Название | Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten |
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Автор произведения | Joachim Kath |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847659433 |
Seyberg hatte steile Thesen aufgestellt. Beispielsweise weil Geld für alle gleich aussieht und nur „quantitativ differenziert“, empfahl er seinen betuchten Zuhörern nicht die „neurotische Vermehrung desselben“, sondern massive Investitionen in Gestaltung. Damit meinte er ausdrücklich nicht nur Design, Grafik, Architektur und Kunst. Sondern jede unternehmerische Vision müsste eine unverwechselbare Gestalt annehmen, wenn in Zukunft der globale Wettbewerb bestanden werden will. Einen durchgängigen Look, die Reduktion auf das Wesentliche, nicht nur emotionale, sondern auch informative Inhalte, wo man einen konkreten Nutzen parat hätte. Aber er war skeptisch – so viel Denkdisziplin könne man in den Führungsetagen nicht voraussetzen. Der Sprung in das visuelle Zeitalter, in dem Kunst und Natur gleichzeitig gerettet werden müssten, finde noch viel zu selten statt und bliebe zu sehr an der Oberfläche und sei viel zu kosmetisch.
Als jemand aus dem Publikum gefragt hatte, was er eigentlich heute unter Macht verstehe, hatte er keinen Wimpernschlag gezögert und geantwortet: „Macht ist heute primär der Zugang zu Informationen und die Fähigkeit, Informationsflüsse zu steuern. Man könnte annehmen, es würde sich um Kommunikation handeln, doch hier geht es um einseitige Überredung.“
Ich beschloss, diesen sympathischen und aufmüpfigen Querkopf, der es dieser „Konzentration von wandelnden Taschenrechnern“ so eloquent besorgt hatte, um ein Interview zu bitten. Kaum zu Hause angekommen, wählte ich die Telefonnummer des First-class-Hotels mit den fünf Sternen. Die Vermittlung stellte durch aufs Zimmer und ich hatte Glück. „Seyberg!“ meldete sich der Professor, der wie sich herausstellte, gerade unter der Dusche gestanden hatte, als das Telefon klingelte. Er war trotzdem freundlich, hörte geduldig zu, stellte präzise Fragen nach den Fachzeitschriften, für die ich schrieb und wir vereinbarten, nachdem er sich schnell entschieden hatte, einen Termin im Hotelrestaurant.
„Normalerweise stelle ich als Berater meinen Klienten immer die Fragen“, sagte er, als wir uns abends gegenübersaßen. „Viele glauben es wäre umgekehrt, aber ich bin es, der lernen muss. Der Student bekommt das Honorar und der Lehrer bezahlt es. Ist das nicht herrlich paradox?“
Mir war nicht ganz klar, ob er scherzte oder nicht.
„Aber jetzt brauche ich mir keine intelligenten Fragen auszudenken, sondern kann mich auf seltsame Antworten beschränken!“
„Wieso seltsame Antworten?“ fragte ich verblüfft.
„Nun“, erwiderte Jonathan Seyberg und lächelte dabei verschmitzt, „ich bekomme von meinen Klienten die merkwürdigsten Visionen zu hören. Oft habe ich davon im Detail nicht die geringste Ahnung und lasse mich ausgiebig in Kenntnis setzen. Manches verstehe ich dann relativ genau und anderes, gerade wenn es um Hightech geht, bleibt zumindest partiell ein Rätsel, was aber meistens keine Relevanz für den Erfolg der Beratung hat.“
„Weshalb nicht? Wollen Sie etwa behaupten, es käme auf den Durchblick und auf Expertenwissen gar nicht an?“
„Es ist tatsächlich so, weil es immer wieder auf dasselbe hinausläuft. Grundsätzlich wollen alle Manager ihr Bestes verbessern – und damit meinen sie, welch fataler Irrtum, nicht etwa ihre Seele oder ihr Ich, sondern etwas, von dem sie in aller Regel genug haben und das ist nun einmal Geld.“
„Geld ist, lernt jeder Wirtschaftsstudent im ersten Semester, ein äußerst knappes Gut!“ sagte ich.
„Richtig, für Studenten ohne reiche Eltern klingt das sehr glaubhaft. Aber in Wahrheit ist Geld in den westlichen Industrieländern in ausreichender Menge vorhanden. Es gibt Geld wie Dreck, es haben nur die falschen Leute. Die Notenbanken fluten geradezu in Krisenzeiten den Markt mit billigem Geld für die Banken, die es dann Investoren mehr oder weniger günstig zur Verfügung stellen. Das ist jedenfalls die Idee zur Ankurbelung der Wirtschaft. Dabei wird allerdings vergessen, dass oft die geeigneten Konzepte fehlen, dieses Geld sinnvoll einzusetzen. Beispielsweise werden Immobilien gebaut, die keiner kaufen oder mieten will, weil ihre Lage grottenschlecht ist.“
„Sie haben in Ihrem heutigen Vortrag behauptet, Unternehmensführung sei keine Wissenschaft, sondern Kunst. Malen Sie damit nicht doch zu Schwarz-Weiß?“
„Ich weiß, die Ansicht ist, auch wenn sie auf Logik basiert, nicht sehr populär. Natürlich bedienen sich Manager wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das klingt jetzt ziemlich trocken, aber ist wichtig: Hauptmerkmale der Wissenschaft sind eine von Wertungen und Gefühlen freie, rationale Erkenntnis und deren Wiederholbarkeit unter gleichen Bedingungen. Was ein Manager tut, ist all dies nicht. Er braucht Phantasie, Imagination, Kreativität. Meistens hat er nur wenig davon, weil er zuviel an Zahlen denkt. Er kennt oft nur, um Oscar Wilde zu zitieren, den Preis von allem und den Wert von nichts.“
„Sie sehen den Manager der Zukunft als Künstler?“
„Die Entwicklung ist doch hochinteressant und bestätigt meine These: Seitdem van Goghs Bilder auf Auktionen Millionen erbringen, nicht Peanuts sondern Dollars, ersteigert für Unternehmen und nicht für Museen, haben die großen Zahlen die Kunst interessant gemacht. Als Investition, noch zu wenig als Instrument. Die Onkel Dagoberts dieser Welt begreifen die Kunst natürlich noch nicht als Hoffnung. Die spielen noch das Money-Game, jene geheime Verführung zur Faszination des Unnötigen, dieses Ablenken von der wahren Kultur zur Menge.“
„Größe ist folglich schlecht, Herr Professor?“
„Menschliche Größe gewiss nicht, aber der Aufbau riesiger, unregierbarer Strukturen, wie auf dem Bankensektor, führt zur Morbidität. Auch wenn manche Banken zu groß sind, um sie fallen zu lassen, weil sonst alles zusammenbricht, ist das keine gesunde Situation. Nicht nur der Ostblock ist wegen mangelnder Flexibilität kollabiert, dass kann auch mit Unternehmen in der Marktwirtschaft passieren, die zu unbeweglich werden. Schließlich geschieht genau dies jeden Tag.“
„Noch eine letzte – auch persönlich gemeinte – Frage: Was werden Sie als nächstes tun und wie sieht ihre eigene Zukunftsplanung aus?“
Jonathan Seyberg nahm einen Schluck französischen Rotwein und lehnte sich entspannt zurück. „Ich werde mich konzentrieren!“ sagte er langsam und nachdenklich.
„Auf was?“ fragte ich neugierig.
„Auf ein 23,77 Meter langes und 8,23 Meter breites Rechteck!“
„Sie sprechen wirklich in Rätseln“, sagte ich, „ein Schiff vielleicht, aber das wäre spitz und bei einem Haus gäbe es keine so krummen Maße.“
„Ich will es Ihnen leicht machen! Genaugenommen werde ich mich auf etwas Rundes konzentrieren, solange es sich bewegt. Es hat einen Durchmesser so um die 6,5 cm und ist gelb.“
„Ein Kanarienvogel!“ rief ich.
„Stimmt!“ sagte er spitzbübisch, „die Dinger, die da in Wimbledon herumfliegen.“
„Sie wollen doch nicht etwa …“, rief ich überrascht aus.
„Aber ja, natürlich …“, unterbrach er mich.
„Ausschließlich?“ fragte ich nach.
„Nein“, sagte der Graukopf, „essen, trinken und schlafen werde ich außerdem. Und reisen natürlich, viel reisen.“
„Werden Sie den nicht geistig unausgefüllt sein?“ konnte ich nicht aufhören mich zu wundern.
„Ich will Ihnen mal ein Geheimnis verraten: Unsere Arbeitswelt besteht weitgehend aus simulierter Aktivität, sozusagen dem Gegenteil dessen, was auf dem Tennisplatz möglich ist. Das gesamte Management-Wissen ist eine Fiktion. Die Psychologie sowieso, die Medizin zum größten Teil, ebenso wie die Jurisprudenz. Dazu gehört außer einem guten Gedächtnis gar nichts, auch nicht so viel Intelligenz.“ Dabei zeigte er auf den Nagel seines kleinen Fingers. „Alle Unternehmer und Manager sind gute Schauspieler, Pokerer, Trickser. Sie können sich gut verkaufen und spielen ihre Rolle perfekt. Genauso gut wie ihre