Название | Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang |
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Автор произведения | Johann Gottfried Herder |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066398903 |
Unter den Römern in ihrer besten Poetischen Zeit ist vor Allen Horaz ein Liebhaber von Moralischen Wesen, von personifirten Abstraktis; diese Personendichtung ist mit ein Hauptstrich seines Genies, und hat seine Oden sehr verschönert. Da eine solche Moralische Person bei ihm gemeiniglich schnell, mit wenigen, aber lebendigen Attributen, und recht in die Handlung der Ode auf einmal hineintritt: so lieben wir den angenehmen Sylphen, die schöne Sylphide, die uns so gelegen vorüber rauschet. Wie süß ist sein Bild der lächelnden Venus, die der Scherz und die Amors umflattern:
– Erycina ridens
quam Jocus circumvolat et Cupido –
Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde sitzen, auch des Nachts um die Dächer der Reichen flattern: wenn der Tod mit seinem Fuß an die Hütten der Armen, und an die Palläste der Mächtigen mit gleichen Schlägen anpochet: wenn das Glück –
Ich komme jetzt auf die Ode Horazens, die an solchen Personen-Dichtungen die reichste ist, und wo die personifirten Abstrakta den Auslegern manche saure Viertelstunde gemacht haben. Das Glück selbst, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die Treue u.s.w. sind als Moralische Wesen in diese Ode zusammengruppirt, und das Ganze des Gesanges selbst ist einem personifirten Abstrakto gewidmet. – Man erräth es, daß ich von der Ode aus Glück2 rede. Baxter sucht hier, wie gewöhnlich, in ihr seine lieben Dilogien,3 und Geßner4 geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er sie für eine Abhandlung über den Artikel Glück erklärt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung lesen.
Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich das Glück, als ein Abstraktum an, um nach Geßners Meinung einen locum darüber durchzuhandeln; sondern die Göttin des Glücks, und zwar zunächst die, so zu Antium verehret wurde. Die ganze Ode tritt also gleich aus dem Lichte eines allgemeinen Begriffes weg; und wird ein Römisches, ein Familienstück der Stadt Anzo: ein Altarstück in dem Tempel dieser Stadtgöttin. Ein Einwohner von Anzo sollte aufleben, um uns diese Ode aus seiner Vaterstadt zu erklären, und wie würde der uns mit manchem ehrlichen locus communis auslachen, den wir dem Glücke überhaupt aus dieser Ode andichten, weil wir nicht die Ehre haben, die Göttin zu kennen, der die Ode als ein Individualstück gewidmet ist.
Welches sind nun die Attribute dieser Göttin? »Sie kann erniedrigen und erhöhen!« So gesagt, wäre dies Attribut freilich nichts als locus communis; allein, wie es Horaz sagt, wird es Römisch. Dies Glück in Antium ist eine Römergöttin: sie beschäftigt sich mit den Revolutionen des Staats, die Horaz vielleicht eben damals vor sich sahe: sie giebt und stürzet Triumphe um. So wenig der Afrikanische Jupiter eben der Römische Jupiter, und die Madonna in Loretto völlig die Madonna in Parma ist: so ist nicht so ganz diese Fortuna jedwede andere: sie ist Antium eigen, und Römisch gesinnet.
»Rings, um ihr Bild geht der stehende Landmann, und der Schiffer des Karpathischen Meers mit seiner Bitte.« Ich weiß nicht, warum Baxter hierüber bis in den Mond reiset, und da sortem fortunae sucht; auch ist mir die Geßnersche Erklärung: daß die Stürme des Meers aus unbekannten Ursachen kommen, nicht vorausgesehen werden können, also dem Glücke zuzuschreiben sind, u.s.w. zu allgemein; und endlich die Klotzische Erläuterung,5 daß das Glück auf Münzen mit Kornähren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr? gebildet werde, ist für mich und für Horaz noch gelehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfältige! an Nichts gedacht, als daß Antium, die Wohnung der Fortuna, Landeinwohner habe, und nahe an der See liege: der Tempel des Glücks also von beiderlei Art Leuten Besuch erhalte.
»Dich fürchtet der rauhe Dacier, und die flüchtigen Scythen: Städte und Völker: und das wilde Latium: die Mütter der Barbarischen Könige, und die bepurpurten Tyrannen.« Allein genommen wäre nichts leichter zu erklären, als diese Strophe: sie schilderte nämlich die Göttin des Glücks Römisch gesinnet: vor ihr müssen die Feinde, die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun der Zusatz:
iniurioso ne pede proruas
stantem columnam; neu populus frequens
ad arma cessantes ad arma
concitet imperiumque frangat.
So sind über nichts so leicht artigere Dinge gesagt worden, als über diese stehende Säule: Baxtern6 dünkte sie sehr emphatisch August zu seyn, ohne zu bedenken, ob auch die Feinde, die rebellischen Vasallen Roms, vor dem Sturze Augusts so bange seyn würden. Geßner verstand, dem locus communis: de Fortuna, den er in dieser Ode fand, gemäß, »jeden Menschen, auf den sich andere, wie auf eine Säule stützen,« ohne uns zu sagen, wie sich dieser Allgemeinsatz zwischen Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen schicke. Meine Wenigkeit findet in dieser stehenden Säule – nun? nichts als eine stehende Säule: eine Säule, die, vielleicht in Anzo, mit dem Namen Roms bezeichnet, vor der Fortuna stand, wie ja sonst dem Glücke, der Ruhe, der Sicherheit solche Säulen pflegen hingestellt zu werden.7 Nun fiel Horazen das Bild ihres Unwillens ein: wie? wenn sie ihren Fuß ausstreckte, und die Säule stürzte? So wäre dieser Sturz, ein Sinnbild, dem Poeten ein Losungszeichen von dem Sturze Roms. In Haufen würde das Volk zu Waffen eilen: zu Waffen auch die noch Säumenden ruffen, und das Reich, diese ungeheure Weltsäule, zerbrechen. Die ganze Ode läßt muthmaßen, daß manche zur Zeit Horaz sich regende Welle ihm diesen Sturm prophezeiet, oder mit seinem Bilde, daß Fortuna schon damals ihren großen Zeh zu regen schien, um an die Säule zu treffen. – Wie aber fürchten sich davor Dacier und Scythen, Barbarn und Tyrannen – keine Römer, keine Patrioten? Horaz sagt nicht: daß jene sich davor, vor diesem Umsturze fürchten; sondern, daß sie die Göttin des Glücks fürchten und scheuen: sie, die über Rom wache, und die Säule desselben vor sich habe; die aber auch mit einem Fußstoße dasselbe stürzen könne: diese Allmächtige fürchten und scheuen Scythen und Barbarn, (denn was könnten ihr diese für ein anderes Opfer bringen, als Furcht?) und warten auf den Augenblick ihres Entschlusses, der damals sich schien zu nähern.
Bisher ist die Ode ein Römisches National- und ein Antiatisches Familienstück gewesen; sie fängt an, symbolischer zu werden:
– te semper anteit serva (salva) Necessitas
Clavos trabales et cuneos manu
Gestans ahena; nec serverus
Vncus abest, liquidumqne plumbum.
Seit dem es Kunstrichter von Geschmacke giebt, ist mehr als einer mit diesem Bilde Horaz nicht zufrieden gewesen. Sanadon zuerst unterstand sich, zu sagen, daß dies Gemälde in seinem Detail genommen, schöner auf der Leinwand, als in einer Heroischen Ode, wäre. Ich weiß nicht, ob Sanadons Gefühl hierinn nicht fein und richtig bleibe, ob ich gleich den Spott über ihn gelesen:8 quod haec imago non placuit bono Sanadonio, sui ingenii homo est, delicatus mehercle! et venustulus. Ich weiß nicht, ob dieser sui ingenii homo, delicatus mehercle et venustulus mit der mächtigen Widerlegung zufrieden seyn könnte: neque enim intellexisse videtur, quam divina sint: ahena manus, severus uncus. Ich, der nicht fein gnug ist, das Göttliche in einem ahena manus, in einem severus uncus zu erblicken, fühle mit Sanadon gleich, und glaube, daß jeder, der die Ode in einem Strome fortlieset, bei diesem Bilde es fühlen werde, daß er vestgehalten wird, daß er vor einer bemalten Leinwand stehen bleibe: und das will niemand in der Ode.
Mögen also alle diese Werkzeuge attirail patibulaire, oder Bevestigungswerke, oder Symbole der höchsten