Mein Begräbnis. Und andere Grotesken. Hanns Heinz Ewers

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Название Mein Begräbnis. Und andere Grotesken
Автор произведения Hanns Heinz Ewers
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847667377



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Was müssen wir also tun?

      Eine Verbindung herstellen: eine Uteroenterostomie machen, wie sie der Professor Babywater von der Harvard-Universität längst, freilich zu ganz anderen Zwecken, mit Erfolg ausgeführt hat. Die kleine Operation wird natürlich möglichst hoch ausgeführt, damit die Verbindung möglichst nahe am Magen ist.

      Es kann als ausgemacht gelten, dass, wenn wir diese Operation an einer Reihe von Generationen gemacht haben, in frühester Jugend natürlich, sie bei späteren Geschlechtern überhaupt nicht mehr nötig sein wird, dank des Akklimatisationsprinzips des Organismus an diese neue Funktion.

      Unsere Frauen müssen dann viel Kalk und Phosphor zu sich nehmen, um jederzeit in der Lage zu sein, die nötigen Eierschalen zu erzeugen. Auch die durch therapeutische oder mechanische Mittelchen zu bewirkende Hysterokontraktion, die wir bei den ersten Generationen wohl noch anwenden müssen, um zu einer beschleunigten Legung der jeweiligen Eier zu kommen, wird späterhin aus demselben Grunde gewiss nicht mehr nötig sein: Unsere Urenkelinnen werden so leicht und nett Eier legen können wie das beste Hühnchen. Ein ganz ähnliches Verfahren aber, wie es der berühmte französische Geflügelzüchter Poulain d’Or in Cambray zur Vergrößerung des Ovariums und zur starken Vervielfältigung seines Inhalts durch die Anwendung von Yohimbin-Rinde einerseits und Radiumbestrahlung zur Vermehrung der Wachstumsenergie andererseits mit so verblüffendem Erfolge angewandt hat, wird unsere Frauen instand setzen, nicht nur einmal monatlich, sondern jeden Tag, ja besonders kräftige Frauen sogar zweimal am Tag, mühelos ein wunderschönes Ei zu legen, etwa in der Größe eines Schwaneneis.

      Man denke nur an die Bereicherung unseres Volkswohlstands durch die Tätigkeit der Ledas der Zukunft. Wir haben in Deutschland etwa 20 Millionen Frauen im Alter von fünfzehn bis fünfundvierzig Jahren, diese können täglich bequem 25 Millionen Eier legen, also einen Zuschuss zu unserem Nationalkonsum, der gerade heute bei der wirtschaftlichen Depression unserem Volkswohlstand sehr zustattenkommen wird.

      Will jemand ein Ei ausbrüten lassen, so gibt er es in eine öffentliche Brutanstalt, eine Ovaroembryopädocouveuse, die eine geniale Verbindung unserer jetzigen Hühnerbrutanstalten mit den einfachen Embryocouveusen unserer Tage darstellen werden. Und man wird es natürlich vermeiden, Eier von kranken, dummen, hässlichen Frauen ausbrüten zu lassen, vielmehr dazu nur auserwählte Exemplare von besonders schönen, gesunden und klugen Frauen nehmen. Dass man durch meine Idee auch gleich ein halbes Dutzend anderer Probleme, über die sich heute alle Welt vergebens den Kopf zerbricht, im Handumdrehen so nebenher mitlösen kann, ist ohne Weiteres klar. So die soziale Frage: Sozialdemokratische Eier werden einfach nicht ausgebrütet, liberale nur in sehr beschränktem Maßstabe. Die kriminelle Frage, die religiöse Frage: Verbrechereier, Atheisteneier und Monisteneier werden nicht ausgebrütet. Am besten wäre es gewiss, überhaupt nur gut katholische Eier ausbrüten zu lassen.

      Und da ja die moderne Kunst und das, was mit ihr zusammenhängt, allen Unflat und Unrat in Wort und Bild auf die Welt trägt, so kann man auch hier reinigend wirken: Eier, die zu modernen Malern und Dichtern in irgendwelcher Beziehung stehen, dürfen unter keinen Umständen ausgebrütet werden. So wird dieser Richtung einfach der Nachwuchs entzogen und die Kunst ganz von selbst in patriotische Bahnen gelenkt.

      Der gute Bürger aber, der ein behördliches Zeugnis beibringen kann, das seine Eierausbrütungsberechtigung bescheinigt, trägt einfach ein schönes Ei seiner lieben Frau, oder, wenn die keine extraschönen legen kann, ein anderes prächtiges, das er geschenkt bekommen oder billig gekauft hat, in die Brutanstalt, schreibt seinen Namen darauf und lässt es in den Glaskasten legen.

      Wenn man noch besonderes Interesse hat, kann man dann und wann hingehen, es zu begucken, namentlich der Moment ist gewiss lustig, wo der neue kleine Kerl seine Schale sprengt.

      Sonst aber kommt man erst nach zwei Jahren wieder, denn man wird sich den Pappus ja erst abholen, wenn er ganz stubenrein ist; solange lässt man ihn in der Ovaroembryopädocouveuse.

      Die ganze Indezenz des heutigen Kinderkriegverfahrens ist so vermieden; die Ästhetik triumphiert und mit ihr die Moral. Die Frauenfrage ist auch gelöst, die Frau ist dem Manne vollkommen gleich, da ihre Gesundheit durch nichts Eigentümliches mehr gestört wird. Denn das bisschen Eierlegen macht ihr keinerlei Beschwerden, im Gegenteil hat sie vor dem Manne noch einen großen ökonomischen Vorteil, denn ein oder gar zwei Eier täglich sind immerhin etwas wert!

      Ferner werden auf diese Weise –«

      Soweit war ich gekommen, als ich bemerkte, dass Herr Oberlehrer Dr. Schulze stark glucksende Töne ausstieß, die sich unangenehm in das zunehmende Grunzen der Prostituierten Knäller mischten. Der Droschkenkutscher hatte die während meiner Rede eingetroffene achtzehnte Runde Grog allein ausgetrunken und schlief.

      Ich weckte ihn und machte ihm Vorwürfe wegen seiner Unachtsamkeit, er versöhnte mich aber wieder, sodass ich mit ihm Brüderschaft trank. Dann übernahm er es, mich nach Hause zu fahren und zu Bett zu bringen. Meinen Freund, den Oberlehrer Dr. Schulze aus Köpenick, überließen wir der Obhut der Prostituierten Knäller. Was mit ihnen dann noch wurde, kann ich nicht sagen.

      Das sind die einfachen Tatsachen, denen ich nur noch eine Hypothese, die ich leider nicht beweisen kann, hinzufügen möchte: Als ich mich nämlich heute auf der Polizei nach dem jetzigen Wohnorte der Prostituierten Knäller erkundigte, deren Zeugenschaft für meine Priorität des Anthropoovaropartus natürlich wertvoll war, erfuhr ich, dass sie bereits vor zwei Jahren von Berlin fort sei und sich vermutlich nach London gewandt habe.

      Ich bin überzeugt, dass sie auf Picadilly die Bekanntschaft entweder des Prof. Paidscuttle oder des Dr. Feesemupp gemacht und als verräterische Metze diesen beiden Herren meine Idee des Anthropoovaropartus eingeblasen hat.

      Aber mögen diese Söhne Albions immerhin Kapital daraus schlagen, der große Gedanke gehört doch mir: dem ideal veranlagten, humanistisch gebildeten Deutschen.

      Die vornehme Elly

      Wenn man durch siebzehn Generationen hindurch alte Teppiche gestohlen hat, so ist es begreiflich, dass man in der achtzehnten sich nach Anstand, in der neunzehnten nach Wohlstand und in der zwanzigsten nach Vornehmheit sehnt.

      Elly Bärwald hatte schon einen ganz anständigen Großvater und höchst wohlhabende Eltern; da war es kein Wunder, dass sie selbst wirklich vornehm war.

      Ihre Schneiderin hatte einmal zu ihr gesagt: »Wenn man zu Ihnen spricht, drängt sich einem unwillkürlich das Wort ›Komtesse‹ auf die Lippen.«

      Da hatte Elly Bärwald mit den Achseln gezuckt: »Nehmen Sie Ihre Maße und behalten Sie Ihre Redensarten für sich!«

      Und das hatte der Schneiderin natürlich noch mehr imponiert.

      Wenn Elly Bärwald ihr Kleid schürzte, um über den Straßendamm zu gehen, so fasste sie es vorn, nicht rückwärts. Sie hatte durchgesetzt, dass ihr Vater den blonden Assessor nicht mehr einlud, seitdem er sich Mosel ins Bordeauxglas eingeschenkt hatte. Sie rauchte nie, nur in der Mitte des Diners eine langgemundete Zigarette, beim Punch Romain vor dem Metzer Masthuhn.

      Mit den Jahren verinnerlichte sich ihre Vornehmheit. Sie machte einen Kultus daraus, eine gewundene Ästhetik, die auf die abstrakte Linie hinauslief.

      »Man muss Kopenhagen leben!«, sagte sie.

      Und das tat sie auch, psychisch wenigstens. Sie träumte in milchweißen und graublauen Porzellantönen und inspirierte einen jungen Dichter zu einem sehr seltsamen Essay über die Entwickelung einer neuen Kunst aus dem Flammentanze der Füller. Sie fühlte, dass in der endlichen Überwindung aller Raumverteilung die Zukunft des Kunstgewerbes lag.

      »Sie sind eben so ganz anders«, sagten ihre Verehrer.

      Elly Bärwald ließ sich die Fingernägel küssen, die sie leicht mit Henna gerötet hatte.

      »Das ist nicht mein Fehler«, sagte sie. »Warum sind die anderen nicht so wie ich?«

      Freiherr