Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

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Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



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marinefarbenen Baumwollhose und einem schicken, cremefarbenen Pullover zurückzukommen.

      Inzwischen hatte Amy sich mit Jean auf die hintere Sitzbank verdrückt und Patty durfte nach vorn, neben Ben auf den Kutschbock steigen. Ungeschickt hangelte sie sich hinauf und setzte sich, ohne sich anzulehnen, kerzengerade auf den Rand der Bank.

      „Na, worauf warten wir noch? Bringen wir’s hinter uns!“, stieß sie ungeduldig hervor, als der Rancher nicht sofort losfuhr. Er betrachtete sie einen Moment gedankenverloren, ehe er mit der Zunge schnalzte und die Zügel auf die Kruppen der beiden Pferde fallen ließ. In langsamem Trab rollten sie in die Prärie hinaus.

      „Ihr habt sicherlich noch nie eine Rinderherde in freier Wildbahn gesehen“, brach Ben nach einer knappen Viertelstunde das beharrliche Schweigen seiner Begleiterinnen.

      „Bei uns gibt es nur normale Kühe“, lautete die bissige Erwiderung des vierzehnjährigen Mädchens neben ihm. „Und die stehen in Ställen…soviel ich weiß.“

      „Nein, haben wir noch nie!“ Jean beeilte sich, eine höfliche Bemerkung dazwischenzurufen. Sie wollte auf keinen Fall, dass Ben Arkin den Eindruck bekam, sie wäre ebenso arrogant und unleidig wie ihre kleine Schwester. Sie interessierte sich tatsächlich für das Leben hier draußen. Es war so ganz anders als alles, was sie bislang gesehen hatte. Alles hier roch nach Freiheit und Abenteuer und nach einem genau gegensätzlichen Leben zu dem, was sie seit ihrer Geburt erfahren hatte. Hier galten andere Werte, da zählte nicht das Geld auf dem Konto, die teuren Kleider oder das Auto in der Garage, um angesehener Bürger zu sein.

      „Wir fahren jetzt hinaus auf die Ostweide“, fuhr Ben seine Erläuterungen fort. „Die Tiere sind auf mehrere, kleinere Gruppen verteilt, damit das Weideland optimal genutzt werden kann. Außerdem ist es leichter, den Touristen dann etwas zu erklären und zu zeigen. Viele wollen ja unbedingt mithelfen und bei einer einzigen großen Herde ist das recht schwierig. Die, zu der wir jetzt dann gleich kommen werden, umfasst etwas dreihundert Mutterkühe mit ihren Kälbern. Jetzt im Frühjahr gibt es immer jede Menge zu tun, vor allem, bevor in Silvertown die Touristensaison am ersten Mai beginnt. Bis dahin müssen alle wichtigen Arbeiten erledigt sein, denn vor Oktober kommt man dann zu keinen großartigen Aktionen mehr. Touristen sind manchmal ganz schön anstrengend!“

      Spöttisch verzog Patty das Gesicht und verschränkte die Arme. „Gott sei Dank ist mir dieser der Teil der Menschheit bisher erspart geblieben!“

      Ben Arkin fiel keine passende Erwiderung ein. Mit einem fragenden Blick drehte er sich zu seiner Tochter um, die ihm ein triumphierendes, schadenfrohes Lächeln zuwarf.

      Jean dagegen ließ ihren Blick über die braune Ebene schweifen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich im Moment befanden. Weit hinter ihnen lag der Wald und vor ihnen schien nichts weiter zu kommen, als eine von sanften Hügeln und einzelnen Sträuchern zersetzte Grasebene, die erst am Fuß einer Gebirgskette endete. Von der Kuppe des nächsten Hügels aus hatten sie einen weiten Blick über das dahinterliegende, langgestreckte grüne Tal, in dem – noch weit entfernt und nur als winzige Punkte erkennbar – die Rinderherde graste.

      Der Ranchbesitzer versuchte, Patty auf andere Weise ein kleines Gespräch zu entlocken: „Welche Hobbys hast du denn bei dir Zuhause betrieben?“

      „Hobbys?“, wiederholte das junge Mädchen verständnislos und zitierte ganz von selbst ihre Mutter: „Die Zeit eines Menschen besteht nicht darin, sie mit sinnlosen Beschäftigungen totzuschlagen. Vielmehr ist es von großer Bedeutung, wenn man schon etwas unternehmen möchte, sich immer im Rahmen seiner gesellschaftlichen Stellung zu bewegen.“

      Ben starrte sie mit seinem typisch ernsten Gesicht ungläubig an, ehe er kurz den Kopf schütteln musste. „Es bleibt jedem selbst überlassen, womit er seine Lebenszeit verbringt. Für die einen sind Modeschauen, Bälle oder andauernde Partybesuche eben Zeitverschwendung und für die anderen nicht.“

      „Schön“, erwiderte Patty schnippisch. „Dann hätten wir das ja endlich geklärt!“

      Sie erreichten die Herde einige Minuten später und näherten sich bis auf wenige hundert Meter. Dort qualmte, neben einem abgestorbenen, halbvermoderten Baumstumpf, ein kleines Feuer und zwei Männer liefen in der Nähe umher.

      „Hoo!“ Ben hielt die beiden Hellbraunen an und zog die Handbremse an.

      Schmollend, ihm nicht mit ihren Ausführungen imponiert zu haben, lehnte Patty gleichgültig über der Armlehne. Einige Männer ritten mit ihren Pferden um die Herde herum und passten auf, dass die Tiere nicht nach einer Seite ausbrachen, während andere die jungen Kälber mit dem Lasso herausfingen.

      „Jetzt im Frühjahr müssen wir alle neugeborenen Rinder brennen“, fuhr Ben mit seinen Erklärungen fort, noch immer geduldig und kletterte vom Kutschbock. „Wir haben hier in der Gegend kaum Stacheldraht und meine beiden Nachbarn und ich werden auch nicht mehr als irgendnötig aufstellen. Wir sortieren im Herbst lieber die Rinder, die uns nicht gehören, wieder heraus. Schon aus Sicherheitsgründen für die Tiere und bisweilen auch für ungeschickte Touristen. Aber deshalb ist es wichtig, dass jedes Tier seinen Brand trägt. Nachdem um diese Jahreszeit jeden Tag neue Kälber geboren werden, ist das immer ziemlich viel Arbeit für die Männer!“ Amy und Jean waren bereits von der Kutsche gesprungen. Energisch gab Ben Arkin seinem jüngsten Gast einen Wink. „Rinder brennen ist eine der wichtigsten Arbeiten eines Cowboys!“ Er lächelte stolz. „Aber dafür habe ich auch weit und breit die besten, die man sich als Rancher wünschen kann.“

      „Dafür werden Sie von Ihnen ja wohl auch bezahlt, nicht wahr?! Ich habe trotzdem nicht vor, einer zu werden!“, fuhr Patty ihn ungehalten an, rutschte aber doch mit vorsichtigen Verrenkungen vom Wagen, da sie auf keinen Fall alleine zurückbleiben wollte. Es konnte ja passieren, dass die Pferde am Schluss noch mit ihr durchgingen! Eine düstere Miene machend vergrub sie ihre Hände in den Hosentaschen und folgte Ben in einigem Abstand.

      Amy und Jean waren ihnen bereits vorausgelaufen und standen nun bei den Männern. Der eine war Trey Stockley und der andere der Vormann.

      „Na, kleiner Teufel?“, neckte der rotblonde junge Mann die Rancherstochter und kniff ihr spielerisch mit zwei Fingern in die Wange.

      „Du bist schon wieder ganz schön frech!“, wehrte das Mädchen ab und schlug mit der flachen Hand nach ihm.

      „Tss…eine Laune ist das heute!“ Er wandte sich an Jean. „Na, mal zuschauen, was wir so treiben den ganzen Tag?“

      „Ich habe so etwas noch nie gesehen!“ Jean strahlte und hüpfte wie ein kleines Kind vor Aufregung auf der Stelle. „Das ist alles so spannend hier!“

      „Deine Schwester scheint da anderer Meinung“, erwiderte Amy mit einem Seitenblick auf Patty, die langsam mit Ben zu ihnen herübergeschlurft kam.

      „Ich weiß.“ Jean seufzte. Warum musste Patty ihr nun schon wieder den Nachmittag verderben? „Sie war schon immer etwas kompliziert.“

      „Hey!“, mischte sich Dan in dieser Sekunde streng ein und verpasste Trey einen Schlag auf den Rücken. „Sobald du den Rindviechern beigebracht hast, sich selber zu brennen, kannst du von mir aus deine Mittagspause verlängern!“ Er deutete mit dem Daumen hinter sich.

      In diesem Moment kam Chris McKinley auf seinem weißen Wallach mit den kaum sichtbaren, hellen Flecken angetrabt. Er schleifte ein, sich mit allen Kräften zur Wehr setzendes, bockendes Kalb am Lasso hinter sich her.

      „Diese Viecher machen mich noch wahnsinnig!“, rief er. „Das ist jetzt erst das zweite! Heute sind sie sowas von stur und widersetzlich!“

      „Wenn du weniger danebenwerfen würdest, ginge es auch schneller!“, kommentierte Trey, frech grinsend.

      Chris bedachte ihn mit einem vielsagenden, säuerlichen Blick, während er aus dem Sattel sprang und dem Vormann dabei half, das Kalb zu Boden zu ringen. Mit beiden Knien drückte Dan es auf die Erde.

      „Jetzt pass auf!“, sagte Ben zu Patty, die drei Schritte neben ihm stand, als Trey sich nun nach dem im Lagerfeuer liegenden, glühenden Brandeisen bückte. Befremdet beobachtete sie, wie