Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Название Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang
Автор произведения Johann Gottfried Herder
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066398903



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Schönheit«, rief sie aus, »in wie viele Drangsale stürzest du uns! Und wenn wir andre damit glücklich machen, so geraten wir dadurch selbst in das äußerste Elend. Wie die Könige, die alles vermögen, nur daß unsre Herrschaft kurze Zeit dauert, haben wir durch dich keinen Freund; und die vortrefflichsten Männer, mit allen Vollkommenheiten ausgerüstet, wie zum Exempel Ihr seid, legen uns häßliche Fallstricke.«

      Diese Apostrophe ging mir wie eine Kugel vor den Kopf, und ich fiel in Staub vor der Himmlischen nieder.

      Nachmittags drehte sich der Wind, und wir fuhren mit Rudern und Segeln wieder ab. Auf unser Schiff war mit einigen andern Gefangnen der junge Held gebracht worden, der auf der zweiten eroberten Galeere so tapfer kämpfte, so daß wir unser drittes Fahrzeug darüber einbüßten. Ich hörte ihn hernach im Neugriechischen mit einem seiner Gefährten sprechen; und er stampfte noch mit dem Fuße vor Zorn, daß die zwei andern Galeeren sie im Stiche gelassen hatten; jedoch mit Unrecht: denn jene wurden gleich im Anfang des Gefechts von unserm Geschütz sehr übel zugerichtet. Er sprach inzwischen so frei und ohne Furcht in der Gefangenschaft, und seine Gestalt war so schlank und edel in der wilden Farbe von Meer und Sonnenbrand, daß mein Herz gegen ihn von Zuneigung wallte. Ich beschloß, alles Mögliche anzuwenden, ihn von der Knechtschaft loszumachen, welches mir denn auch glückte; noch ehe wir zu Genua einliefen, schenkt' ihn mir Doria zur Belohnung. Ich nahm ihn zu mir, wie wir von Bord traten, erklärte ihm seine Freiheit, worüber er mir an die Brust flog, und ließ ihn wenig Tage darauf mit einem venezianischen Schiffe nach Konstantinopel abfahren. Er bat mich vorher um meine Zuschrift, die ich ihm dann an Dich gab.

      »Du sollst dich nicht in mir betrogen haben«, sprach er zu mir beim Abschied; »solche Menschen wie wir müssen einander ihr Leben lang helfen.«

      Die Männer, die ihre schönen jungen Weiber wiederbekamen, freuten sich wenigstens, daß ihnen Grund und Boden geblieben war; und die Väter und Mütter hofften bei ihren Töchtern das Beste. Wegen der Braut wurden insgeheim von der Familie des noch verwundet darniederliegenden Bräutigams verschiedne Personen besonders in Verhör genommen; und als ihre Aussagen übereinstimmten und derselben Unschuld bekräftigten, so überließ man sich wieder ganz der Freude.

      Der Himmel beschere mir nur immer so fort ein Leben und lasse mich nie in Untätigkeit schmachten; von Cäcilien und Dir geschieden zu sein aber tut mir weh im Herzen. Wann wird einmal wieder die Zeit der Vereinigung kommen! Ach, wenn es ihr nur wohl geht! Dies ist jetzt alles, was ich von ihr verlange.

      Ardinghello

      Ich meldete Ardinghellon den Empfang seines Briefs, und daß die Sachen der Cäcilia erwünschten Ausschlag nähmen und man auf ihn gar keinen Verdacht hätte, und andre Dinge, die mich betrafen und nicht zu dieser Geschichte gehören; und erhielt von ihm im Dezember folgende weitere Nachricht.

       Genua, Dezember.

      Die See ist hier doch etwas ganz anders als in Euren Brentasümpfen! Die Stürme machen mir jeden Tag ein neues Schauspiel; und ich begreife nun, wie Kolumben der Mut im Herzen erwuchs, sich mit einer Bande Gesindel in den unwirtbaren Ozean hinauszuwagen, gleich einem Gotte, der Wasserfluten und Orkane kennt und in ihr grausames wildes Spiel sich zu finden weiß, kühner als Herkules und alle Helden der vorigen Zeitalter. Wann die Wogen so den Hafen hereinbrechen und sich an seine hohe Mauer hinaufwälzen, bis über die Dächer der Häuser, die da stehen, und Schaum und Meer wie ein Wolkenbruch wieder herabströmt und mit dem neu herbeirauschenden Ungestüm sich klatschend zu Staub wirbelt: wie lebt die Natur da in meinem Sinn und ergreift mit ihrer Musik mein Wesen!

      Ich habe angefangen, es mit Farben darzustellen, aber alles wieder weggeworfen: dahin reicht keine Kunst; sie bleibt hier zu sehr bloß toter winziger Buchstabe.

      Dafür geb ich mich desto mehr mit den hiesigen Seeleuten ab; studiere den Schiffbau; lasse mir ihre Züge durch das Mittelländische Meer erzählen, ihre Gefechte, Gefangenschaften, ihren Handel; bewirte die besten oft und teile ihnen wieder von demjenigen mit, was ich weiß; und erkenn immer mehr, daß der Mensch eher so gut ist, als er sein kann, als daß er so bös wäre, als er sein könnte, im ganzen genommen.

      Zufriedner bin ich mit ein paar Skizzen, die ich aus den Begebenheiten gemacht habe, welche ich Dir in meinem vorigen Brief erzählte. Die eine stellt die Szene vor, wie die Räuber in den Tanzsaal fielen und Braut und Frauenzimmer entführten; doch würde mir die nächtliche Beleuchtung bei der Ausführung im Großen schwer werden. Die andre ist, wie ich den Biondello unter dem Verdeck niederstieß. Wenn ich den Ausdruck der Wut und Verzweiflung in seinem Kopf erreichen könnte, und den höchsten Schrecken, der an die Ohnmacht grenzt, in den schönen Weibergestalten, die ich in ihren Gruppen und zerzausten Kleidungen ganz nach der Natur genommen habe, samt den zwei Niedergeschmetterten: so müßte dieses Bild im Großen jedermann ergreifen. Fulvia besitzt sie, und sie mag sich dieselben einmal von einem andern ausmalen lassen. Ich bin mit ihr schon bekannter geworden, als ich anfangs wollte.

      Ich stecke in einer Lage, die ich Dir kaum mit Worten andeuten kann. Wenn Lucinde an Fulvias Stelle wäre, so führten wir ein Götterleben; so aber ist Natur und bürgerlicher Stand einander ganz entgegen. Fulvia hat eine Phrynenseele; und diese sollte Lucinde haben, um das glückseligste Geschöpf zu sein. Ich habe Gespräche mit der letztern gehabt, mich auf ewig mit ihr zu fesseln, wenn die Ehe nicht der Tod bei lebendigem Leibe für meinen freien Sinn wäre. Ach, es geht bei ihr alles so schön hinüber und herüber! Was dies weibliche Wesen für einen süßen Klang hat, ist unaussprechlich. Und ihre Ahndungen und Gefühle von unsichtbaren Welten, so fremd und sonderbar und kindlich zuweilen sie mir auch vorkommen, ergötzen mich doch wie Homerische und Platonische Dichtungen.

      Es ist mancher von ihr angebrannt und lüstern bis zur Wut nach ihrem Ambrosia und Nektar: aber wen sie etwa möchte, der will oder darf sie nicht heuraten; und so ist der Engel melancholisch und unglücklich. Sie will mir wohl, das seh ich, und leidet Pein, und tut sich die äußerste Gewalt an. Warum müssen wir so gebunden sein und jeden Tropfen Lust mit Ach und Weh erkaufen! Alles in der Natur ist glücklich, nur der Mensch nicht; das, was wir Vernunft nennen, steht ihm immer als ein tyrannischer Zuchtmeister zur Seite; und diejenigen, welche man ihrer Vollkommenheit wegen bewundert, sind die Armseligsten unter allen.

      Als ich mich einst an einem Abend tiefer mit ihr im Gespräch hierüber verlor und ihr dieses einleuchten machen und sie, wie mich dünkt, auf ihren rechten Lebenspfad führen wollte: sah ich auf einmal Fulvien neben uns, die ich im Eifer nicht bemerkt hatte; wir sonderten uns vorher von der Gesellschaft ab und standen an einem Fenster im Saal mit der Aussicht übers Meer hin. Der Ernst kehrte sich dann in Kurzweil; Fulvia foppte mich als einen blöden Schäfer, und in Rücksicht auf sie war der Spott nicht ungerecht: und Lucinden sagte sie einige unanständige Dinge, welche deswegen errötend ausschied.

      Folgenden Nachmittag erhielt ich durch ein Weib, das Lucinden bediente, ein Zettelchen, worauf geschrieben stand: »Ich muß Sie allein sprechen, mich zwingt die Not dazu; warten Sie eine Stunde nach Einbruch der Nacht unten am Palaste; die Überbringerin wird Sie an Ort und Stelle führen.«

      Ich wußte nicht, was ich denken sollte, und von der Frau war weiter nichts herauszubringen; inzwischen versprach ich, gewiß zu kommen.

      Dieselbe führte mich auch die bestimmte Zeit die Treppe hinauf und oben durch den kleinen Garten. Es war finster und regnete, und der Wind sauste. Alsdenn machte sie ein Zimmer auf, schloß mich hinein, und ich war völlig im Dunkeln. Sogleich wurd ich von einer warmen Hand fest gefaßt und auf ein Ruhebettchen gebracht, schüchtern erst und endlich inbrünstig umarmt und geküßt unter heißen Seufzern, ohne weiter nur ein Wort zu hören. Mein ganzes Blut geriet in Wallung an den Liebe klopfenden Brüsten; ich glaubte, Lucinde sei plötzlich eine heitre Griechin geworden und wollt ihr himmelschönes junges Leben genießen und mit mir den Anfang machen. Mir wich das Gewand unter immer mehr verführerischem Sträuben; und ich gelangte bei dem höchsten Reize, den junge zarte nackte vollkommne weibliche Formen in der Dunkelheit für unsern stärksten Sinn nur haben können, zum entzückendsten Ziel meiner entflammten Begierden.

      Das bacchantische Leben, das endlich alle Verstellung vergaß, brachte mich hernach doch etwas aus meiner Unüberlegung, obgleich noch ganz im Rausche. »Lucinde, Lucinde«, rief ich, »welch eine glückliche Verwandlung! Laß mich deine Stimme hören.«