Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

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Название Von alten und neuen Bürowelten
Автор произведения Maik Marten
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783752926736



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wegfallen und von intelligenten Maschinen übernommen werden wird. Die beiden MIT-Wissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAffee sprechen demnach auch von einem zweiten Maschinenzeitalter, in dem wir uns derzeit befinden.8 Viele Berufsgruppen werden in den nächsten Jahren wegfallen. Potential für die menschliche Arbeitsleistung sieht man dafür weiterhin im Bereich der kreativen, schöpferischen Tätigkeiten. Ein Trend, der sich schon seit über 30 Jahren auch an den Löhnen erkennen lässt. Während gering qualifizierte Arbeitskräfte in diesem Zeitraum praktisch keinen Reallohnzuwachs zu verzeichnen haben, konnten Hochqualifizierte in derselben Zeit ihre Einkommen ungefähr verdoppeln.9

      Die Zäsur fand in den 1980er Jahren statt. Davor war der Wissensarbeiter eher ein theoretisches Konstrukt; eine Ausnahmeerscheinung spezifischer Unternehmen und Branchen. Ab den 1980er Jahren begann die Informations- und Kommunikationstechnologie in ihrer Bedeutung die alten Industrien abzulösen. Wissen wurde zur neuen Ware, und mit ihr veränderte sich auch der Charakter der Arbeit und dessen Einfluss auf das Bürodesign – nicht nur für einzelne Unternehmen und Branchen, sondern für weite Teile der Wirtschaft.

      Darum soll es in diesem Buch gehen; um die Evolution der Büros und um diejenigen Menschen, die einen Großteil ihrer Arbeits- und Lebenszeit in ihr verbrachten und verbringen. Es ist wahrhaft keine kleine Gruppe der Bevölkerung: Knapp acht Millionen Beschäftigte üben derzeit in Deutschland eine Bürotätigkeit aus.10 Das sind immerhin ein Fünftel aller Erwerbstätigen. Nicht mitgerechnet sind diejenigen, die zumindest gelegentlich vor ihrem Computer am Schreibtisch sitzen. Zudem gibt es immer häufiger fließende Übergänge zwischen den Tätigkeiten. Während beispielsweise in den Fabriken die Automatisierung weiter voranschreitet und viele Tätigkeiten wegfallen, gewinnt die Forschungs- und Entwicklungsarbeit an Bedeutung. Ingenieure und Programmierer arbeiten in hybriden Arbeitsumgebungen und wechseln in hochautomatisierten Fertigungshallen zwischen festen und flexibleren Arbeitsplatzsituationen. Ihre Tätigkeit ist verstärkt von typischen Elementen der Büroarbeit geprägt.

      Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil werden die Anfänge der Büroarbeit beschrieben, bis zu jenem Moment, in dem sich ein sprunghafter Wandel im Charakter der Arbeit von repetitiven zu kreativen Tätigkeiten vollzogen hat. Es begann mit den familiären Kontoren und verstaubten Amtsstuben in der vorindustriellen Zeit. Mit dem rapiden Wirtschaftswachstum während der Industriellen Revolution entstanden dann im großem Maßstab Schreibsäle und white-collar factories für Millionen von Angestellten. Erst Jahrzehnte später folgten neue Konzepte, wie etwa das Action Office oder die Bürolandschaft. Dazu gab es auch schon immer regionale Unterschiede. In den USA und Großbritannien favorisierte man von jeher open plans und cubicles, auf dem europäischen Kontinent zieht man noch immer häufig das Einzelbüro vor.

      Im zweiten Teil kommen die Entrepreneure, Visionäre, Sinnsucher, New Worker, Digital Natives und Kreative in ihren bevorzugten Arbeitsumgebungen zu Wort. Ihre Wirkungsstätten unterscheiden sich fundamental von den standardisierten Büros der ersten Phase. Vorgestellt werden Arbeitswelten, die die Kreativität und Innovationsfähigkeit fördern sollen. Hier geht es um Werkstätten, Labore und Ateliers; ebenso wie um Creative Hubs, Innovation Labs, Third Places und Coworking Spaces.

      Während der erste Teil hauptsächlich einen Einblick in die historischen Arbeitsumgebungen der Büroarbeiter gibt, möchte ich im zweiten Teil auch die Hintergründe des aktuellen Bürodesigns beleuchten. Warum bevorzugen so viele Start-ups open spaces? Warum gleichen die Büros von Google, Facebook oder AirBnb mehr Club- und Sportanlagen? Was bedeutet der ganze Hype ums Coworking? Warum stellen einige Firmen den fun ganz oben auf ihre Prioritätenliste?

      Lange Zeit über galt Arbeit als notwendiges Übel. Es gibt unzählige Abhandlungen von Soziologen, Philosophen, Historikern und Ökonomen, die nicht mit Erklärungsversuchen geizen und nach Möglichkeiten suchen, dem Zwang zur Arbeit zu entkommen. Für den österreichischen Philosophen Frithjof Bergmann und Mitbegründer des Zentrums für Neue Arbeit (New Work) war das im 18. Jahrhundert eingeführte Lohnarbeitssystem Schuld an allem. Arbeit versklave die Menschen und mache sie zu unmündigen Lebewesen, die vor lauter Last, Monotonie und Stumpfsinn bald selbst nicht mehr sagen können, was sie wirklich, wirklich wollen. Mangels Perspektive bleiben sie in ihrer Situation gefangen. Die negative Haltung zur Arbeit scheint sich aber in jüngster Zeit geändert zu haben. Zumindest für einige Teile der Beschäftigten gilt: Sie arbeiten gerne, oft auch trotz hoher Arbeitslast, langen Arbeitszeiten und permanenten Stresszuständen. Für sie ist Arbeit kein notwendiges Übel, sondern ein sinnstiftender Lebensinhalt. Auch hier scheint es eine enge Verknüpfung zwischen veränderten Tätigkeiten, dem richtigen Arbeitsumfeld und neuen Werten zu geben.

      Das heutige Bürodesign wird von zwei besonderen Treibern bestimmt: Wettbewerbsdruck und schneller technologischer Wandel zwingen Unternehmen dazu, mehr Innovationsarbeit zu leisten. Das Bürodesign hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Kreativität und Innovationsfähigkeit seiner Nutzer und Nutzerinnen. Neben diesem Nützlichkeitsdenken geht es aber auch darum, Orte zu schaffen, an denen sich Menschen wohlfühlen. Vorbei sind die Zeiten nüchterner, allein auf Effizienz getrimmter Arbeitsplätze. Wer heute um die Gunst der talentiertesten Wissensarbeiter kämpfen möchte, tut gut daran, schöne Arbeitswelten zu erschaffen. Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila schrieb einst: „Wenn wir wollen, dass etwas Bestand hat, sorgen wir für Schönheit, nicht für Effizienz.“ Als Erwerbstätige verbringen wir rund ein Drittel unserer Zeit auf der Arbeit. Geht es uns nur um Produktivität und Effizienz und missachten wir dabei gänzlich Design und Ästhetik, verlieren wir einen wichtigen Teil unseres menschlichen Antriebes. Wir brauchen schöne Arbeitsumgebungen, um in ihnen inspiriert und erfüllt zu arbeiten. Gelungene Arbeitsumgebungen bieten daher auch immer beides: Funktionalität und Ästhetik.

      So bunt und vielfältig die Welt ist, in der wir heute leben und die wir uns tagtäglich neu erschaffen, so verschiedenartig sind auch die Anforderungen an das heutige Bürodesign. Nichts steht still, alles ist in Bewegung: Wir arbeiten im Wechsel, allein oder im Team, und wir genießen die Freiheit, nach flexiblen Arbeitszeitmodellen und an verschiedenen Orten im und außerhalb des Büros zu arbeiten. Nur wenig haben Louis Sullivans gleichförmige Zellen noch mit den heutigen Bürowelten gemeinsam. Weitaus besser passt daher das damals von ihm postulierte Designparadigma form follows function in unsere Zeit. Von diesen neuen Arbeitswelten wird hier erzählt. Von den erfolgreichen und weniger erfolgreichen Konzepten, von Gewinnern und Verlierern. Nicht alles ist Gold, was glänzt, aber vieles scheint sich seit den white-collar factories zum Besseren gewendet zu haben. Das bestätigen Stimmungsumfragen unter Angestellten. Nach einer aktuellen Studie unter deutschen Arbeitnehmern mit Bürojobs sind über 80 Prozent zufrieden mit ihrem aktuellen Büroarbeitsplatz.11 Aber sind die Büros damit auch auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet?

      Teil Eins

       Im Bann des

       Scientific Managements

      Kapitel I

      Von Kontoren, White-Collar Factories, Curtain Walls und dem vielleicht erfolgreichsten Innovation Lab der Welt

      Das Kontor

      Es gab sie schon im Mittelalter, im Hanseraum des nördlichen Europas und den italienischen Handelsstädten Venedig und Florenz; kleine kaufmännische Niederlassungen und Warenlager, die als Vorläufer der heutigen Büros gelten. Ab dem 16. Jahrhundert nannte man sie Kontore; abgeleitet aus dem französischen comptoir, was so viel wie Zahltisch bedeutet. Seit dieser Zeit, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, haben sich die Arbeitsweise in den Kontoren und deren Ausstattung nur geringfügig verändert. Bis auf wenige große Häuser blieben sie in der Regel kleine, familiengeführte Betriebe, in denen nur eine Handvoll Männer mit der Führung der Geschäfte betraut waren.

      Die übliche Gesellschaftsform war die der Partnerschaft. Wenn möglich, beteiligte man die eigenen Familienangehörigen, enge Bekannte oder Eingeheiratete. Dies schuf Vertrauen und ermöglichte eine bessere Kontrolle. Besonders