Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

Читать онлайн.
Название Alexanders letzter Traum
Автор произведения Heinz-Joachim Simon
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862826650



Скачать книгу

Aber wer Alexander begreifen will, der muss wissen, dass er sich mit den Göttern auf gleicher Augenhöhe fühlte. Ich habe immer an Apollon festgehalten. Ohne die Götter ist das Leben nicht zu ertragen und wir werden stumpf wie die Tiere, gleichgültig und ängstlich und der Glaube an die Zukunft schwindet. Ohne die Götter gibt es keine Träume, keine Phantasie. Wenn ich heute manchmal verzweifelt bin, dann gehe ich im hohen Mittag in einen Olivenhain und lege mich in den Schatten der Bäume, und nach kurzer Zeit höre ich im Rauschen der silbern schimmernden Blätter das Tollen der Satyrn, das Gurren der Sirenen und manchmal höre ich sogar noch immer die Stimme des Gottes. Der große Pan lebt. Er wird nie sterben, sondern in sich wandelnder Gestalt zu uns Menschen gehören. Die Götter sterben nicht. Würden sie sterben, wären wir verloren und würden zu Tieren werden.

      Wir stiegen auf die Pferde. Eine Abordnung von Dydima kam heran und entbot dem König ihren Gruß.

      „Ich werde dem Apollontempel einen Tribut vom nächsten Schlachtfeld schicken!“ versprach Alexander. „Lasst in die Mauern des Tempels einmeißeln: ‚Hier versprach Apollon Alexander die Herrschaft über Asien’.“

      Er nickte ihnen zu, schnalzte mit der Zunge und wir ritten weiter und aus der Stadt, und die Gefährten warfen Alexander verwunderte Blicke zu, da er sehr einsilbig blieb. Er wirkte immer noch in sich gekehrt, als wir vor dem Palast in Sardes von den Pferden stiegen.

      „Wenn ich nur wüsste, was das Mehr bedeutet?“ sagte er zu mir, als wir die Treppen hochstiegen. „Was ist es, was mehr ist, als der Herr der Welt zu sein?“

      „Vielleicht wollen die Götter, dass du in dir etwas findest, was du noch nicht kennst.“

      „Sie behandeln mich … wie einen Menschen!“ sagte er unzufrieden.

      Ich hielt dazu lieber den Mund.

      Als wir die Königshalle betraten – Hephaistion hatte sie so getauft, weil sie mit ihren vergoldeten Säulenkapitellen wirklich prächtig aussah – kam uns Parmenion aufgeregt entgegen.

      „Den Göttern sei Dank, dass du wieder da bist. Wir haben schlechte Nachrichten.“

      Alexander nickte gleichmütig und reichte mir seinen Helm. Diener eilten herbei mit Tabletts voller Früchte und Schalen mit Käse, Brot und Oliven und Bechern mit Wein. Wir legten uns auf die Liegen und tranken, und nun erst forderte Alexander Parmenion auf zu sprechen.

      „Unsere Kundschafter sind von Halikarnassos zurückgekommen. Memnon hat sich dort verschanzt. Er hat jetzt den Oberbefehl über Westasien bekommen und er hat griechische Söldner angeworben. Sphialtes und Thrasybulos, die uns damals in Theben so viel Ärger gemacht haben, sind zu ihm gestoßen.“

      „Gut zu wissen, dass Verräter ihre Deckung verlassen. Aber was sind die schlechten Nachrichten?“

      „Unterschätze Memnon nicht, Alexander!“ warnte Parmenion. „Er ist ein guter Stratege. Wenn er bei Garnikos die Befehlsgewalt gehabt hätte, wer weiß, ob wir Sieger geblieben wären….“

      „Er ist ein Ärgernis!“ gab Alexander zu. „Aber nicht mehr. Wir werden in Halikarnassos nur wieder aufgehalten. Wir müssen noch einige Schlachten schlagen, ehe wir die Herren der Welt sind.“

      Bisher war immer von der Befreiung der Griechen in Westasien die Rede gewesen. Jetzt gab der König offen zu, dass er ein wesentlich größeres Ziel im Auge hatte. Parmenion machte ein Gesicht, als habe Alexander wirr geredet.

      „Da ist noch etwas!“ stammelte der Alte.

      „Dann raus damit!“

      „Es geht das Gerücht, dass Memnon dem Großkönig vorgeschlagen hat, dich ins Land zu locken, keine Schlacht zu schlagen, sondern dich durchs Land ziehen zu lassen, bis du keine Vorräte mehr hast und umkehren musst. Verbrannte Erde soll dich besiegen.“

      „In der Tat?“ fragte Alexander und sah mich an.

      „Wenn er das vorhat, warum verschanzt er sich in Halikarnassos?“ kam ich dem König zu Hilfe und Alexander lächelte zufrieden.

      „Ja, Leonnatos ist nicht nur ein guter Bote, sondern hat auch Köpfchen. Warum stellt sich Memnon dann in Halikarnassos?“ fragte er mit sardonischem Lächeln.

      „Ich weiß es nicht“, gab der Alte zu.

      Plötzlich tauchte mein Vater hinter ihm auf und gab ihm eine Papyrusrolle. Parmenion rollte sie auf und las und nickte meinem Vater dankbar zu.

      „Anthes gibt mir gerade eine Erklärung auf deine Frage. Dareios scheint diese Strategie abgelehnt zu haben. In der Bucht von Halikarnassos sind 400 Segler eingetroffen. Wir sollten doch noch einmal bedenken, ob wir ihnen nicht eine Seeschlacht liefern.“

      „Haben wir 400 Schiffe?“

      „Der Bund hat sie.“

      „Ja. Der Bund. Schiffe aus Athen und Korinth. Die sind mir nicht zuverlässig genug. Es bleibt dabei. Wir rüsten die Flotte ab. Die Matrosen und Seesoldaten können wir gut bei den Hypaspisten, bei den Leichtbewaffneten, gebrauchen. Wir werden die persische Flotte aushungern, indem wir die Städte an der Küste erobern. Nach Halikarnassos ziehen wir die kilikische Küste hoch.“

      „Halikarnassos ist gut befestigt!“ warnte Parmenion.

      Doch Alexander machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir werden noch auf manche Stadt treffen, die gut befestigt ist. Du sorgst dafür, dass wir das Belagerungsgerät rechtzeitig vor der Stadt haben. Unsere Ingenieure und Techniker werden die Welt aufhorchen lassen. Mir ist vor Halikarnassos nicht bange und ….“ Er brach ab und sah mich wieder an.

      „Leonnatos! Sag ihm, was Apollon geweissagt hat!“

      Ich stand auf. Ich mochte Parmenion nicht. Er hatte mir zwar nichts getan, aber mein Vater war sein Adjutant und Philotas nun auch nicht gerade mein Freund. Aber ich hatte einen gehörigen Respekt vor ihm. Er verkörperte schließlich das alte Makedonien.

      „Apollon versprach Alexander die Herrschaft über Asien. Er sprach zu Alexander durch meinen Mund.“

      „Du hörst es! Lass diese Botschaft im Heer verkünden und die Männer werden voller Tatendurst sein und tapfer kämpfen.“

      Parmenion stöhnte und schüttelte den Kopf.

      „Wisst ihr jungen Leute denn nicht, wie groß Asien ist?“

      „Wir jungen Leute fürchten die Größe nicht und nicht das Unbekannte und die Grenze!“ antwortete Alexander.

      Wir murmelten zustimmend. Wir waren die Jugend. Mochten die Alten Bedenken haben und verzagen. Ich fragte mich in diesem Augenblick, ob die Quelle im Tempel des Apoll noch immer Wasser spendete.

      8.

      Die Schwierigkeiten, die wir nun bekamen, haben alle Chronisten heruntergespielt. Sowohl Kallisthenes als auch Eumenes und selbst Ptolemaios. Aristobulos macht darin auch keine Ausnahme, obwohl er doch vor Halikarnassos für seine Tapferkeit gelobt wurde. Wahrscheinlich war es allen peinlich, dass Alexanders gefährlichster Gegner ein Grieche war und zudem edelmütig und fähig und Alexander ebenbürtig. Memnon war sein Hektor. Alexander brachte ihn nicht zur Strecke. Das erledigten für ihn die Götter. Er störte doch sehr bei den Plänen, die sie mit Alexander hatten.

      Wir zogen nach Halikarnassos. Parmenion hatte den Memnon genug gelobt, so dass Alexander darauf brannte, sich mit ihm zu messen. Die Stadt war gut befestigt und lag von Bergen umringt auf einer Landzunge, die wie ein Dorn ins Meer ragte. Eine alte karische Festung überragte wie ein Adlerhorst selbst das berühmte und in aller Welt wegen seiner Pracht und Schönheit bekannte Grabmal des Mausolos.

      Ich stand mit Alexander und den Gefährten der Stadt gegenüber auf einem Berg und wir sahen zu, wie unsere Truppen die Stadt umzingelten und Stellung bezogen. Es war eigentlich eine zu schöne Gegend, um hier Krieg zu führen. Hinter der Stadt mit seinem Hafen schimmerte das Meer, an den Ufern grün und in der Ferne in einem tiefen Blau. Zu beiden Seiten der Stadt sahen wir kleine Buchten mit einem weißen Strand, der gut einen Tummelplatz für die Götter hätte