Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

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Название Von alten und neuen Bürowelten
Автор произведения Maik Marten
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783752926736



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neue Herausforderungen und Fragestellungen auf. Wie konnte man etwa die Vorgänge an einem weit entfernten Stützpunkt kontrollieren oder die ineinandergreifenden Fahrten abstimmen, ohne dass es zu Pannen oder Unfällen kommt? Man musste den Transport von Passagieren organisieren, die An- und Abfahrtszeiten planen und den Verkauf von Fahrkarten einrichten. Auch der reibungslose Umschlag von Rohstoffen, Waren und Gütern über das wachsende Bahnnetz bedurfte einer sorgfältigen Planung und Koordination. Wie sollte man das alles sinnvoll bewerkstelligen? Etwa wie in den alten Tagen vorindustrieller Zeitrechnung, als man Aufgaben in die Hände vieler kleiner, örtlich ansässiger Firmen legte? Nein, das machte kaum noch Sinn, denn die Kommunikation zwischen verschiedenen, unabhängigen Unternehmen erwies sich als zu langatmig, fehleranfällig und teuer. Man brauchte also eine andere Lösung, die mit der neuen Schrittgeschwindigkeit mithalten konnte. Anstelle marktlicher Transaktion auf lokaler Ebene wählte man daher die Koordination innerhalb einer zentralen Organisation. Die Bahnchefs griffen dabei auf eine sehr einfache aber erfolgreiche Strategie aus dem Militär zurück. Man baute ein striktes Hierarchiesystem auf, an dessen Spitze der Präsident über eine Vielzahl von mittleren Managementebenen die Verantwortung nach unten delegierte. Auf jeder Hierarchiestufe wurden die Aufgaben zergliedert und auf die nächst untere Stufe verteilt. Auf diese Weise konnte man Informationen und Entscheidungen auch über sehr große räumliche Distanzen verlässlich weiterreichen. Man brauchte nur viele loyale Mitarbeiter für diese Jobs; sehr viele. Solange jeder Manager einen Vorgesetzten besaß, der seine Arbeit kontrollierte und Informationen an die nächste Instanz weiterleitete, blieb das System kontrollierbar. Dehnte sich das Netzwerk weiter aus, wuchs die Organisationsstruktur einfach entsprechend mit.

      Die Anzahl der Manager, besonders im mittleren Management, nahm in Folge dessen rasch zu. Career Managers nannte man die neuen Angestellten, weil sie genau festgelegte Karrierestufen zu erklimmen hatten, wenn sie an die Spitze wollten. Auf ihrem Weg nach oben stellten sie weitere Mitarbeiter ein; Junior Managers, die in ihre Fußstapfen traten und die gleichen Bahnen einzunehmen hatten wie sie zuvor. Die Redewendung die Karriereleiter hinaufsteigen stammt aus jener Zeit. Seitdem benutzt man sie, um auf den beruflichen Erfolg anzuspielen.

      Die Ausdehnung der Märkte verlangte also ein Organisationsmodell, das weniger auf Marktbeziehungen, sondern vielmehr auf feste Hierarchien vertraute. Teilten sich noch vor wenigen Jahren unzählige kleine und mittelgroße Firmen die Produkt- und Dienstleistungsmärkte, wurde in der Spätphase der Industriellen Revolution eine große Konzentrationswelle in Gang gesetzt, die allein in den USA Tausende von Unternehmen auslöschte oder miteinander verschmolz. Durchsetzen konnten sich diejenigen, die im richtigen Augenblick die besseren Karten in der Hand hielten: das innovativere Produkt, die einflussreicheren Beziehungen und die höhere Durchsetzungskraft gegenüber Wettbewerbern und Kunden. Allein zwischen 1897 und 1904 wurden in Amerika 4000 Firmen verschluckt beziehungsweise zu 257 Gesellschaften zusammengeschlossen. Es war eine gigantische Verschiebung von Macht; von ehemals vielen tausenden Entrepreneuren mit einer überschaubaren Anzahl von Mitarbeitern, hin zu einigen wenigen großen Unternehmen und Konzernen, die ein Heer von Angestellten beschäftigten. Aus freien Unternehmern wurden abhängige Arbeitnehmer.

      Bis zu den Anfängen der Industriellen Revolution lagen viele Manufakturen und Betriebe noch inmitten der Städte. Produktion, Verwaltung und der Verkauf der Waren fanden häufig noch an einem Ort statt und die Arbeiter an ihren Maschinen und Werkbänken hatten es am Ende ihres langen Arbeitstages nicht allzu weit zu ihren Bleiben. Als der Platzbedarf der Betriebe gegen Mitte des 19. Jahrhunderts immer größer wurde, begannen viele Unternehmen jedoch an den Stadtrand zu ziehen und den Absatz der Waren in die Geschäfte der Innenstadt auszulagern. Läden und Warenhäuser öffneten ihre Türen, in denen Verkäufer und Händler in eleganter Garderobe arbeiteten und die neuen Produkte der Massenfertigung anpriesen. Große Schaufenster zur Präsentation der Waren und Leistungen schmückten die neuen Fassaden der prosperierenden Städte. Mit dem Wachstum der Verwaltungen begann man separate Büroetagen und Gebäude anzulegen. Die zunehmende räumliche Trennung von Angestellten und Arbeitern, - von Kopf- und Handarbeit -, konnte man nun schon beim Betreten der Betriebe wahrnehmen. Während die Arbeiter durch schwere Tore in die Fabrikhallen strömten, benutzten die Angestellten die separaten, repräsentativeren Eingänge, die auch den Geschäftsführern, höherrangigen Managern und Kunden vorbehalten waren. Fern von den schmutzigen Fabriken, in den noblen Einkaufsstraßen der Innenstadt, eröffneten schöne Geschäfte und edle Unternehmensrepräsentanzen hinter blank geputzten Fensterläden. Anwälte, Ärzte und andere Dienstleister füllten die oberen Etagen der Stadthäuser auf, bis auch die Unternehmen beschlossen, ihre Büros von der Produktion zu trennen und sie in die attraktiven Innenstädte zu verlegen. Hier und dort bildeten sich eigenständige Viertel, in denen sich überwiegend Geschäfte, Dienstleister und Bürogebäude etablierten. Im Jahr 1836 tauchte das erste Mal in einem amerikanischen Stadtregister der Begriff downtown auf. Allmählich kam auch der Begriff des Kontors aus der Mode. Von da an wurde das Wort Büro üblicher, das ursprünglich auf das altfranzösische Wort bure zurückgeht, was soviel wie grober Wollstoff bedeutet. Im Mittelalter hatten Mönche damit ihre Tische bespannt, um darauf besser schreiben und rechnen zu können. Irgendwann wurde daraus das französische bureau, womit man erst Schreibtische und später ganze Schreibräume bezeichnete.5

      Frederick Taylor’s Scientific Management

       Tja, wir wissen – und das nicht nur aus der Bibel,

       denn auch die Vernunft sagt uns das Gleiche:

       Ein Mensch, der sich nicht krümmt und seine Pflicht tut,

       selbst wenn sie ihn manchmal langweilt,

       der ist nichts weiter als ein – na ja,

       der ist einfach nur ein Schwächling. Ein Schlappschwanz!

       (aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920) 1

      Technologischer Fortschritt und Massenfertigung beschleunigten das Wirtschaftswachstum. Binnen kürzester Zeit schossen neue Unternehmen, Fabriken, Geschäfte und Büros wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem Boden. Dank neuer Fertigungstechnologien konnte man Produkte zu günstigeren Stückkosten produzieren und die Absatzmenge deutlich erhöhen. Für die Bevölkerung bedeutete dies Wohlstand. Wer Arbeit besaß, erfreute sich an seiner steigenden Kaufkraft und deckte seinen Bedarf an den neusten Produkten und Dienstleistungen. Die Menschen wurden zu Konsumenten, die mehr und mehr kauften und damit wiederum die Produktion anheizten. Produkte wurden standardisiert, normiert und zu immer größeren Stückzahlen abgesetzt.

      Dies brachte bald aber auch gewisse Probleme mit sich, denn auf eine Produktion solchen Umfangs waren viele Unternehmen organisatorisch nicht vorbereitet.2 Man besaß kaum Erfahrung bei der Bewältigung großer organisatorischer Abläufe. Organisches Wachstum, die Einführung von Hierarchien und Instanzen waren den Unternehmen und ihren Geschäftsführern fremd. Es mangelte an ausgebildeten Fachkräften, die sich mit den Abläufen in großen Organisationen auskannten, und es mangelte an Managern, die den Weitblick behielten. Viele Mitarbeiter wussten überhaupt nicht mehr, ob ihre Aufgaben sinnvoll waren, welche Rolle sie im System spielten und mit welchen Aufgaben man ihre Kollegen betraute. Abstimmungen untereinander waren fehlerhaft, die Beurteilung der eigenen Arbeitsqualität und die der Kollegen wurde immer schwieriger. Aus Mangel an Durchsicht konzentrierten sich die Arbeiter auf sich selbst und sahen ansonsten den wachsenden Missständen mit zunehmender Gleichgültigkeit entgegen. Effektive Zusammenarbeit war unter diesen Umständen kaum möglich. Die Folgen waren Misswirtschaft, Verschwendung, oft auch Korruption. In einigen Betrieben wuchsen die Probleme und die Unzufriedenheit dermaßen stark an, dass Konflikte zwischen Managern und ihren Untergebenen ausbrachen. Gegenseitige Schuldzuweisungen, Arbeitsniederlegungen und Streiks waren die Folge. Vorgesetzte beschuldigten die Angestellten der Verschleppung und Trödelei, Angestellte hielten ihre Chefs für willkürlich, unfähig und in ihren Aufgabenzuweisungen ambivalent.

      In den Büros sah es nicht viel besser aus als an den Fließbändern. Auf den Tischen der Schreibkräfte türmten sich Berge von Papier, Arbeitsprozesse gerieten