Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning

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Название Eine Partie Monopolygamie
Автор произведения Kolja Menning
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752915013



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an die fünfzig Euro, die ich bei den Grafs genommen habe, obwohl mir nur siebenunddreißig Euro fünfzig zustanden. Die Welt verbessern will ich auch nicht – einfach nur über die Runden kommen.

      »Aber trotz deiner drei Kinder siehst du mit deinem Yogakörper aus wie dreißig«, insistiert Melanie. »Höchstens fünfunddreißig. Dein Alter spielt auch keine Rolle! Du bist gebildet und intelligent – und siehst mit deiner Brille auch so aus. Sexy und intelligent. Du hast studiert und liest deinen Kindern griechische Sagen vor.«

      »Und ich putze die Wohnungen anderer Leute.«

      »Weißt du, was ich an dir mag, Clara Magdalena Nussbaum?«, fragt Melanie. »Deinen unbändigen Optimismus. Der ist schon wirklich erfrischend.«

      Wir schweigen einen Moment. Dann nimmt Melanie das Gespräch wieder auf.

      »Und wie war das tatsächliche Interview?«

      »Eigentlich nicht schlecht«, gebe ich zu. »Du hast mich wirklich gut vorbereitet.«

      Ich erzähle ihr von dem Gespräch.

      »Das hört sich doch super an«, findet Melanie. »Und wieso meinst du dann, dass das nichts wird?«

      »Die wollen nur die Besten«, wiederhole ich Viktorias Worte. »Die Besten – da gehöre ich einfach nicht dazu.«

      »Woher willst du das wissen?«, fragt Melanie.

      In diesem Moment bewegt sich etwas zu meiner Linken.

      »Du bist die beste Mama«, sagt Gwenael im Schlaf, wälzt sich auf den Bauch und legt sein Bein quer über seine Schwester. Dies sind die Momente, die das Leben dann doch lebenswert machen. Ich blicke einen Moment auf meine drei schlafenden Kinder. Dann muss ich wieder daran denken, dass Frau Wagner Gwenaels Verhalten merkwürdig findet. Was mag da wohl passiert sein? Mir ist nichts aufgefallen.

      »Clara, bist du noch da?«, reißt mich Melanie aus meinen Gedanken.

      »Was? Ja, ja. Was hast du gesagt?«, frage ich etwas leiser.

      »Du wolltest mir erklären, wieso du nicht zu den Besten gehörst«, erinnert mich Melanie.

      »Ich habe im Leben noch nie zu den Besten gehört«, erkläre ich.

      »Aber du hast dein Bestes gegeben.«

      »Ja«, stimme ich zu. Nur dass mein Bestes nicht gut genug gewesen sein wird.

      »Und wann geben sie dir Bescheid?«

      »Bis nächsten Freitag«, antworte ich.

      »Ich drück’ die Daumen«, sagt Melanie. »Clara, ich muss jetzt los. Ich gehe mit Anton essen.«

      Ich nehme kurz das Handy vom Ohr und blicke auf das Display. 22.05 Uhr. Melanie ist neununddreißig. Im Unterschied zu mir hat sie keine Kinder. Stattdessen hat sie seit ein paar Wochen Anton. Ende vierzig, geschieden, zwei Kinder, die mit ihrer Mutter irgendwo in Bayern wohnen. Was genau Melanie an ihm findet, weiß ich nicht, doch es ist mir auch egal, solange sie glücklich ist.

      »Sehen wir uns dieses Wochenende?«, frage ich.

      »Dieses Wochenende geht nicht«, erwidert Melanie. »Anton und ich fliegen nach Rom!«

      »Viel Spaß!«, wünsche ich ihr zum Abschied.

      Nicht nur Viktoria Königs Leben ist ganz anders als meins. Auch das meiner besten Freundin hat nur wenig mit meinem gemein. Sie reist übers Wochenende mal eben nach Rom. Ich hingegen werde ein recht gewöhnliches Wochenende haben. Einkaufen, mit den Kindern auf Spielplätze gehen, darauf achten, dass auch Désirée ihre Hausaufgaben macht. Vielleicht gelingt es mir, spontan einen Yogakurs zu geben und mir so ein paar Euro dazuzuverdienen. Und zur Abwechslung werde ich mal unsere Wohnung putzen. Und während Melanie sich am Freitagabend fertigmacht, um mit ihrem neuen Freund auszugehen, liege ich erschöpft im Bett in dem Bewusstsein, dass mir in spätestens fünf Minuten die Augen zufallen werden.

       Kapitel 2

      Gwenael und Désirée gehen üblicherweise gemeinsam zur Schule, während ich Emil in die Kita bringe. Montags muss ich mich sputen, weil ich um 9 Uhr bei den Jones putze, einem älteren Paar aus Nordengland. Sie wohnen im selben Gebäude wie wir – nur drei Etagen höher. Ich habe ihnen viel zu verdanken. Als ich nach der Elternzeit keine Arbeit gefunden habe, haben sie mir angeboten, für großzügige fünfzehn Euro pro Stunde bei ihnen zu putzen und nach dem Rechten zu sehen. Sie kommen zwar gut allein zurecht, fühlen sich aber sicherer, wenn sie jemanden im Haus wissen, an den sie sich im Bedarfsfall wenden können. Also bin ich montags und donnerstags je von neun bis elf bei ihnen. Dank der Jones habe ich auch meine anderen Putzjobs bekommen. Mittwochs putze ich drei Stunden bei ihrer Tochter, die nach ihrer Hochzeit mit einem Deutschen nun Petrowski heißt. Frau Petrowski wiederum hat mich an die Familien Bauer und Eichner empfohlen, bei denen ich je vier Stunden putze: bei den Bauers am Dienstag, bei den Eichners am Donnerstag.

      Bei den Jones bleibe ich etwas länger. Sie sind als Einzige fast immer zu Hause, wenn ich da bin. Als ich fertig bin, mache ich den beiden einen Tee und leiste ihnen eine halbe Stunde Gesellschaft, worüber sie sich sichtlich freuen. Normalerweise habe ich dafür keine Zeit, da ich zu den Kramers muss, doch heute habe ich den Termin um 12.30 Uhr mit Gwenaels Klassenlehrerin.

      »Vielen Dank, dass Sie kommen konnten«, beginnt Frau Wagner, nachdem sie mich in einen Raum, wo wir ungestört sind, geführt hat, und schenkt mir ein etwas künstliches Lächeln.

      »Selbstverständlich«, sage ich.

      »Ich wollte Sie sprechen, weil ich mir Sorgen um Ihren Sohn Gwenael mache«, wiederholt sie das, was sie mir schon geschrieben hat.

      »Es geht vermutlich um die Mathearbeit?«, frage ich und hoffe, dass es nur das ist.

      »Nicht nur«, enttäuscht Frau Wagner meine Hoffnung. »Gwenael ist schon immer ein zurückhaltender Junge gewesen, doch normalerweise arbeitet er gut. Ich habe am Freitag mit Herrn Stein gesprochen. Er hat mir erklärt, die Arbeit sei zwar nicht leicht gewesen, doch Gwenael hatte in den anderen Klassenarbeiten eine Zwei plus und eine Eins. Die Sechs kommt da völlig unerwartet.«

      Ich nicke. So sehe ich das auch.

      »Herr Stein meint auch«, fährt sie fort, »dass Gwenael den Stoff beherrschte. Er hatte vor der Klassenarbeit immer die Hausaufgaben gemacht und dabei nie Fehler. Herr Stein, der Ihren Sohn mag, hatte wohl im Stillen gehofft, dass Gwenael wieder eine Eins schreiben würde, damit er ihm auf dem Zeugnis eine Eins geben könnte, obwohl er im Unterricht wenig sagt. Haben Sie eine Erklärung für die Note?«

      »Natürlich habe ich mit Gwenael darüber gesprochen«, antworte ich. »Er meint, er sei nicht so gut drauf gewesen.«

      »Nicht so gut drauf gewesen?«

      »Das waren seine Worte«, bestätige ich.

      Frau Wagner blickt mich an. Ihr Blick sagt mir, dass Gwenael das zwar gesagt haben mochte, das aber in ihren Augen auf keinen Fall der Grund für die schlechte Leistung sein konnte.

      »Frau Nussbaum«, beginnt sie, »ich befürchte, die Sache ist etwas ernster.«

      Ich schlucke.

      »Herr Stein meint, Gwenael könnte von einem anderen Schüler abgeschrieben haben.«

      »Um dann zwei von zweiundfünfzig Punkten zu erreichen?«, rufe ich aus. »Herr Stein muss sich irren!«

      »Frau Nussbaum«, sagt Frau Wagner ruhig, »Herr Stein ist sich sehr sicher, dass einer der beiden Schüler bei dem anderen abgeschrieben hat. Alle Ergebnisse sind absolut identisch. Da bis auf die ersten zwei Aufgaben alle Ergebnisse falsch sind, ist das äußerst auffällig.«

      Mein Herz hat begonnen, schneller zu schlagen. Frau Wagner hat recht. Wenn zwei nebeneinandersitzende Schüler die gleichen Fehler machen, ist das sehr auffällig.

      »Vielleicht hat der andere Schüler bei Gwenael abgeschrieben«, schlage ich vor und