Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Название Alexanders letzter Traum
Автор произведения Heinz-Joachim Simon
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862826650



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der karischen Festung bekamen wir mit, dass die Belagerung an Heftigkeit zugenommen hatte. Die Belagerungsmaschinen waren angekommen. Die Mauern wurden durch ständige Einschläge erschüttert und dies machte uns Mut. Die Griechen hatten wohl die Hoffnung aufgegeben, aus mir noch etwas Brauchbares herausholen zu können und ließen mich in Ruhe. Meine Rippen konnten sich erholen und bald konnte ich wieder ohne Schmerzen atmen. Mein Gesicht sah jedoch immer noch verbeult aus. Ich hätte im Theater gut einen Satyr spielen können. Mit jedem Einschlag stieg unsere Hoffnung, aber es blieb die Angst, dass man uns umbringen würde, wenn der Fall der Stadt kurz bevorstand.

      Als sie mich wieder holten, dachte ich natürlich, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte. Ich schickte ein paar Stoßgebete zu Apollon und hoffte, dass er mich nicht im Stich ließ. Sie führten mich in einen Turm, in eine Halle mit schönen Rundfenstern, so dass ich sehen konnte, welchen Schaden unsere Belagerungsmaschinen bereits angerichtet hatten. Es schien für die Belagerten nicht gut zu stehen.

      Ein hochgewachsener Mann betrat die Halle, vielleicht zehn Jahre älter als ich. Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht und trug eine persische Rüstung. Seine Augen blickten freundlich und neugierig. Unter seinem Gefolge sah ich den Perser, der mich in Empfang genommen hatte. Auch er machte nicht den Eindruck, als wolle er mir gleich sein Schwert in den Leib stoßen. Der Grieche war Memnon, wie ich nun erfuhr.

      „Wie ich hörte, haben wir einen Gefährten Alexanders gefangen genommen.“

      „Ja. Ich bin Leonnatos, Leibgardist des Königs.“

      „Steht es so schlecht um die Makedonen, dass ein Krüppel Leibgardist des Königs wird?“

      „Er ist der, den man den Boten des Apollon nennt“, warf der Perser ein.

      „Ach ja. Von dem habe ich gehört“, sagte Memnon und betrachtete mich wie ein seltenes Möbelstück.

      „Steht es so schlecht um die Perser, dass sie sich an wehrlosen Gefangenen vergehen?“ frage ich trotzig.

      Memnon runzelte die Brauen, und der Hauptmann, der mich verhört hatte und sich auch im Gefolge befand, machte ein wütendes Gesicht. Memnon drehte sich zu ihm um.

      „Was habt ihr mit ihm gemacht? Er ist immerhin ein Verwandter des Königs.“

      „Wir wollten etwas über die Truppenstärke herausbekommen. Als Gefährte Alexanders muss er wissen, wie stark die Makedonen sind“, stotterte der Hauptmann verlegen.

      „Und?“

      „Nein. Wir haben nichts aus ihm herausbekommen.“

      „Sehr gut“, lobte mich Memnon. „Du bist kein Verräter. Hätte mich auch gewundert. Alexanders Gefährten nennt man nicht umsonst die Besten der Besten. Nein, wir Griechen wissen Anstand und Moral zu schätzen. Deswegen werde ich dich zu Alexander zurückschicken.“

      Das war nun nicht gerade eine schlechte Nachricht. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies ganz uneigennützig geschah.

      „Um was zu tun?“

      Memnon lächelte anerkennend.

      „Du wirst Alexander eine Botschaft überbringen: Der Großkönig wird ihm verzeihen, wenn er sich jetzt zurückzieht. Noch war diese kleine Schlacht am Garnikos nur eine …. Nichtigkeit, über die Dareios hinwegsehen will. Die Botschaft des Großkönigs an Alexander, den König der Makedonen, ist: Alexander, geh nach Makedonien zurück und ich werde dir dein Gewicht zehn Jahre lang in Gold aufwiegen. Solltest du auf deinem verhängnisvollen Weg weitergehen, dann werde ich dich in einen Käfig sperren und du wirst in einem Karren durch alle Länder meines Reiches geführt. Die Kinder werden dich anspeien und die Frauen werden dich mit faulem Obst bewerfen. Das wird dein Ende sein. So lautet die Botschaft des Großkönigs, des Herrn der Welt.“

      Das klang bombastisch und ich wusste, dass es Alexander nur bestärken würde, seinen Krieg gegen das Perserreich fortzuführen.

      „Du kennst Alexander nicht, Memnon.“

      „Nein. Warum?“

      „Alexander schüchtert man nicht ein!“

      „Gibt es nichts, was Alexander zur Umkehr bewegen könnte?“ fragte er ratlos.

      „Nein. Nichts. Denn mit einer Umkehr würde er vor den Göttern Schande auf sich laden. Alexander muss immer siegen.“

      „Was ist das nur für ein seltsamer Mensch?“

      „Er will alles übertreffen, was je getan wurde.“

      „Das also brachte ihn vor Halikarnassos?“

      „Ja. Einen Menschen wie ihn gab es noch nicht und deswegen ist die Annahme, dass er mehr als ein Mensch ist, nicht so verkehrt.“

      „Wir haben es also mit einem Verrückten oder einem Gott zu tun“, sagte Memnon und sah hinaus auf Halikarnassos, auf die Stadt, die unter den Steinen der Katapulte langsam zusammensank.

      „Was für ein Wahnwitz, mit so wenigen Soldaten gegen Dareios zu marschieren“, murmelte er kopfschüttelnd.

      „Und doch belagert er dich und nicht du ihn.“

      „Weiß er nicht, dass Dareios’ Truppen wie Sand an den Ufern des Meeres hat. Für ihn sind diese Scharmützel bisher nur unwichtige kleine Ärgernisse am Rande des Großreiches.“

      „Alexander wird bald in das Herz des Großreiches marschieren!“

      „Es gibt keinen wirklichen Grund für diesen Krieg. Dareios ist ein großmütiger König. Ganz Asien schnurrt wie eine Katze unter seiner Hand. Er ist ein Herrscher, wie wir ihn uns nur wünschen können.“

      „Er hat Pech, dein Großkönig. Philipp wäre sicher auf seinen Vorschlag eingegangen. Vielleicht hätte er die Westküste Asiens als Pfand genommen. Aber Alexander wird weitermarschieren und seinem Stern folgen.“

      „Und ihr folgt ihm bei diesem Wahnwitz?“

      „Wir folgen ihm.“

      „Wir werden sehen, ob das bis zum Ende so sein wird.“

      Eine Bemerkung, deren Sinn mir erst später aufging.

      „Also gut. Es ist der Wunsch des Großkönigs, dass seine Worte Alexander übermittelt werden und du, Bote des Apollon, wirst der Bote des Großkönigs sein. Übergib ihm diesen Papyrus.“

      Obwohl ich im klar gemacht hatte, dass diese Botschaft nicht viel Erfolg haben würde, entließ er mich in die Freiheit. Man führte mich in ein Bad und massierte mich und versorgte meine Wunden und gab mir saubere Kleidung. Meinen Brustpanzer gab man mir auf Hochglanz poliert zurück. Ein Bote des Großkönigs, so dachten sie wohl, muss manierlich aussehen. In einer Gefechtspause ließ man mich an einem Seil von der Mauer herab und ich schwenkte ein paar grüne Zweige. Trotzdem flogen mir ein paar Pfeile entgegen, die mich nur knapp verfehlten. Als ich endlich unsere Reihen in den Belagerungsgräben erreicht hatte, schloss mit Ptolemaios in die Arme.

      „Leonnatos, wir wähnten dich tot!“

      „Viel hat nicht gefehlt.“

      „Du siehst ganz schön verbeult aus.“

      „Da hättest du mich vor ein paar Tagen sehen sollen.“

      Alle Gefährten kamen nun zusammen und der Ruf, dass ich lebte, brachte die Belagerer in den Gräben zum Jubeln. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich mittlerweile so bekannt war.

      „Erzähle!“ forderte mich Perdikkas auf. Die Gefährten begleiteten mich zum Zelt des Königs und ich umriss kurz, ohne die Botschaft zu verraten, wie ich in Gefangenschaft gekommen war und was man mit mir angestellt hatte. Als ich von den Verhören erzählte, schworen meine Gefährten Rache. Memnons Söldner würden keine Gnade zu erwarten haben.

      Alexander sprang von seinem Stuhl auf, als ich sein Zelt betrat und zog mich an seine Brust und drückte mich.

      „Leonnatos, mein Bote. Was für ein Wunder, dich lebend zu sehen. Den Göttern sei Dank.“