Название | Unter der Sonne geboren - 3. Teil |
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Автор произведения | Walter Brendel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783966511889 |
Zwar gefällt es dem Sonnenkönig, Herrscher über eine der größten Städte der Welt zu sein. Paris untersteht Ludwig direkt - anders als die meisten anderen französischen Städte hat die Kapitale nie einen Freibrief erhalten, ihre Bürger dürfen sich deshalb nicht selbst verwalten.
Großzügig finanziert der König Projekte wie das Invalidenheim und prahlt, er wolle „für Paris tun, was Augustus für Rom tat“.
Der Gedanke an einen Aufenthalt in der Stadt reicht aus, um ihn in schlechte Laune zu versetzen. Lieber fährt er einen Umweg, als die Stadt in seiner Kutsche zu durchqueren.
Vielleicht ist ihm, dem Freund der Parks und Jagdausflüge, die Stadtluft zuwider. Ganz sicher hat er den Parisern ihre Untreue während der Fronde-Aufstände von 1648 bis 1653 nicht vergessen. Jetzt muss er sich bestätigt sehen. Die Giftaffäre scheint zu beweisen, dass es in Paris geheime Machenschaften gibt, außerhalb der Kontrolle des Königs und möglicherweise staatsgefährdend.
Ein Jahr, nachdem La Reynie die Untersuchung übernommen hat, werden die ersten Adeligen verhaftet, darunter der Herzog von Luxembourg, General des Königs.
Er wird beschuldigt, dass er seine Ehefrau, einen anderen Marschall sowie einen Geschäftsmann mit der Hilfe des Geliebten von La Voisin umbringen wollte. Man legt ihm die Flucht nahe.
Doch Luxembourg ist von der eigenen Unschuld überzeugt und will sich rechtfertigen: Zu Fuß geht er zur Bastille, um sich zu stellen. Angeklagte seines Standes hätten eigentlich das Recht auf einen Prozess vor der höchsten Kammer des Parlements, doch Ludwig überträgt seiner Untersuchungskommission die Vollmachten eines Sondergerichts auch für Aristokraten.
Und kann trotz des Schweigegelübdes der Kommissionsmitglieder nicht verhindern, dass die Vorkommnisse an die Öffentlichkeit geraten: Ganz Paris spricht von dem Skandal, die Höflinge spekulieren, wer als Nächster festgenommen wird. Jubelnd empfangen Verwandte und Freunde vor dem Tor all jene, die die Kammer entlastet.
Besonders geistreiche Antworten auf die Fragen der Richter machen schnell die Runde, freigelassene Verdächtige können sich vor Einladungen kaum retten. Eine Dame vornehmer Herkunft wird wegen des versuchten Mordes an ihrem Mann zu lebenslanger Haft in einer Besserungsanstalt verurteilt - La Reynie ist einer der weni-gen Richter, die für die Todesstrafe plädiert haben. Andere Adelige, die mit einer Verurteilung rechnen müssten, entziehen sich dem Prozess durch Flucht.
Zufällig wird in einem Theater der Stadt das passende Schauspiel gegeben: „La Devineresse“, eine Komödie über eine Wahrsagerin, die adelige Kunden in Liebesdingen berät. Die vornehmen Pariser drängen zu den Vorführungen, das Stück spielt mehr Geld ein als je eine französische Produktion zuvor. Für La Voisin beginnt nun der letzte Akt. Fast ein Jahr lang ist sie immer wieder verhört worden, hat mehrere tatsächlich begangene Giftmorde und Tausende von Abtreibungen gestanden.
Das Urteil der Sonderrichter fällt einstimmig: schuldig. Trotzdem wird sie noch einmal drei Tage lang vernommen, in die Bastille verlegt und zum Schluss auch gefoltert. Vielleicht, hofft La Reynie, liefert sie doch noch neue Informationen.
Doch die Verurteilte besteht darauf, nichts von schwarzen Messen zu wissen, und macht ansonsten nur die ebenso vage wie beunruhigende Bemerkung, dass „sehr viele Personen jeden Ranges und je-der Vermögenslage sich an sie gewandt hatten, die nach dem Tod anderer trachteten“. Dann lässt sie sich am Vorabend ihrer Hin-richtung ein deftiges Essen schmecken, trinkt viel Wein und singt derbe Lieder. Tags darauf muss sie den Weg zur Place de Greve antreten.
Die Place de Greve ist an diesem Wintertag schwarz von Menschen. Seit dem frühen Morgen stehen sie hier, vor dem Pariser Rathaus, auf dem größten Platz der Innenstadt, wo sonst die arbeitslosen Tagelöhner auf Auftraggeber warten.
Sie schubsen, versuchen, über die Köpfe der anderen hinweg einen Blick zu erhaschen auf den Scheiterhaufen, auf den Henker, auf den Karren mit der Verurteilten oder wenigstens auf ihre Haube: Catherine Montvoisin, genannt La Voisin. Es ist der 22. Februar 1680. Während sie warten, tauschen die Pariser die furchtbaren Gerüchte über die Verurteilte aus: Gifte hat sie gemischt, Kinder abgetrieben und in ihrem Ofen verbrannt. Und ihre adeligen Kunden!
Der Herzog von Luxembourg, des Königs General, Marschall von Frankreich, soll eine Prozession abgehalten haben mit zwölf nackten Frauen, angeführt von einem Priester, der nur eine Stola trug.
Das ist fast sicher, denn ohne triftigen Grund sitzt der Aristokrat bestimmt nicht in der Bastille, vielleicht wird man auch ihn bald auf dem Weg zum Henker sehen.
Da kommt das Gefährt näher, bahnt sich eine Schneise durch die Menge. La Voisin trägt ein weißes Hemd, das Gesicht der Giftmörderin ist rot. Seit sie von der Bastille losgefahren ist, hält sie die Blicke ihrer Mitbürger aus, die an der Rue Saint-Antoine stehen, auf der Brücke von Notre-Dame, vor der Kathedrale.
Und noch vor ihr trifft die Nachricht auf der Place de Greve ein: La Voisin hat sich geweigert, vor Notre-Dame niederzuknien und Abbitte zu leisten vor Gott, dem König und ihren Mitmenschen.
Auch jetzt wehrt sie sich, mit Gewalt muss sie vom Karren heruntergezerrt werden, sie flucht entsetzlich. Mit Ketten bindet der Henker sie auf den Scheiterhaufen. Als er Stroh auf die Todgeweihte häuft, damit sie schnell verbrennt, stößt sie es mit den Füßen weg.
Schließlich gelingt es dem Henker doch, das Stroh zu entzünden, weißer Rauch hüllt sie ein, und die Menge intoniert das traditionelle Gebet an die heilige Jungfrau: „Salve Regina“. Gegrüßet seist du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit.
Ob Gabriel-Nicolas de La Reynie, der Polizeichef, zufrieden ist? Der Mann, der La Voisin verhaften ließ, sie verhörte und verurteilte - er wird ihren letzten Akt sicher nicht verpasst haben.
Vielleicht verfolgt er das Schauspiel von einem Fenster des Rathauses aus. Manchmal wollen Delinquenten noch kurz vor dem Tod neue Aussagen machen, um ihr Ende hinauszuzögern, und werden dazu ins Hotel de Ville gebracht. Gut möglich also, dass sich der Polizeichef hier bereitgehalten hat.
Die Menge zerstreut sich. La Reynie aber weiß, dass es noch nicht vorbei ist. Diese Stadt, die er heller gemacht hat, sicherer und sauberer, sie zeigt ihm seit Monaten ihre dunkelste, tödlichste und schmutzigste Seite.
Im Februar 1680 löste der Tod der Voisin auf dem Scheiterhaufen den anderen Angeklagten, die auf ihr Urteil warteten, plötzlich die Zunge, und allesamt brachten sie Madame de Montespan ins Spiel, deren Namen schon Lesage mehrmals genannt hatte. Eingeleitet wurde die Offensive von Marie-Marguerite Monvoisin, einer Tochter der Voisin, die zu Lasten der Marquise angab, sie habe sich bei drei verschiedenen Gelegenheiten an ihre Mutter gewandt: Sie habe Liebestränke bei ihr bestellt, um den König an sich zu binden; sie habe Gift in Pulverform bei ihr erworben, um Mademoiselle de Fontanges und sogar den König zu ermorden und sie habe an schwarzen Messen teilgenommen. Ihre scheinbar völlig unglaubwürdigen Behauptungen wurden allerdings prompt von einer anderen Wahrsagerin und Expertin für Schwarze Magie bestätigt, die La Reynie ins Netz gegangen war. Nach Aussage jener Filastre hatte die Marquise sich häufig ihrer Künste bedient, um sich mit Liebes- und Zaubertränken die Leidenschaft des Königs zu erhalten. Besessen von der Angst, eine Rivalin könnte sie verdrängen, habe Madame außerdem an schwarzen Messen teilgenommen, die ein unheimlicher Prior namens Guibourg über ihrem nackten Leib zelebrierte und bei denen ein neugeborenes Kind geopfert wurde.
Als er von diesen grauenhaften Anschuldigungen erfuhr, befahl der König, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, und der Angst, Athenais zu kompromittieren, mit den Verhören fortzufahren. Am 14. Mai verlangte er jedoch, die Unterlagen, die Madame de Montespan betrafen, aus den Prozessakten zu entfernen, womit es den Richtern praktisch unmöglich wurde, weiterzuarbeiten. Als La Reynie 1709 starb, ließ Ludwig XIV. sich die Dokumente aushändigen, die die Marquise betrafen, und warf sie eigenhändig ins Feuer. Er wusste freilich nicht, dass das Oberhaupt der Polizei eine Zusammenfassung der Verhörprotokolle