valium mit Campari hinunter und lege ein Bettlaken auf die feuchte Matratze. Das Messer lege ich neben mich.

      Das Telefon läutet. Der AB ist abgeschaltet. Klingeling. Klingeling. Draußen stimmen die Kirchenglocken mit ein. Hört sich schön an. Bim, bam, bim, bam. Heute ist Sonntag der 22. Juni!

       Sieben

      „Die Besprechung war sehr aufschlussreich, nicht wahr?“ Irmi sah mich grinsend an und spielte mit einer pinkfarbenen Perlenkette, die sie mindestens dreimal um den Hals gewickelt hatte. „Wenn du damit die sich ständig ändernden Gebührentabellen meinst …“ „Aber Lisalein, hast du nicht bemerkt, dass der Haunschild unterm Tisch mit der Meier gefüßelt hat?“ „Du immer mit deinen Verdächtigungen! Die Meier heiratet!“ „Die heiratet?“ „Ja! Die ganze Abteilung weiß, dass das Brautkleid rot sein wird und nicht weiß!“ „Rot und nicht weiß?“ „Ja! Rot!“ „Wie kommt das denn?“ „Irmi! Nerv mich nicht! Rot ist derzeit heiratstechnisch mega! Ich würde in einem roten Smoking heiraten!“ „In einem Smoking?“ „Kannst du bitte aufhören, dich wie ein Papagei zu benehmen?“ Ich packte die Frau an den Schultern und drehte sie Richtung Kantine. „Tu mir einen Gefallen und trink ein schönes Käffchen. Iss dazu eines deiner geliebten Nougathörnchen; das macht dich wieder locker. Dabei kannst du dir überlegen, ob du mit mir am Donnerstagabend nach Ottersberg fahren möchtest.“ „Nach Ottersberg?“ „Yes! Coole Disco! Ich fahre, du kannst was trinken!“ „Wieso? Ich trink doch nie was!“ „Schwirr endlich ab, bevor ich mich vergesse!“

      Da kam die Werner um die Ecke. „Ach wie praktisch! Frau Bäumel, Lisa, kann ich sie mal kurz sprechen?“ Irmi machte einen Abgang. „Ja. Klar.“ „Dürfte ich ihnen am Montag zwei Auszubildende anvertrauen? Frau Meier nimmt sich wegen ihrer Hochzeitsvorbereitungen nächste Woche frei und da dachte ich, …“ „Null Problemo! Allerdings würde ich mich den beiden gerne am Freitag vorstellen. Es ist einfacher für Montag was vorzubereiten, wenn ich mir vorher einen Eindruck von den Herrschaften machen konnte“. „Das tun wir sofort!“, strahlte die Werner. Sie rief Irmi hinterher, sie möge die Mädchen holen gehen. Es wunderte mich, dass aus Irmis Mund nicht „… die Mädchen?“ blubberte, aber sie guckte so doof, als könnte sie nicht bis drei zählen. Kurz darauf kam Irmi Windisch mit zwei Mädchen an, von denen eine so viel Blech im Gesicht hatte, dass es einem graute. „Guten Morgen. Ich heiße Lisa Bäumel. Sie sind in den nächsten zwei Wochen bei mir. Wir werden uns gemeinsam um die Post kümmern. Ich bin hier eine der Sekretärinnen hinter den Kulissen, sozusagen. Wie heißen sie?“, fragte ich so charmant wie nur möglich.

      Claudia Schäfer. Sie wurde feuerrot, wenn man ihr in die Augen sah. Niedlich! Zierlich, dunkelhaarig, wirkte äußerst sympathisch.

      Alena Gerl sah mich herausfordernd an. Sie hatte mehrere Piercings im Gesicht und an beiden Ohren mindestens 30 kleine Ringe. Sie war bildhübsch!

      „Gut! Ich würde gerne mit ihnen einen Kaffee trinken gehen. Gehen sie bitte schon mal vor in die Kantine. Ich komme sofort nach!“ Die Mädchen machten sich auf den Weg. „Im Laden kann die junge Dame mit dem vielen Schmuck aber nicht arbeiten! Stellen sie sich mal die entsetzten Gesichter unserer Kunden vor, wenn sie von so jemanden beraten werden würden. Nein das geht gar nicht! Mit dem Kind sollten sie reden! Sie sind jung, schön und haben Geschmack! Vielleicht können sie auf das Mädchen Einfluss nehmen, sonst sehe ich für sie in unserem Geschäft keine Zukunft. Machen sie ihr das unmissverständlich klar! Ich werde in der Personalabteilung anklingen lassen, dass man bei der Einstellung auch auf das Äußere der Personen zu achten hat! Das sollten die eigentlich wissen! Muss ich mich jetzt auch noch darum kümmern? Na! Wie gesagt! Sie machen das schon! Die beiden Fräuleins sind bestimmt von ihnen beeindruckt!“, streichelte die Werner mein Ego.

      „Oder auch nicht! Jedenfalls bedanke ich mich für das Kompliment. Ich muss jetzt los, sonst kann ich mir die Arbeit heute mit nach Hause nehmen. Was macht ihr Zahn?“ „Eine Wurzelbehandlung! Der Arzt hat die Wurzel gekappt, Schmerztabletten verschrieben und mich heim geschickt. Das war’s. Lassen sie sich nicht aufhalten.“

      Nach dem Kaffee mit den Kids saß ich an meinem Computer und checkte die mails. Irmi bestätigte unser date am Donnerstag! Jack schrieb: „Naaaa Süße? Hast du dich wieder im Griff? Heute Sundowner bei mir auf Balkonien? Thema: Urlaub! Tunesien oder Marokko? Tendiere zu Tunesien! Auf dem Cover des Reisekataloges ist ein leckeres, braungebranntes, knackiges Ding in einer klitzekleinen roten Badehose abgebildet!“ Meine Antwort: „Campari Orange! 18Uhr!“

      Ich legte einen Zahn zu! Bearbeitete Posteingänge, führte Kundengespräche und beruhigte zwei aufgebrachte Teilnehmer in meinem bescheidenen Reich. Angeblich hatte man ihnen Rechnungen zu hoch ausgestellt. Tz!

      Danach öffnete ich das Fenster und stand plötzlich mit meinen schweineteuren Schühchen in Blumenerde! Ich wollte gerade wie das HB Männchen in die Luft gehen, als Irmi ohne anzuklopfen mein Büro betrat. Sie ließ einen Schrei los, lief wieder hinaus und kam mit Schaufel und Besen zurück. „Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“, rief sie und fing an zu fegen. „Dieser Scheiß Blumentopf ist schon wieder umgefallen! Der fliegt jetzt endgültig raus!“ „Na hör mal! Den Topf hat dir Mick geschenkt! Ich habe noch nie von einem Mann einen Blumentopf bekommen! Du bist so undankbar! Übrigens hat die Meier eindeutig was mit dem Haunschild. Eben ist er aus ihrem Büro gekommen und hat …“ „Halt die Klappe! Danke für die Rettung! Ohne dich wäre ich aufgeschmissen!“ Ich schob sie aus meinem Büro. „Schön dass du am Donnerstag mitkommst. Wir besprechen morgen die Details, okay?“ Ich machte die Tür hinter ihr zu.

      „Ha,