Название | Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang |
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Автор произведения | Johann Gottfried Herder |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066398903 |
Und bei diesem ganzen Privilegium des Künstlers, worauf kommt sein unumschränkter Gebrauch an? auf das Wort: Handlung. Kann der Künstler z.E. Maler, seinem Werke Handlung geben; kann er mehrere Personen gruppiren, die gemeinschaftlich eine Poetische oder Historische Situation vorstellen, känntlich und schön vorstellen können; o so vergesse er sicher die innere und äußere Charakteristik seiner Götter, die ihm sonst einzeln nothwendig waren. Immerhin lasse er auch seine Handlung dem Abstrakten Charakter sichtlich wiedersprechen: immerhin male er uns auch eine auf ihren Kupido zürnende Venus; denn wenn sie auch in diesem Augenblick nicht die Liebe selbst bliebe, so bleibt sie doch, was sie ursprünglich ist, die Göttin der Liebe, die Mutter des Kupido. Kann er Venus und den getödteten Adonis in Malerische Handlung bringen: so ruffen wir der Venus mit dem Dichter zu: »was schläfst du, Cytherea, auf purpurnen Decken! Stehe auf, Unglückselige, zeuch Trauerkleider an, und schlage an deine Brust, und klage der ganzen Welt: er ist nicht mehr, der schöne Adonis!« und immerhin wollen wir auch Adonis sehen, wie ihn der Dichter sieht: »Er liegt, der schöne Adonis liegt ausgesteckt auf dem Gebirge. Ein mörderischer Zahn hat seine zarte Hüfte verletzt. Noch einen letzten Seufzer athmet er: schwarzes Blut rinnt über den Leib, der blendender ist, als Schnee. Das Licht seiner Augen verlischt: die Lippen erblassen: Adonis stirbt.« Stirbt Adonis etwa, als die Idee ehelicher Liebe und Glückseligkeit und Schönheit? trauret Venus, um die Idee der Liebe in Maske zu zeigen? Wird die letztere jedem gesunden Mythologischen Auge deßwegen hier känntlich werden, weil sie das Abstraktum der Liebe macht? Nein, das Süjet des Gemäldes ist Dichterisch, ist Historisch: so auch die Figuren des Künstlers? Jedesmal, daß er sie dazu machen kann: wohl! so vergesse ich die Abstrakte Idee, die er in einer einzigen Figur nur aus Noth vorstellen mußte. Kupido, der die Psyche plaget, und Jupiter, der den Ganymed entführet, Diane, die den Endymion besucht, und Venus, die ihre geritzte Haut beweinet – ich verspreche dem Künstler, in diesem Augenblicke keine personifirten Abstrakta zu suchen, im Jupiter keinen Präsidenten der Götter, in Dianens Gesichte keine jungfräuliche Keuschheit: in Venus kein schmachtendes Liebäugeln, und in Kupido, keinen spielenden Verführer. Alle diese Wesen gehören dem Dichter, und der Künstler läßt sie ihm, wo er sie ihm lassen kann. –
Ich weiß nicht, wie enge dem Künstler der Mythische Cyklus werden müßte, wenn Hr. Leßing ihm alle Historische und Dichterische Situationen untersagte, ihm nur zuließe, in ihm personifirte Abstrakta zu suchen, und jeden kleinen Wiederspruch, der in der Handlung gegen die Abstrakte Idee des Charakters (ein Idol der neuern Mythologisten!) vorkäme, verböte. Lebe alsdenn wohl, Handlungsvolle Kunst! du bist in der Mythologie eine Gallerie einförmiger Ideen, Abstrakter Charaktere!
»Wenn der Dichter Abstrakta personisiret: so sind sie durch den Namen, und durch das, was er sie thun läßt, genugsam charakterisiert. Dem Künstler fehlen diese Mittel. Er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinnbilder hat bei dem Künstler die Noth erfunden; wozu aber den Künstler die Noth treibet, warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von dieser Noth nichts weiß? Es sey ihm also Regel, die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume zu machen, und seine Wesen mit Sinnbildern der Kunst auszustaffieren. Er lasse seine Wesen handeln, und bediene sich auch poetischer Attribute« – u.s.w. Wie gerne, wie unermüdet hört man Hr. L. sprechen,5 wenn er – doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunstcomposition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters personifirte Abstrakte, die auch in seinem Gemälde, durch das, was er sie thun läßt, gnugsam charakterisirt sind. Dem Künstler einer Figur fehlt dies Mittel: er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder geben, durch welche sie känntlich werden; aber diese Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu also den Künstler ohne Handlung die Noth trieb, warum sollte sich das der Künstler mit Handlung aufdringen lassen, wenn er von dieser Noth nicht weiß? Es sei ihm also Regel, auch das, was seiner Kunst Bedürfniß ist, im andern Fall nicht zu seinem Reichthume zu machen, seine Wesen nicht mit Sinnbildern zu überhäufen, sie, wo sie als höhere Individua in Handlung erscheinen, nicht zu Puppen auszustaffieren, und am mindsten es gar zum Hauptsatze seiner Kunst zu machen: »mir sind die Personen der Mythologie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen.« Bei diesem Grundsatze, was wird aus der Kunst, die Compositionen liefern soll? Eine Maskerade Symbolischer und Allegorischer Puppen!
Es giebt also selbst unter den Künsten, die sich auf Zeichnung gründen, noch immer beträchtliche Unterschiede, die eine oder die andere mehr dem Dichterischen nähern. Die Bildhauerkunst entsteht ihr am weitesten: die Malerei aber, in ihrer Komposition zumal, zumal in der Komposition Dichterischer Geschöpfe, die ursprünglich Wesen der Einbildungskraft und nicht des Anschauens sind, tritt der Poesie weit näher. Sie hat ein Drama ihrer Figuren: sie stellt alle bloß in der Absicht zusammen, um eine Handlung zu repräsentiren: sie läßt also so viel möglich weg, was zur Handlung nicht gehört, oder ihr gar widerspräche. Sollte in jedem Kunstwerke von Composition jede Mythologische Person mit allem dem Zubehör überladen werden, der ihr zukommen mag, aber zu dieser Handlung nicht gehört: sollte sie der Historische und Dichterische Maler nur als personifirte Abstrakta behandeln sollen, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen: welch ein verwirrendes und zerstreuendes Geschleppe von Symbolischen Zeichen und charakterisirenden Prädikaten! Soll Venus in einem Gemälde von Komposition nie anders, als die Liebe selbst, (und nicht blos als die Göttin der Liebe) erscheinen, und als die Liebe selbst jedesmal charakterisirt werden; und alle Theilnehmende Personen ebenfalls so, jede nach ihrer Art – weg mit dem Ball in Maske. Der Maler war hier in der Komposition eines Dichterischen Süjets Dichter: seine Figuren sollen sich durch Handlung känntlich machen: auf diese Handlung sollen sich die Attribute beziehen, die er ihnen giebt: solche, die zu dieser Vorstellung nicht gehören, so lange nur die Person noch känntlich bleibet, lasse er weg: er opfere dem Mangel, der Nothwendigkeit seiner Kunst so wenig auf, als er darf, und am allerwenigsten mache er diesen Mangel, dies Gesetz der Noth zu seiner allgemeinen, wesentlichen Regel: bei dem Künstler sind Götter und geistige Wesen personifirte Abstrakta, »die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen.«6 Ich sage umgekehrt: auch bei ihm sollen Götter und geistige Wesen sich durch Handlung charakterisiren, wo sie es können; und blos im Fall, wo sie es nicht können, sich als personifirte Abstrakte, durch die ihnen beigelegte Symbole, känntlich machen. Im Grunde also einerlei Gesetz, einerlei Freiheit.
1 p. 113–118.
2 p. 99. 100.
3 p. 100. 101.
4 p. 99.
5 p. 115. 116.
6 p. 99.
XII.
Von Seiten der Dichtkunst kann es keine nöthigere Lehre geben, als die: