Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten. Joachim Kath

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Название Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten
Автор произведения Joachim Kath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659433



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zu geringer Emotionalität. Mein Leben als Wissenschaftler und Berater von steinreichen Großunternehmern ist nicht vorbei, aber ich habe beschlossen, es für einige Zeit zu suspendieren. Ich lasse los! Keine einfache Übung über einem Abgrund der Skandale und der Unwissenheit! Doch wie soll ich es sagen? Ich bin ein Mensch, der zwischen Ideal und Wirklichkeit seine Freiheit finden will. Der Weg zur Freiheit war bei mir zunächst die Wissenschaft und ist jetzt der Sport. Ich erhoffe mir von diesem krassen Schwenk mehr Dynamik im Lebensgefühl.“

      „Wenn Sie irgendwo ein Turnier spielen, Sir, lassen Sie es mich bitte wissen“, sagte ich.

      „Ich habe noch nie eins gespielt“, erwiderte er.

      „Aber Sie wollen ein Turnier mitmachen, habe ich recht? Sie brennen darauf, sich aus der Entfernung, nur durch ein Netz getrennt, zu duellieren!“

      „Ja, es ist nur konsequent. Ich fliege nächsten Dienstag nach Nordafrika“, sagte er, „über London. Meine Koffer sind schon gedanklich gepackt. Ich werde vier brandneue Schläger im Gepäck haben.

      „Jetzt Ende Februar ist das Meer dort zum Schwimmen noch zu kalt“, zweifelte ich.

      „Der Sog des Meer ist dort das ganze Jahr über ohnehin zu gefährlich zum Schwimmen, aber man kann schon jetzt draußen Tennis spielen“, sagte er cool.

      „Wohin genau?“ fasste ich nach, nicht zuletzt mein Buchprojekt im Sinn.

      „Agadir in Marokko“, tönte es zurück. Und dann – ich wollte gerade nach dem Hotel fragen: „Club Kasbah, 16 Plätze, alle Sand!“

      2. Kapitel

      Der König kommt, der König ist schon da, der König kommt nicht. In der mit roten und grünen Fahnen üppig geschmückten marokkanischen Hafen- und Badestadt brodelten die Gerüchte. Wird Mohammed VI. die Gegend, in der er einen Sommerpalast besitzt, bald besuchen? Sein Farbporträt prangte an den Fassaden vieler öffentlicher Gebäude. Jeder von Rang und Namen aus dem gesamten Königreich beeilte sich, an jenem Ort zu sein, der den Glanz der Herrscherfamilie versprach und vielleicht einen Zipfel ihrer Gunst. Auch die im fruchtbaren Dreieck zwischen dem schneebedeckten Hohen Atlas-Gebirge und dem Anti-Atlas lebenden Berber strömten in die Stadt.

      Hunderte von klimatisierten, schwarzen Nobelkarossen deutscher Herkunft, parkten an den Straßenrändern oder glitten wie Raubfische, besetzt mit europäisch gekleideten Marokkanern, durch die Massen in Landestracht, die sich zu Fuß und auf klapprigen Eseln und Mopeds dem Festplatz aus allen Himmelsrichtungen näherten. Fantasien, die traditionellen Reiterspiele auf schwankenden Kamelen und feurigen Rössern zogen die Menschen ebenso an wie die Militärparaden mit modernsten Waffen französischer und amerikanischer Produktion. Der genaue Beobachter bemerkte die angestrengt um ihre Unauffälligkeit bemühten Männer in Zivil zwischen den Uniformierten von Khaki über Tiefblau bis Signalrot an allen Ecken und Bordsteinkanten. Ein farbenprächtiges, wegen der Mischung von höchstem Luxus und sichtbarer Armut für westliche Augen ungewohntes Bild.

      Jonathan Seyberg, den ich auf diesen augenfälligen Kontrast ansprach – wir saßen in einem Straßencafé – sagte nachdenklich: „Ich glaube, wir können uns nicht wirklich ein Urteil bilden. Sehen Sie dort am Ende dieser Avenue, das ist der Burgberg, der letzte Ausläufer des Atlas-Gebirges. Dessen ganzen Südhang nehmen drei gewaltige Schriftzeichen in arabischer Sprache ein, die nachts beleuchtet sind und sie bedeuten: Gott, König, Vaterland. Für uns ist diese Verquickung von Religion, Herrschaft und Nation unvorstellbar. Doch hier gilt der König als direkter Nachfahre des Propheten. Eine Kritik an seiner Person ist gesetzlich verboten.“

      „Wir sind eben in keinem demokratischen Land“, stellte ich ernüchtert fest.

      „So einfach ist das nicht! Die gesamte Lage auf dem afrikanischen Kontinent ist, vorsichtig ausgedrückt, unübersichtlich. Es gibt, wenn überhaupt, nur ganz wenige lupenreine Demokratien außer Israel. Das Königreich Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie, mit dem König als Staatsoberhaupt. Wenn ich irgendwo hinreise, beschäftige ich mich vorher mit der Geschichte. Das Land war lange Zankapfel zwischen den europäischen Mächten und wurde dann schließlich 1956 unabhängig, als Frankreich und Spanien sich wegen der wachsenden Spannungen durch die Unabhängigkeitsbestrebungen zurückzogen. Ein Jahr später gab es dann überhaupt erst einen König, vorher waren das Sultane. Dann 1976 wurde auch die ehemalige spanische Provinz Westsahara unabhängig, worauf Mauretanien und Marokko die Situation nutzten und das riesige Gebiet kurzerhand unter sich aufteilten. So ganz ist die Lage dort nach wie vor nicht geklärt, weil es Aufständische gibt und Flüchtlingslager in Algerien. Doch Marokko ist militärisch stark, mit Unterstützung der USA, und betreibt in der Westsahara eine ausgedehnte Besiedlungspolitik.“

      „Was halten Sie von der Monarchie generell?“

      „Als analytisch denkender Wissenschaftler halte ich die Monarchie als Staatsform für überholt und verstaubt. In Verbindung mit absoluter Macht halte ich sie sogar für inakzeptabel. In Verknüpfung mit einer Staatsreligion sowieso. Doch die Verhältnisse hier in diesem recht jungen Staat mit sehr alter Tradition sind viel komplizierter als in Europa, wo die Monarchien nur Teil der nationalen Folklore sind. Wenn sich die Briten, Holländer, Dänen, Schweden, Norweger und noch so ein paar Zwergstaaten diese machtlosen Figuren, denen sie gerne zujubeln und deren Leben die Seiten der Klatschpresse weltweit füllen, finanziell leisten wollen, ist das wahrscheinlich bestens investiertes Geld für die Imagepflege und den Tourismus. In Marokko hat der König sehr umfangreiche politische Kompetenzen und ist nicht nur Staatsoberhaupt, sondern auch geistliches Oberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er kommt aus der Dynastie der Alawiden, die ihre Abstammung auf Hasan ibn Ali zurückführen, den Enkel des Propheten Muhammad. Staatsreligion ist folglich der Islam, über 98 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, vorwiegend Sunniten malikitischer Richtung.“

      „Das sagt mir gar nichts!“

      „Die Sunniten bilden die größte Glaubensrichtung im Islam und eine der sunnitischen Rechtsschulen sind die Malikiten. Ich bin auf diesem Gebiet auch kein Experte und weiß nicht, worin sich die einzelnen Rechtsschulen inhaltlich unterscheiden. Jedenfalls sollen die Grundlagen in Medina entstanden sein, der zweitheiligsten Stadt des Islam, die genauso wie Mekka, für Nichtmuslime gesperrt ist.“

      „Wenn wir unsere Maßstäbe anlegten, was Politik, Religion und Menschenrechte angeht, würden wir zu einer anderen Einschätzung kommen!“ sagte ich.

      „Ja, aber das ist doch völlig klar! So naiv sollten wir die Geschehnisse des arabischen Frühlings nicht beurteilen. Wenn ich mir vor Augen führe, wie mit den Paraden nach dem Golfkrieg das Vietnam-Trauma in den USA aufgearbeitet wurde, dieser nicht enden wollende Werbefeldzug für die Rüstungsindustrie, der das Kurdenelend und die Naturzerstörung in Kuwait überdeckte – alles nicht gar nicht lange her! In Nordafrika ist seitdem eine Menge in Bewegung geraten und doch sind manche der alten Potentaten trotz allem aus taktischen Erwägungen weiter an der Macht. Ich bin mir nicht sicher und habe große Zweifel, ob unsere Politiker und wir die Dinge, vor allem die katastrophalen Folgen, richtig einschätzen.“

      Agadir, bei dem verheerenden Erdbeben 1960 vollkommen zerstört, ist nach dem Wiederaufbau die modernste Stadt Marokkos, mit breiten Prachtstraßen, mehrstöckigen Hotels in internationaler Betonarchitektur und einem mehrere Kilometer langen Sandstrand, auf dem sich die schaumgekrönten Wellen des Atlantiks im ewigen Rhythmus brechen. Das diese Stadt inzwischen über 600.000 Einwohner hat, war für mich überraschend. Sie wirkte gar nicht wie eine Großstadt, weil sie keine Hochhäuser hat und keinen alten Stadtkern.

      „Ich wüsste wirklich nicht, weshalb ein Mensch von irgendeinem Ort der Welt hierher reisen sollte, außer er ist Strandläufer im Rentenalter oder passionierter Tennisspieler. König Hassan der II. jedenfalls, der Vater des jetzigen Herrschers, war ein Freund des weißen Sports. Deshalb gibt es hier den königlichen Tennisclub und zahlreiche, gut gepflegte Anlagen mit vielen Plätzen. Er war auch Mitglied im Rotary-Club und getreu deren Wahlspruch zu selbstlosem Dienen und ethischen wie moralischen Handeln verpflichtet. Dazu stand seine Regierungszeit allerdings in krassem Widerspruch, denn sie war offenbar so stark mit Menschenrechtsverletzungen belastet, dass