Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

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Название Traum oder wahres Leben
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738079319



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zu strei­fen und Mäu­se zu ja­gen.

      Ich rich­te­te ihm aus, was mir Tchen­ti ge­sagt hat­te und dass er für die Un­kos­ten auf­kom­men wol­le. An Se­nebs Ge­sichts­aus­druck er­kann­te ich, dass er dann wohl leer aus­ge­hen wür­de. Das woll­te ich auf kei­nen Fall und bat ihn einen Au­gen­blick zu war­ten. Ohne dass er es sah, öff­ne­te ich mein Bün­del und ent­nahm ihm einen Zier­kamm und Ohr­schmuck aus El­fen­bein. Bei­des leg­te ich ihm in die Hand und sag­te:

      ›Ich hof­fe, das deckt die Aus­ga­ben, wenn du für das Mäd­chen und mich ein paar Tage Quar­tier und Es­sen stellst.‹

      ›Aber Herr.‹ Er woll­te auf die Knie sin­ken, und nur eine Ges­te von mir hielt ihn da­von ab. ›Das ist zu viel. Das kann ich nicht an­neh­men, wo doch mein Herr Tchen­ti für die Kos­ten auf­kom­men will.‹

      Ich lach­te lei­se auf.

      ›Gehe ich recht in der An­nah­me, dass du von ihm nicht viel zu er­war­ten hast?‹

      Er drucks­te he­r­um, wand sich, wag­te in­des nicht, das Ge­gen­teil zu be­haup­ten.

      ›Gut, das habe ich mir ge­dacht.‹ Ich lä­chel­te ihn an und schloss sei­ne noch of­fe­ne Hand über den Schmuck. ›Nimm das und schwei­ge dar­über, sonst will er viel­leicht noch et­was da­von ab­ha­ben. Jetzt bring mich zu dei­nem Haus, das Kind braucht Ruhe.‹

      ›Ja, Herr.‹

      Se­neb stell­te den Stock, mit dem er die Mäu­se auf­ge­scheucht hat­te, an die Wand, griff die Kat­ze, und wir ver­lie­ßen den Raum. Nach­dem er die Kat­ze bei ei­nem an­de­ren Un­rei­nen ab­ge­ge­ben hat­te, gin­gen wir zu­sam­men aus dem Tem­pel­be­reich in das an­gren­zen­de große Dorf.

      Auf dem Weg zu sei­nem Haus mus­ter­te ich ihn ein­dring­lich. Er war noch jung, höchs­tens 18 oder 19 Jah­re alt. Sehr schlank, eher dürr, aber sau­ber und ge­pflegt. Ra­ben­schwar­ze kur­ze krau­se Haa­re be­deck­ten sein Haupt. Im schma­len Ge­sicht stach eine kräf­ti­ge Nase her­vor, und die Au­gen wur­den von star­ken Brau­en be­schat­tet. Sein Mund war ein biss­chen ver­knif­fen, ver­mut­lich war er ein ehr­li­cher Mann, der nicht wuss­te, ob er sich über die Ga­ben freu­en soll­te.

      Se­nebs Haus war zwei­stö­ckig, mit ei­ner Grund­flä­che von etwa vier mal zwölf Me­tern. Im Erd­ge­schoss gab es einen Ein­gangs­be­reich, von dem aus eine Trep­pe in die obe­re Eta­ge führ­te, den Wohn­be­reich der Fa­mi­lie und eine Art Bad. In dem klei­nen Raum stan­den Krü­ge mit fri­schem Was­ser und in ei­ner Ecke ein mit Sand halb­ge­füll­ter Topf, der für die Not­durft ge­dacht war. Da­ne­ben stand ein läng­li­cher Tisch, mit ei­ner Wasch­schüs­sel und Schmink­uten­si­li­en, denn auch die är­me­ren Frau­en und Män­ner schmink­ten sich, vor al­lem um die Au­gen, was zum Teil Ent­zün­dun­gen vor­beu­gen soll­te, die in dem hei­ßen, tro­ckenen Kli­ma nicht un­ge­wöhn­lich wa­ren.

      In der ers­ten Eta­ge be­fan­den sich die halb of­fe­ne Kü­che und zwei ab­ge­trenn­te Ru­he­be­rei­che. In der hei­ßen Jah­res­zeit wur­de aber meis­tens auf dem Dach, durch Net­ze vor In­sek­ten ge­schützt, ge­schla­fen.

      Un­ser Gast­ge­ber führ­te uns in die Kü­che, wo wir sei­ne Frau vor­fan­den.

      ›Ne­fret, ich habe Gäs­te mit­ge­bracht. Tchen­ti wünscht, dass sie für eine ge­wis­se Zeit bei uns woh­nen.‹

      Die Haus­her­rin hat­te mit dem Rücken zu uns am Bo­den ge­hockt und Teig für Fla­den­brot ge­k­ne­tet. Sie er­hob sich müh­sam und stieß da­bei einen selt­sa­men Laut aus, wo­bei un­klar blieb, ob aus Un­mut oder weil ihr we­gen der schon weit fort­ge­schrit­te­nen Schwan­ger­schaft das Auf­ste­hen schwer­fiel. Doch ihr Mann ver­stand, dass sie ver­är­gert war. Er ging auf sie zu und zeig­te ihr Kamm und Ohr­schmuck.

      ›Hier, schau nur, was der Herr uns als Ent­schä­di­gung für den Auf­wand ge­ge­ben hat.‹

      ›Tchen­ti?‹, frag­te sie un­gläu­big.

      ›Nein, un­ser Gast.‹

      ›Oh.‹

      Die Ver­le­gen­heit war ihr ins Ge­sicht ge­schrie­ben. Für einen Mo­ment wuss­te sie nicht, wie sie sich ver­hal­ten soll­te.

      Um ihr zu hel­fen, sag­te ich:

      ›Her­rin, mein Name ist Se­fua­mun. Ich bin un­tröst­lich, dass ich euch Um­stän­de be­rei­te, doch ich weiß sonst nicht, wo­hin. Ich kann über­all un­ter­kom­men, das klei­ne Mäd­chen aber braucht einen Ort der Ge­bor­gen­heit. Ihr Dorf wur­de heu­te über­fal­len, und alle, auch ihre El­tern, sind tot. Ich fand sie im Brun­nen, wo sie ihr Va­ter ver­steck­te hat­te, und wer­de mich be­mü­hen, ihr wie­der ein Heim zu ge­ben. Das geht aber nicht von ei­nem Tag auf den an­de­ren. Für die Zwi­schen­zeit brau­che ich eine Un­ter­kunft, haupt­säch­lich für Tef­nut.‹

      Als ich von dem Dorf er­zähl­te, hat­te Ne­fret, als woll­te sie ihr un­ge­bo­re­nes Kind schüt­zen, die Hän­de um ih­ren Bauch ge­legt. Man sah ihr an, dass sie mit dem Mäd­chen fühl­te, doch als sie nä­her­trat, um Tef­nut zu strei­cheln, ent­zog sich das Kind auf mei­nem Arm den sanf­ten Hän­den der Frau. Es schob sich un­ter mei­nem Kopf hin­durch auf die an­de­re Schul­ter, um sein Ge­sicht wie­der an mei­nem Hals zu ber­gen.

      ›Tef­nut, was ist mit dir? Hier will dir nie­mand ein Leid zu­fü­gen‹, doch sie schüt­tel­te nur den Kopf.

      ›Ent­schul­digt, Her­rin, sie ist im­mer noch ganz ver­stört von dem Er­leb­ten.‹

      Die Frau des Hau­ses trat einen Schritt zu­rück, nick­te und sag­te mit­füh­lend:

      ›Ver­ständ­lich. Ich kann mir kaum vor­stel­len, was sie durch­ma­chen muss­te. Na­tür­lich seid ihr will­kom­men. Sie soll es gut ha­ben bei uns, so­lan­ge ihr die­se Un­ter­kunft braucht. Ist sie eine Ver­wand­te von dir?‹

      ›Nein, ich leb­te vor­her in der Nähe von The­ben und kam zu­fäl­lig nach dem Über­fall an dem Dorf vor­bei.‹

      Wie­der strich sie sich sanft mit bei­den Hän­den über den Bauch.

      ›Er­staun­lich, das Mäd­chen klam­mert sich an dir fest, als wäre es dei­ne Toch­ter.‹

      ›Ja, ich kann’s auch nicht ver­ste­hen. Ich möch­te mir aber ger­ne den Staub des Ta­ges ab­wa­schen und da­bei kann ich dich nicht auf dem Arm hal­ten‹, füg­te ich, an Tef­nut ge­wandt, hin­zu.

      Sie re­agier­te nicht und mir blieb nichts an­de­res üb­rig, als sie sanft, aber mit der nö­ti­gen Kraft von mir zu lö­sen. Als ich sie an­blick­te und mit ihr spre­chen woll­te, schloss sie die Au­gen und dreh­te den Kopf weg.

      ›Tef­nut, ich kann dich nicht im­mer im Arm hal­ten. Ich habe dir ver­spro­chen, dass ich mich um dich küm­mern wer­de, und das ma­che ich, so gut ich kann.‹

      Kein Ton kam über ihre Lip­pen, aber sie ließ sich wi­der­stands­los auf den Bo­den set­zen. Mit ge­schlos­se­nen Au­gen saß das klei­ne Häuf­lein Elend da, und ich muss­te mich über­win­den, sie nicht gleich wie­der auf den Arm zu neh­men. Nach­dem ich um die Er­laub­nis ge­be­ten hat­te, das Bad zu be­nut­zen, rei­nig­te ich mich gründ­lich, nahm aus mei­nem Bün­del ein klei­nes Bron­ze­mes­ser und ra­sier­te mich. Wenn nur eine hoch­po­lier­te Schei­be aus Bron­ze als Spie­gel dient, ist das gar nicht so ein­fach, doch schließ­lich war ich es ge­wohnt. Mein ziem­lich lan­ges Haar stutz­te ich auf we­ni­ge Mil­li­me­ter zu­rück, und schmink­te mir die Au­gen wie es üb­lich