Название | Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens |
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Автор произведения | Helmut Lauschke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738059366 |
Viele Patienten hatten Gipsverbände an den Armen oder Beinen. Die Gipsschienen zur Ruhigstellung von Knochenbrüchen zumeist distaler Extremitätenabschnitte ergaben oft keinen therapeutischen Sinn, weil sie entweder aufgeweicht oder gerissen waren. Die Bewegungen über der Bruchzone standen der Knochenheilung demzufolge mit der Gefahr einer Falschgelenkbildung entgegen. Waren Rundgipse an den Gliedmaßen angebracht, die nach Abschwellung des Weichteilgewebes zur Ruhigstellung des Knochenbruches durch ein Mehr an Festigkeit besser geeignet waren, so fand Dr. Ferdinand, dass einige Beingipse in den körpernahen Abschnitten nicht nur kotverschmiert waren, sondern dass das ganze Bein eine Biegung aufwies, die eine anatomiegerechte Heilung und damit die Wiederherstellung der vollen Funktion in Frage stellte. Knochenbrüche anderer Patienten wurden durch Extension behandelt. Es handelte sich hier vorwiegend um Schaft- und Halsbrüche des Oberarm- oder Oberschenkelknochens als auch um Diagnosen der zentralen oder oberen Hüftkopfverrenkung. Das Zuggewicht, das an den quer durch den Ellbogenhöcker oder die Vorbuchtung des Schienbeinkopfes geschlagenen Drähten ansetzte, deren Enden an einem Spanngerät festgemacht waren, das mit einer auf einer Rolle laufenden Schnur verbunden war, um die Knochenbrüche in eine achsengerechte Stellung zu ziehen, bestand oftmals aus angehängten Beuteln, die mit Steinen gefüllt waren, oder aus einem oder mehreren Infusionsbehältern. Daneben waren Vorrichtungen zu sehen, bei denen die Zugschnur neben der Rolle lag, die Rolle falsch platziert oder aus Rollenmangel erst gar nicht angebracht war. Die Notwendigkeit zur Improvisation aus Mangel an Geräten war ebenso offensichtlich wie die, das vorhandene, wenn auch völlig veraltete und fast untaugliche Gerät mit der Logik des klinischen Verstandes zur Anwendung zu bringen.
Im letzten Achtbettzimmer lagen Patienten, die Grund zu ernster Sorge gaben, entweder weil die Wundinfektionen unbeherrschbar schienen oder weil andere Komplikationen der Wundheilung vorlagen. Unter diesen Patienten waren jene, deren Amputationsstümpfe am Unterschenkel infolge einer schlechten Blutzirkulation klafften und den Fäulnisgeruch toten Gewebes verströmten. Andere Patienten hielten ihre Hand mit gerunzelten, mumifizierten Fingern hoch. Ein anderer, etwa fünfundzwanzigjähriger Patient, der bereits sein drittes Jahr in diesem Bett zubrachte, saß mit großflächigen Druckgeschwüren über dem Gesäß auf unnatürlich verbogenen Beinen und bewegte seine etwas weniger verbogenen Arme fast gespensterhaft. Ursache seines Leidens war die angeborene unvollständige Knochenbildung (Osteogenesis imperfecta), weshalb er schon im Kindesalter mit Schienen und zahlreichen Operationen, insbesondere an den Beinen, behandelt wurde. Doch das alles führte zu keinem anhaltenden Erfolg. Das Gehen an Stöcken und Krücken, das in seinen Kindheitsjahren noch möglich war, bescherte ihm Brüche an den Armen, die trotz vieler Behandlungsversuche in Fehlstellungen endeten, so dass er seit über zehn Jahren gehunfähig war. Die Eltern und Geschwister brachten ihn auf einem Eselskarren ins Krankenhaus, da sie ihn zu Hause nicht mehr versorgen konnten. Einen Rollstuhl gab es nicht.
Die Saalrunde erwies sich als ein afrikanischer Augenöffner. Dr. Ferdinand sah hier eine Wirklichkeit, die er in Deutschland nur aus Büchern kannte. Nach der Saalrunde folgte ein Gespräch bei einer Tasse Tee im „Doctors tearoom“, der durch eine Glaswand vom Flur der gegenüberliegenden Operationssäle getrennt war. Hier sprach Dr. van der Merwe in sehr menschlicher Weise die Komplexität der Probleme und die daraus resultierenden Schwierigkeiten in der Behandlung der Patienten, für die er zuständig war, an. „Die meisten Frakturen behandeln wir konservativ“, sagte er, „nur in einzelnen Fällen habe ich eine Knöchelfraktur mit einer Schraube fixiert.“ Es waren der Mangel an Instrumenten und Material sowie die fehlende praktische Erfahrung, weswegen schwerere Verletzungen mit schwierigen oder Mehrfachbrüchen nach Windhoek gebracht wurden. In einigen Fällen assistierten ihm bei Operationen die „Consultants“, die zweimal in der Woche vom Lazarett des Militärflughafens in Ondangwa, das etwa vierzig Kilometer ostwärts von Oshakati lag, gebracht wurden. Doch diese „Consultants“ in Offiziersrängen nicht unter einem Colonel waren in der Regel Spezialisten der Chirurgie, die Verletzungen mit Frakturen per Flugzeug direkt in das Militärhospital nach Pretoria verlegten. Auf die Frage, ob die Arbeit ihn nicht überfordere, antwortete Dr. van der Merwe, dass er froh sei, seine Dienstzeit als Arzt zu verbringen, denn hier könne er Erfahrungen sammeln, die ihm später in Südafrika zugute kommen würden. „Auch gibt es hier Weiterbildung“, fuhr er fort, „jeden Freitag halten die Spezialisten einen Vortrag über aktuelle Themen aus der Chirurgie, dem sich eine Diskussion anschließt. Das ist für uns, die wir noch in der Ausbildung sind, sehr nützlich.“ Andere Kollegen, die eben eine Operation beendet hatten, kamen in der grünen, durchgeschwitzten Operationskleidung in den „Doctors tearoom“. Während einige schweigend heißen Tee schlürften und dazu belegte Brote verschlangen, berichteten andere über die Besonderheiten, die sie bei der Operation vorgefunden hatten. Die durchgesessenen Polsterstühle waren besetzt, als auch Dr. Hutman eintrat, auf dessen Programm zwei Leistenbrüche, eine Cholezystektomie und zwei weitere Eingriffe an Hauttumoren standen. Ein Kollege verließ den Raum, nachdem er seine Teezeremonie mit der erheiternden Bemerkung, dass ein kaltes Bier jetzt besser wäre, beendet hatte. Dr. Hutman nahm seinen Stuhl ein; er tat das mit der Bestimmtheit eines erfolgreichen Arztes, dessen Gesicht Wissen und eine reiche Erfahrung signalisierte. Nach dem ersten Schluck Tee begann sein Erguss der Selbstzufriedenheit und Kenntnis