Название | Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol. |
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Автор произведения | Gerstäcker Friedrich |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754149591 |
Im ersten Moment, und in dem Gefühl ein bekanntes Gesicht vor sich zu haben, griff Herr Hobelmann nach seinem Hut; im folgenden Augenblick aber, als mit der Erinnerung an gestern Abend die Gestalt der Dame Form und Namen erhielt, erschrak er ordentlich.
Jene ungarische Gräfin, die sich für eine Steuerräthin hielt, auf offener Straße? - Jedenfalls hatte sie also gestern Abend eine unbewachte Gelegenheit wahrgenommen und war /58/ entsprungen - in dem Kleiderstaat, den sie auch heute trug, konnte sie recht gut gerade vom Balle kommen - und Herr Hobelmann blieb im ersten Augenblick, vollkommen unschlüssig über das, was er thun solle, stehen und sah ihr nach. Sein Gefühl für bürgerliche Sicherheit und Gerichte ließ ihn aber nicht lange in Zweifel, und die Frau Steuerräthin, die es sich nicht versagen konnte zurückzuschauen, ob der „freche Graf" durch den ihm zugeschleuderten Blick auch wirklich vernichtet sei, bemerkte zu ihrem unbegrenzten Erstaunen, daß er umdrehe und ihr folge. - Wollte er sie anreden? - ha, er sollte nur kommen, - sie fühlte sich gerade in der Stimmung, ihm mit kalten, dürren Worten zu sagen, wie sehr sie ihn geringschätze.
Obgleich sie sehr langsam ging, überholte sie aber der vermeintliche Graf doch nicht, sondern blieb in gleicher Entfernung hinter ihr, und als sie eine an ihr vorbeigehende Dame benutzte, den Kopf zurückzuwenden, sah sie sogar, daß der Unverschämte mit einem gerade dort stehenden Polizeidiener sprach und auf sie deutete.
Der liebe Gott nur weiß, weshalb sie dabei so erschrak, aber sie wurde leichenblaß, und war sie früher langsam gegangen, so verdoppelte sie jetzt ihre Schritte, dem verhaßten Menschen zu entkommen. Der Polizeidiener blieb aber nicht allein hinter ihr, sondern überholte sie sogar, und als er an ihr vorüberging, als ob er irgend ein anderes Ziel verfolge, drehte er sich nach ihr um und sah ihr in's Gesicht - dann ging er wieder langsamer, ließ sie vorbei und hielt sich nur in ihrer Nähe.
Herr Hobelmann dagegen, der jetzt glaubte seiner Pflicht genügt zu haben, indem er die Polizei auf ein der Gesellschaft gefährliches Individuum aufmerksam gemacht, zugleich aber auch mit der Sache weiter nichts zu thun haben mochte, drehte wieder um, um seinen vorhin begonnenen und durch die Steuerräthin unterbrochenen Weg fortzusetzen. Er hatte die Dame auch in der That schon beinahe vergessen, als er auf eine so eigenthümliche als wirksame Art auf's Neue an sie erinnert wurde.
„Ach, mein lieber Herr Graf," redete ihn eine ältliche /59/ Dame in einem mit großen Blumen besäeten Hut und in größte Toilette gekleidet an, indem sie auf ihn zutrat und, als er an ihr vorbeischlüpfen wollte, seinen Arm berührte, „das ist ja ein sehr glücklicher Zufall, der mich Sie hier finden läßt. Mein Mädchen ist heute Morgen nach dreistündigem Umherlaufen nach der mir von Franz gegebenen Adresse nicht im Stande gewesen, Sie aufzufinden. - Auch auf der Polizei war es nicht möglich, den Herrn Grafen zu erfragen, und ich wollte mir eben noch einmal Ihre richtige Adresse geben lassen."
„Die Königin von Birma!" dachte Hobelmann erschreckt. „Gleichfalls ausgekniffen? Die beiden Frauenzimmer müssen zusammen davongelaufen sein - das ist wirklich eine schöne Aufsicht in der Anstalt."
„Sie kennen mich am Ende gar nicht mehr?" lächelte die Frau Commerzienräthin, als sie sein bestürztes Gesicht bemerkte.
„Oh, ja wohl, Majestät," sagte Herr Hobelmann, noch unschlüssig ob er die Unglückliche sofort in Person festhalten und um Hülfe rufen, oder sie ebenfalls - wie vorhin die ungarische Gräfin - ungesehen verfolgen und dem ersten ihm begegnenden Polizeidiener anempfehlen solle. Natürlich mußte er nur jetzt noch, so lange sie in Freiheit war, auf ihre vermeintlichen Ideen eingehen. „Ich werde so leicht die Ehre nicht vergessen, bei Ihnen Audienz erhalten zu haben."
„Ja - um's Himmels willen," sagte die Frau Commerzienräthin erschreckt, „für wen - für wen halten Sie mich denn?"
„Majestät können, wenn Sie nicht erkannt sein wollen," sagte Herr Hobelmann, der das Erstaunen ganz falsch verstanden, „auf meine volle Discretion rechnen."
„Der Graf ist verrückt geworden; er ist rein übergeschnappt," dachte die bestürzte Dame und wollte sich schon mit einer Verbeugung zurückziehen - aber die zehn Louisd'or konnte sie doch nicht im Stiche lassen, und mit nur etwas ängstlicher Stimme sagte sie:
„Sie erinnern sich doch, daß Sie gestern Abend so freund-/60/lich waren, eine kleine Summe zum Besten der heidnischen Waisen zu unterschreiben?"
„Allerdings," erwiderte Herr Hobelmann ohne den mindesten Rückhalt, denn ein Widerspruch hätte ihm hier auf der Straße eine heftige Scene bereiten können - „mit dem Wunsche, daß das Geld segensreiche Früchte tragen möge."
„Er ist doch am Ende nicht verrückt," sagte sich die Frau Commerzienräthin. „Um Ihre werthe Adresse dürfte ich Sie dann wohl bitten," fügte sie laut hinzu, „wenn Sie das Geld nicht gerade bei sich haben sollten."
„Hm," dachte Herr Hobelmann - „so viel Verstand besitzt sie doch, daß sie das nicht vergessen hat. Geld kann sie aber nicht bekommen, lieber halt' ich sie mit der Adresse hin."
„Majestät," sprach er also, „Geld habe ich im Augenblick in der That nicht bei mir, die Adresse steht Ihnen aber mit Freuden zu Befehl, und es wird mir eine Ehre sein, dieselbe von Ihnen einzulösen."
„Er ist doch verrückt," dachte die Commerzienräthin - „wenn ich nur erst meine zehn Louisd'or von ihm hätte." Dabei nahm sie die ihr gereichte Karte, dankte Herrn Hobelmann und suchte so rasch als möglich aus der ihr unheimlich werdenden Nähe des Mannes zu kommen. Kaum war sie aber ein paar Schritte von ihm entfernt, als sie auch einen verstohlenen Blick auf die Karte warf, und zu ihrem Erstaunen dort keinen Grafentitel, sondern nur die einfachen Worte las:
G. Hobelmann,
Advocat und Notar,
und darunter war mit Bleistift geschrieben:
Nr. 17, Ecke der Kreuzgasse und Neuen Straße.
Wie hing das zusammen? - Aber es ließ sich auch erklären: das G. vorn bedeutete den Grafen, verschwieg aber den Rang, weil sich derselbe nicht wohl mit der Beschäftigung eines Advocaten vertrug. Was aber hatte ihn so zurückgebracht, daß er sich sein Brod mit einer seinem Rang so wenig entsprechenden Berufsart verdienen mußte? Und war er zurückgekommen, wie konnte er da, ächt gräflich, zehn Louisd'or für einen wohlthätigen Zweck unterschreiben? - Sie warf einen noch immer zweifelhaften Blick über ihre Schulter /61/ nach dem räthselhaften Grafen zurück und sah jetzt, daß er stehen geblieben war und ihr nachschaute. Aber wenn er kein Geld bei sich hatte, konnte ihr auch seine Person nichts nützen. Sie besaß ja nun seine richtige Adresse und er war ihr gewiß.
Hobelmann übrigens folgte ihr, wie sie sich abdrehte, gerade so wie der Steuerräthin, um sie ebenfalls sicheren Händen zu überliefern, als er plötzlich durch eine neue Erscheinung zurückgehalten wurde. Auf dem andern Gang nämlich kam eine ganze Gesellschaft lachend und scherzend heraus, und als er einen flüchtigen Blick hinüberwarf, wollte er seinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Vor sich nämlich sah' er die beiden hübschen jungen Mädchen von gestern Abend - mit der Einen hatte er selber getanzt - sah er außerdem jenes Fräulein von Losenbrett, die ihnen die entsetzlichen Gedichte vorgelesen, und noch eine andere Dame, auf deren Namen er sich nicht gleich besinnen konnte. Daß sie aber mit in die Anstalt gehöre, hätte er beschwören können, und zum Ueberfluß ging der junge unbändige Mensch, vor dem ihn sein Führer besonders gewarnt hatte, mit ihnen. Dieser Irrsinnige lachte und erzählte und that gar nicht, als ob er jeden Augenblick beim Kragen genommen und wieder zurück unter Schloß und Riegel geschafft werden könne.
Aber war denn das ganze Irrenhaus heute ausgebrochen? Denn daß man solchen Leuten gestattete frei umher zu gehen und ihre Mitmenschen zu gefährden, ließ sich doch nicht denken. Fast unwillkürlich nahm er auch