Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

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Название Traum oder wahres Leben
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738079319



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hat­ten nach ih­nen ge­schickt, da­mit sie sich der To­ten an­nah­men.

      Nach die­ser kur­zen Ein­lei­tung frag­te er mich:

      ›Gibt es noch wei­te­re Über­le­ben­de?‹

      ›Nein, ich glau­be nicht. Nur die­ses Kind konn­te ich ber­gen.‹

      ›Du stammst nicht aus dem Dorf?‹, frag­te er mit hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en.

      ›Nein, ich kam zu­fäl­lig des Weges, und die An­grei­fer wa­ren schon weg. Nur das Kind hier hör­te ich im Brun­nen wim­mern, kein an­de­res Le­ben reg­te sich. Fast gleich­zei­tig mit mir ka­men die Sol­da­ten an.‹

      Der Le­se­pries­ter nick­te und woll­te sei­nen Weg fort­set­zen, doch ein an­de­rer aus der Grup­pe kam nach vorn und be­trach­te­te das Mäd­chen auf­merk­sam.

      ›Ich ken­ne das Kind, sie heißt Tef­nut und ist die Toch­ter von Nebi, dem Ein­zi­gen im Dorf, der Esel hielt und für den Tem­pel oft Trans­port­dienst leis­te­te.‹

      Ein Hoff­nungs­schim­mer kam in mir auf.

      ›Du kennst die Fa­mi­lie? Viel­leicht auch noch an­de­re, die nicht hier im Dorf ge­lebt ha­ben?‹

      Trau­rig schüt­tel­te er den Kopf.

      ›Nein, ihre Groß­mut­ter, Tan­te und On­kel, alle leb­ten hier mit ih­ren Fa­mi­li­en, und wenn sie tot sind, ken­ne ich kei­ne wei­te­ren An­ge­hö­ri­gen.‹

      Der Licht­blick ver­blass­te so schnell, wie er ge­kom­men war.

      ›Aber was soll jetzt aus ihr wer­den? Wer wird sich um sie küm­mern?‹

      Der Le­se­pries­ter über­nahm die Ant­wort:

      ›Du hast sie ge­fun­den, jetzt bist du auch für sie ver­ant­wort­lich. Kei­ne Fa­mi­lie wird ein Mäd­chen auf­neh­men. Einen Jun­gen viel­leicht, doch ein Mäd­chen …‹, be­merk­te er ab­schät­zig.

      Er mach­te einen Schritt in Rich­tung Dorf, wand­te sich dann aber noch ein­mal an mich.

      ›Wenn du sie nicht be­hal­ten willst, dann gib sie dem Tem­pel als Skla­vin, wir wer­den schon eine Ver­wen­dung für sie fin­den.‹

      Wut woll­te in mir auf­stei­gen. Hat­te das Kind noch nicht ge­nug er­dul­den müs­sen? Soll­te sein wei­te­res Schick­sal jetzt auch noch die Skla­ve­rei sein? Nein, das woll­te ich auf kei­nen Fall. Eine an­de­re Lö­sung muss­te her. Aber wel­che? Eine schar­fe Er­wi­de­rung lag mir auf der Zun­ge, doch er kam mir zu­vor.

      ›Hm, sie ist ja noch viel zu klein, muss erst groß­ge­zo­gen wer­den, wer soll­te das denn ma­chen? Nein, ver­giss das Ge­sag­te, und sieh zu, wie du mit ihr zu­recht­kommst.‹

      Er dreh­te sich um und setz­te sei­nen Weg ohne ein wei­te­res Wort fort. Die an­de­ren folg­ten ihm auf dem Fuß, nur der das Mäd­chen er­kannt hat­te, blieb ste­hen. Er mus­ter­te mich nach­denk­lich und frag­te dann:

      ›Was wirst du jetzt ma­chen?‹

      ›Ich weiß es nicht‹, ant­wor­te­te ich nie­der­ge­schla­gen und sank auf den Bo­den.

      Tef­nut hat­te ver­mut­lich al­les ver­stan­den, wuss­te, dass es um ihr wei­te­res Schick­sal ging, und klam­mer­te sich im­mer fes­ter an mei­nen Hals. Kein Ton kam aus ih­rem Mund, aber Trä­nen der Angst netz­ten mei­ne Haut. Hilf­los sah ich den Pries­ter an. Der ging ne­ben mir in die Hocke, kne­te­te sei­ne Hän­de und starr­te ins Lee­re.

      ›Ich habe ih­ren Va­ter sehr ge­mocht. Er war ein flei­ßi­ger Mann und un­se­re Zu­sam­men­ar­beit war von ge­gen­sei­ti­gem Nut­zen. Als Ver­wal­ter der Tri­but­zah­lun­gen ob­lag es mir, den Wert des Ge­lie­fer­ten zu be­stim­men, auf den Pa­py­ri fest­zu­hal­ten und im Früh­jahr das Saat­gut zu­zu­tei­len. Nebi hat vie­les mit sei­nen Eseln trans­por­tiert und auch sei­nen Vor­teil da­von ge­habt. Jetzt wird sich al­les än­dern. Das Land wird neu ver­teilt oder von Skla­ven des Tem­pels be­ar­bei­tet wer­den, denn es ge­hört zum Tem­pel. Je­den­falls was die Ver­wal­tung be­trifft. Ich brau­che wie­der einen, auf den ich mich ver­las­sen kann, um mei­ne Ar­beit rich­tig zu ma­chen.‹

      Er hob den Kopf und blick­te mir in die Au­gen.

      ›Wo kommst du her, und wo­mit be­strei­test du dei­nen Le­bens­un­ter­halt?‹

      Ich konn­te es kaum fas­sen. Was bot er mir hier an? Ganz of­fen­sicht­lich be­rei­cher­te er sich mit­tels Un­ter­schla­gun­gen, und Tef­nuts Va­ter hat­te dazu ge­schwie­gen oder sich dar­an be­tei­ligt. Groß kann Ne­bis Ge­winn al­ler­dings nicht ge­we­sen sein, denn er leb­te hier wie alle an­de­ren. Was er­war­te­te der Pries­ter jetzt von mir, und wie soll­te ich mich ver­hal­ten?

      ›Ich kom­me aus der Nähe von The­ben, wo ich bei ei­nem Hand­wer­ker in die Leh­re ging. Als er starb, ha­ben an­de­re sei­ne Ar­bei­ten über­nom­men, und ich muss­te ge­hen.‹

      Es war nur die hal­be Wahr­heit, denn ich wuss­te ja nicht, ob Amun­was­hu nicht mehr leb­te. An­zu­neh­men war es, denn sonst wäre er zu die­sem Zeit­punkt über acht­zig Jah­re alt ge­we­sen. Ein über­aus ho­hes Al­ter für einen Mann in die­ser Schicht.

      ›Du bist recht alt für einen Lehr­ling, doch das soll mir egal sein, ein Hand­wer­ker nützt mir nichts.‹

      Er stand auf und woll­te ge­hen, aber ich hielt ihn zu­rück.

      ›War­te, ich war nicht im­mer Hand­wer­ker. Vor­her habe ich Fel­der be­stellt und Rin­der ge­züch­tet.‹

      Lang­sam dreh­te er sich um und mus­ter­te mich nach­denk­lich.

      ›Erst Bau­er, dann Hand­wer­ker. Wie alt bist du denn ei­gent­lich? Wer wech­selt denn so die Ar­beit?‹

      ›Mein Al­ter spielt doch kei­ne Rol­le, und ar­bei­ten kann ich, da kannst du si­cher sein. Au­ßer­dem gibt es im­mer wie­der Grün­de, mit et­was Neu­em an­zu­fan­gen, so wie jetzt, hier zum Bei­spiel‹, sag­te ich zwei­deu­tig.

      Wie­der kne­te­te er ner­vös sei­ne Hän­de.

      ›Be­sitzt du et­was, um dir das Recht auf Ne­bis Land zu si­chern? Wenn nicht, kön­nen wir es viel­leicht auch mit hö­he­ren Ab­ga­ben ver­rech­nen.‹

      Ich war an­schei­nend an einen ge­ris­se­nen Ge­schäf­te­ma­cher ge­ra­ten, der aus je­dem und al­lem Ge­winn schlug. Auf kei­nen Fall woll­te ich mich in die Ab­hän­gig­keit ei­nes sol­chen Men­schen be­ge­ben.

      ›Das wird nicht nö­tig sein. Ich habe ein we­nig Schmuck, der dem Wert ent­spre­chen müss­te.‹

      ›Schmuck?‹ Sei­ne Au­gen leuch­te­ten vor Gier auf.

      ›Wie kommt so ei­ner wie du zu Schmuck?‹

      Bei die­sen Wor­ten wan­der­te ein ab­schät­zen­der Blick über mich, was ich ver­ste­hen konn­te, denn auf mei­nen lan­gen ein­sa­men Wan­de­run­gen hat­te ich we­nig auf mein Äu­ße­res ge­ach­tet.

      ›War­te, bis ich wie­der ein Dach über dem Kopf habe, dann wirst du an­ders den­ken. Den Schmuck habe ich üb­ri­gens ehr­lich ver­dient, durch Ar­bei­ten die ich zu­sätz­lich über­nahm.‹

      Das stimm­te auch, denn oft woll­ten Kun­den Amun­was­hus Diens­te in An­spruch neh­men, konn­ten sie sich aber nicht leis­ten. Ich hat­te zu der Zeit schon einen ho­hen Fer­tig­keits­grad er­reicht, und über­nahm