Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

Читать онлайн.
Название Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738059366



Скачать книгу

haben sich die Dinge bereits gebessert. So konnten einige alte Instrumente gegen neue ausgetauscht werden, zwei der vier Operationstische wurden überholt, und die Zahl der Ärzte konnte von elf auf vierzehn erhöht werden. Es ist richtig, dass diese Zahl für eine ordentliche Versorgung der Patienten noch immer zu klein ist. Doch bedenken Sie, dass hier Kriegsgebiet ist. Dafür ist diese Zahl schon beachtlich.”

      Die Sekretärin, eine junge schwarze Frau mit den stimmenden Proportionen, die durchaus als schön zu bezeichnen war, brachte auf einem Tablett eine Kanne mit Tee, zwei Tassen, Zucker und Milch. Beim Abstellen des Tabletts auf den Schreibtisch sagte sie mit wohlklingender Stimme zu Dr. Witthuhn, dass Dr. Erasmus, der Sekretär der zentralen Gesundheitsverwaltung, aus Windhoek angerufen und um einen Rückruf gebeten habe, und dass Dr. Hutman ihn sprechen möchte. “Die Unterredung kann jetzt nicht stattfinden”, erwiderte Dr. Witthuhn, “Sie sehen, dass ich mit dem Kollegen im Gespräch bin, der aus Deutschland kommt, um hier als Chirurg zu arbeiten.” Die Sekretärin brachte Dr. Ferdinand ein Lächeln der Erleichterung entgegen, weil sie um die Ärztenot am Hospital wusste. “Sagen Sie Dr. Hutman, dass ich heute keine Zeit habe”, sagte Dr. Witthuhn, “wir können erst morgen früh nach Morgenbesprechung miteinander reden.” Mit einiger Mühe erhob er sich aus seinem gepolsterten Stuhl und goss Tee in die Tassen. “Nehmen Sie Zucker und Milch?” Dr. Ferdinand bat um Tee ohne Milch, dafür mit zwei Löffeln Zucker. Am Schreibtisch stehend rührte Dr. Witthuhn den Zucker in die gefüllten Tassen ein. Mit der Tasse in der Hand erwähnte er, dass für die Arbeitserlaubnis, die unbedingt erforderlich war, das “Medical & Dental Council” in Pretoria zuständig sei und diese von dort eingeholt werden müsse. Die Prozedur würde wahrscheinlich eine Woche in Anspruch nehmen. Dr. Witthuhn war zweckoptimistisch, als er bemerkte, dass das “Council” bisher immer behilflich war. Des Weiteren bot er dem deutschen Kollegen an, vorerst in seinem Haus zu wohnen, bis eine andere Möglichkeit der Unterbringung gefunden sei.

      Es klopfte heftig an der Tür, und ein mittelgroßer Mann mit blassem Gesicht, rechts gescheiteltem Haar und auffallend dunkelbraunen Augen, die Feuer sprühten und den Angriff signalisierten, trat in korrekt gebügelter Leutnantsuniform der südafrikanischen Armee in den Raum, ohne auf das "Herein" zu warten. Dr. Witthuhn stellte den knapp dreißigjährigen Arzt mit dem Namen Dr. Daryll Hutman vor. Dieser setzte sich in einen gepolsterten Stuhl neben Dr. Witthuhn, während Dr. Ferdinand seinen harten Stuhl wieder einnahm. Der junge Arzt hielt seine Zunge für geraume Zeit unter Kontrolle und musterte mit seinen dunklen, nervös hin und her fahrenden Augen den Neuankömmling aus Deutschland mit einer nicht zu übersehenen Feindseligkeit. Diesem jungen Arzt machte es nichts aus, dass er das orientierende Gespräch zwischen den beiden anderen unterbrach und Dr. Ferdinand mit unerwarteter Aufdringlichkeit fragte, ob er hier auf Urlaub ist, ein Spezialist sei und ob er gar beabsichtige, hier zu arbeiten. Da sollte er den Krieg nicht unterschätzen, der in den vergangenen Monaten an Schärfe erheblich zugenommen habe, wodurch die Zahl der Verletzten stark gestiegen sei.

      Dr. Hutman zeigte im Sprechen deutlich mehr Talent als im Zuhören. Das wurde deutlich, als er einen Beschwerdezettel aus der Brusttasche zog, mit den Beschwerden loslegte und schlichtweg keine Rücksicht darauf nahm, dass die beiden anderen Kollegen miteinander sprechen wollten, ohne dabei gestört zu werden. Er beschwerte sich über mangelnde Zusammenarbeit mit den Schwestern und Pflegern im Männersaal, die die Verbände nicht zu der vorgeschriebenen Zeit wechselten, die Infusionen und Bluttransfusionen nicht pünktlich anhängten und die Injektionen nicht wie vorgeschrieben gaben. Sie verweigerten schlichtweg ihre Kooperation. Der Versuch, das Problem in friedlicher Weise zu klären, scheiterte daran, dass Dr. Hutman den Superintendenten nicht aussprechen ließ. Bei seinem langen Beschwerdemonolog mit dem Herausstellen seines persönlichen Einsatzes, in dem er sich nicht unterbrechen ließ, konnte sich Dr. Ferdinand des Eindrucks nicht erwehren, dass das Uniformtragen eine Zurschaustellung von Macht an einer völlig falschen Stelle war. Da erinnerte er sich an seine Kindheit zurück, als Uniformträger in oft unerträglicher Weise ihre Macht zur Schau stellten und sich wichtig taten, so dass es für die Erwachsenen entweder lächerlich oder gefährlich wurde.

      Dr. Witthuhn war dagegen Zivilist, und als solcher war er es, der mit dem ärztlichen Direktor, Dr. Eisenstein, welcher es sich in der Uniform eines Colonels auf seinem Sessel in einem geräumigen und angenehm klimatisierten Büro bequem machte, im Clinch lag. Die Sorgen des Dr. Eisenstein kreisten um die zahnärztliche Behandlung seines persönlichen Gebisses und seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Herausgabe von Erlassen, die am laufenden Meter kamen, von Woche zu Woche schärfer wurden und in denen Zeichen der Diskriminierung nicht zu überlesen waren. Diskriminiert wurden Menschen der schwarzen Bevölkerung, die im Norden des Landes, unweit der angolanischen Grenze, wo der Krieg hauste, am meisten litten. Für diese „Bantu“-Menschen setzte sich Dr. Witthuhn als Superintendent des Hospitals ein, kämpfte für sie mit den Argumenten eines gebildeten Zivilisten gegen bornierte und machtbewusste Uniformträger, die ihre Aufgabe offensichtlich in Beschwerden und der Fließbanderarbeitung von Erlassen sahen. Dr. Witthuhn war ein Arzt mit Herz, der seine Arbeit in der Hilfe für die Menschen sah, und dem das Herz schwer wurde, wenn es wegen dieses Helfens zu Zusammenstößen mit den Uniformträgern kam. Er setzte sich dafür ein, dass das Hospital für die Zivilbevölkerung offen stand, um den leidgeplagten Menschen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie so dringend brauchten. Einen Unterschied in der Hautfarbe durfte es für ihn in der ärztlichen Behandlung nicht geben, diese sollte für alle Menschen gleich sein. Dr. Hutman ließ den Superintendenten nicht aussprechen, der erst auf Englisch, dann in Afrikaans versuchte, auf die Beschwerdepunkte und ihre Ursachen einzugehen. Der Superintendent musste energisch werden, bat den jungen Arzt, ihn nicht ständig zu unterbrechen und schlug ihm vor, die intravenösen Injektionen und Infusionen selbst vor Operationsbeginn zu verabreichen. Er versuchte den jungen Kollegen davon zu überzeugen, dass eine gute Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal durchaus zu erreichen ist, wenn er als Arzt freundlich ist und mit mehr Geduld und Verständnis auf die Probleme im Krankensaal eingehe. Das Problem mit dem Fehlen von Antibiotika und bestimmter Infusionslösungen könne er auch nicht lösen, da er wie das ganze Hospital auf die Zuteilung von der Zentralapotheke in Windhoek angewiesen sei. Das wollte der junge Arzt in seiner geschniegelten Uniform nicht begreifen, und am wenigsten den Vorschlag, die Spritzen an den Patienten selbst zu setzen und die Infusionen vor Operationsbeginn selbst anzulegen. Für dieses Mehr an persönlichem Engagement und Verständnis für die Saalprobleme hatte der junge Arzt kein offenes Ohr. Eine diesbezügliche Belehrung lehnte er nachdrücklich ab. Der Eindruck entstand, dass das Tragen einer Leutnantsuniform der süd-afrikanischen Streitmacht mit dem Vorrecht verbunden war, einem Superintendenten kategorisch zu widersprechen. Das wollte sich Dr. Witthuhn nicht gefallen lassen. Den Kompromiss der Vernunft gab es nicht. Dr. Hutman, dessen Jähzorn sich mit dem Blut im Gesicht staute, stand auf und machte sich durch die Bemerkung unbeliebt, dass er sich beim ärztlichen Direktor beschweren werde, jenem Militäroberst, dessen zentraler Sorgenkreis die persönliche Zahnsanierung war. Der freche Arztkerl beschwerte sich, die Beschwerde hatte Erfolg, und der neue Erlass ließ nicht lange auf sich warten. In ihm war dann zu lesen, dass das Pflegepersonal den Anweisungen des Arztes strikt zu folgen und wegen der permanenten Überlastung der Ärzte auch ärztliche Aufgaben in den Sälen auszuführen hätte. Gezeichnet war er, wie alle Erlasse, von Dr. Eisenstein, „Colonel, Direkt or of Health & Welfare“.

      Mehr über die verzwickte Situation im Gesundheitswesen des Landes und in der regionalen „Administration for Ovambos“ sollte Dr. Ferdinand am ersten Abend im Hause von Dr. Witthuhn erfahren, der als Sohn eines deutschen Missionars in der Kap-Provinz geboren und für einige Jahre sogar als Fliegerarzt beim Luftgeschwader „Richthofen“ im Oldenburgischen tätig war. Er sprach das Deutsch fließend mit einem südafrikanischen Akzent, wobei es gelegentlich zu „afrikaansen“ Verwechslungen kam. „Kommen Sie, ich zeige ihnen ihr Zimmer.“ Dr. Ferdinand folgte ihm und fand einen engen, vollgestopften Raum vor, wo auf dem Bett Hemden, Hosen, Socken und viele andere Dinge neben beschriebenen und unbeschriebenen Blättern und Zeitschriften lagen. Dr. Witthuhn räumte die Sachen mit wenigen Griffen vom Bett und schob übervolle und halb gefüllte Kartons zur gegenüberliegenden Wand, wo er sie zu einer Pyramide übereinander stapelte, deren Spitze bis zur Zimmerdecke reichte. Während Dr. Ferdinand sich in der Enge zu drehen und zurechtzufinden versuchte, ging Dr. Witthuhn ins Wohnzimmer zurück, legte eine Platte auf den Plattenteller