Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning

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Название Eine Partie Monopolygamie
Автор произведения Kolja Menning
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752915013



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      »If it’s not a problem for you ...«, erwidere ich.

      »Pass auf«, wendet Frau Jones sich an Désirée, »wir machen den Teig noch fertig und dann gehst du zu euch, ja? Wenn der Kuchen fertig gebacken ist, bringe ich dir ein Stück.«

      »Und mir?«, meldet sich Emil zu Wort.

      »Dir auch«, sagt Frau Jones mit einem Lächeln.

      »Und Gwen auch?«

      »Natürlich!«

      Während wir auf Gwenael und Désirée warten, spiele ich mit Emil Karten. Doch ich bin mit meinen Gedanken so sehr bei dem Gespräch mit Frau Wagner heute Mittag und dem Gespräch, das ich unweigerlich heute Abend mit Gwenael führen muss, dass ich nicht bei der Sache bin. Ich vergesse sogar, Emil gewinnen zu lassen.

      »Du hast Glück heute«, bemerkt er. »Sonst hab’ ich immer Glück.«

      »Zu meinem Geburtstag wünsch’ ich mir ein iPad«, verkündet Désirée, als wir später gemeinsam beim Abendbrot sitzen. »Alle meine Freundinnen haben iPads.«

      »Dann will ich auch eins!«, sagt Emil sofort.

      Gwenael sagt nichts. Gewiss hätte auch er gern ein iPad, doch er weiß genau, dass ich für so etwas niemals mehrere hundert Euro ausgeben würde. Mir ist wohl bewusst, dass er darunter leidet; auch seine Klassenkameraden haben iPads oder Spielkonsolen und verbringen einen Großteil ihrer Freizeit damit, nicht nur Minecraft oder Fortnite zu spielen, sondern auch darüber zu reden. Ich beobachte Gwenael. Hat er sich wirklich verändert, wie Frau Wagner meint? Er ist tatsächlich schweigsam. Aber vielleicht ist er nur gedanklich bei dem Gespräch, von dem er genau weiß, dass wir es nach dem Abendessen führen werden. Er weiß, was er getan hat und was Frau Wagner mir gesagt hat.

      »Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«, frage ich Désirée beim Abräumen.

      »Hab’ ich doch schon gestern gemacht«, erklärt sie fröhlich.

      Nachdem ich dich fünfmal aufgefordert habe, denke ich.

      »Aber die waren ja für heute, kleines Fräulein. Hast du heute keine Neuen aufbekommen?«

      »Na-hein«, singt sie.

      »Bist du sicher?«

      »Ja-ha.«

      »Na gut«, sage ich. »Dann kannst du mit deinem kleinen Bruder spielen gehen. Gwenael und ich haben noch was zu besprechen.«

      »Wegen der Sechs in Mathe?«, erkundigt sich Désirée. »Was hat seine Lehrerin denn gesagt?«

      »Geht bitte in euer Zimmer«, sage ich.

      Es kommt mir fast wie ein Wunder vor, dass sie widerspruchslos gehorchen. Emil schließt sogar die Tür, und gleich darauf ertönt das Radio.

      »Frau Wagner macht sich Sorgen um dich«, beginne ich. Als er nichts sagt, fahre ich fort: »Du weißt, was Frau Wagner mir gesagt hat. Sie hat mir von der Mathearbeit erzählt, auch, dass Herr Stein dich verdächtigt, bei einem Klassenkameraden abgeschrieben zu haben. Außerdem hast du am Freitag den Englischunterricht geschwänzt. Wieso hast du das getan?«

      Ich warte eine ganze Weile. Schließlich spricht er:

      »Englisch war nach Mathe. Am Ende der Mathestunde haben wir die Arbeit wiedergekriegt. Ich wollte nicht, dass die anderen sich über mich lustig machen, weil ich eine Sechs habe.«

      Ich überlege. Das klingt irgendwie plausibel. Oder vielleicht will ich, dass es so klingt?

      »Und hast du wirklich abgeschrieben?«, frage ich ihn, bemüht, nicht vorwurfsvoll zu klingen?

      Er starrt mich an. Dann nickt er.

      Scheiße!, denke ich.

      »Aber wieso? Du kannst Mathe doch!«

      Er zuckt mit den Schultern. »Irgendwie konnte ich mich an nichts mehr erinnern«, sagt er dann. »Mir war bisschen schwindelig und ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Es war wie ein Blankout.«

      »Blackout«, korrigiere ich ihn, bin aber in Gedanken anderswo. War er einfach so nervös geworden, dass er kurzzeitig alles vergessen hatte und sich nicht anders zu behelfen wusste, als bei seinem Sitznachbarn abzuschreiben?

      Ich frage nicht nach der Schach-AG, weil mir das im Moment nicht so wichtig erscheint. Zu Hause spielt er täglich mit Emil.

      »Und diese zwei Jungs?«, frage ich stattdessen. »Sind das neue Freunde von dir?«

      »Freunde würde ich nicht grad’ sagen«, antwortet Gwenael zögernd. »Sie sind ... ganz nett.«

      Frau Wagner hatte die Jungs als keine gute Gesellschaft für Gwenael und als Störenfriede bezeichnet. Ich atme tief durch und springe über meinen eigenen Schatten.

      »Willst du sie mal einladen?«, frage ich Gwenael.

      Seine Überraschung ist ihm deutlich anzusehen.

      »Nein, nein«, sagt er, und ich bin fast beruhigt, dass diese neuen Freundschaften doch nicht allzu wichtig für ihn zu sein scheinen.

      »Hör zu, Gwenael«, sage ich, um dieses unangenehme Gespräch zu einem Abschluss zu bringen. »Ich werde Frau Wagner eine E-Mail schreiben. Ich werde ihr sagen, dass wir uns unterhalten haben und wie es sich zugetragen hat. Da du ja sonst keine Probleme in der Schule hast, ist die Sache damit hoffentlich abgehakt. Aber du musst mir versprechen, dass so was nicht wieder vorkommt! Hast du mich verstanden?«

      »Ja, Mama«, sagt er und senkt den Blick.

      »Gut. Dann komm her.«

      Er steht auf und trottet um den Tisch herum zu mir. Ich schließe ihn in die Arme. Und nach ein paar Sekunden legt auch er seine Arme um mich und drückt mich an sich.

       Kapitel 4

      Am Mittwoch habe ich ab 14 Uhr frei und treffe mich mit Melanie zu einem späten Mittagessen. Das tun wir regelmäßig. Wir kaufen uns einen Salat bei Lidl und setzen uns in einem Park auf eine Bank. Melanie erzählt von ihrem Freitagabend, den sie mit Anton in einem sehr guten Restaurant um kurz nach zehn begonnen und viele Stunden später in ihrem Bett beendet hat, nachdem Anton sie mehrfach »geliebt hat«, wie Melanie es ausdrückt. Seit Melanie mit Anton geschlafen hat, berichtet sie mir von ihren sexuellen Erlebnissen in einer Detailtiefe, auf die ich verzichten könnte. Nicht, weil ich meine Freundin um ihr frisches Liebesglück beneiden würde. Ich könnte darauf verzichten, weil sie ihre Erzählung jedes Mal mit dem Unausweichlichen schließt.

      »Ich wünsche dir so sehr, dass du auch jemanden wie Anton findest«, sagt sie schwärmerisch.

      »Mel, du weißt genau, dass ich keine Zeit für so was habe. Ich habe drei Kinder«, bete ich meine Standardantwort herunter.

      »Deswegen brauchst du jemanden wie Anton«, fährt Melanie unbeirrt fort. »Jemanden mit Erfahrung! Der vielleicht auch Kinder hat und das versteht.«

      Als ich nichts sage, fügt sie hinzu: »Clara, du bist die attraktivste vierzigjährige dreifache Mutter, die es gibt! Weder die Kinder noch dein Alter sieht man dir an. Wenn ich ein Mann wäre, wärst du nicht vor mir sicher – egal, ob ich dreißig, vierzig oder fünfzig wäre.«

      Wir schweigen eine Weile.

      »Hast du schon von Fair^Made gehört?«, wechselt Melanie schließlich das Thema.

      Ich schüttele den Kopf.

      »Sind ja noch ein paar Tage«, meint Melanie mit einer Zuversicht, die ich nicht teile.

      Doch auch die verstreichen ohne Nachricht von Fair^Made. Als ich am Freitagvormittag bei dem Grafen und der Gräfin putze, spüre ich meine Nervosität. Obwohl ich schon seit einer Woche weiß, dass ich den Job niemals bekommen werde, ist da irgendwo tief in mir ein Schimmer Hoffnung, der dahinschmilzt, je mehr die Zeit voranschreitet. Alle paar Minuten zücke ich mein altes