Narrenschwämme. Jochen Gartz

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Название Narrenschwämme
Автор произведения Jochen Gartz
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783037884942



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       Nordische Berserkerwut

      Im Zuge der ideologischen Machtauseinandersetzung zwischen Christentum und übriggebliebenen Naturreligionen ging durch die Unterdrückung und Ausmerzung der Kulturträger viel ursprüngliches Wissen in Europa verloren, einschließlich der frühen Verwendung temporär bewusstseinsverändernder Pflanzen und Pilze. Auch die „Berserkerwut“ nordischer Krieger wurde von einigen Autoren dem Gebrauch des Fliegenpilzes zugeschrieben. In nordischen Berichten ist häufig die Rede von „Augenverblendungen“ (d. h. Halluzinationen). Nachdem das „Berserker-Gehen“ vom nordischen Recht verfemt worden war, verschwand es abrupt im 12. Jahrhundert. Saxo Grammaticus vermutete etwa zur gleichen Zeit, dass die Berserker Zaubertränke verwendet hätten.

      Es wäre ebenso gut möglich, dass die in Norwegen sehr häufige Psilocybe semilanceata das früher verwendete Halluzinogen darstellte.

      Beide Pilzarten erzeugen im Allgemeinen keine „Wut“. Es wäre jedoch in dem Zusammenhang möglich, dass schon in dieser Zeit eine Verketzerung und Falschdarstellung der Pilzwirkung bei der Bevölkerung einsetzte, um einen Grund für neue Gesetze zu schaffen und damit dieses unerwünschte heidnische Brauchtum schließlich auszumerzen.

      Jedenfalls zeigen Felszeichnungen aus Nordeuropa, die noch 2000 Jahre älter sind als die Berichte über die Berserker, sowie Bronzegefäße aus der gleichen Zeit Pilzmotive, wobei die Darstellung zum Teil zusammen mit Zoomorphen erfolgte. Diese Anzeichen für einen Pilzkult, der in der frühen Eisenzeit wie viele andere Lebensgewohnheiten der damaligen Bevölkerung offensichtlich ausstarb, deuten auf ein Kontinuum der Anwendung psychotroper Pilze in Nordeuropa hin.

      Ein alter schwedischer Volksbrauch, der bis in die Neuzeit praktiziert wurde, dokumentiert ebenfalls, dass wahrscheinlich dort eine frühe Kenntnis über Pilze bestand, die „Geistersehen“ hervorriefen. Während des Festes der Sommerfeuer zur Sonnenwende warfen die Teilnehmer eine heute nicht mehr bekannte Giftpilzart („Bäran“) in die Flammen, um der Macht der Kobolde und anderer böser Geister zu begegnen. Der Pilz erscheint hier als Materialisierung von Schadensgeistern. Durch seine Vernichtung werden diese ebenfalls entmachtet. Uralte Wissensreste über die Psychoaktivität einzelner Spezies könnte die Ursache für diese spätere Annahme gewesen sein. Aus dem ausgehenden Mittelalter existieren einige schriftliche Zeugnisse über psychotrope Arten, die aus verschiedenen Ländern stammen, interessanterweise aber die gleiche Wirkungsrichtung betonen.

       Liebestränke aus bolond gomba

      So fand der große Arzt und Botaniker Clusius (1525–1609) in Ungarn den „bolond gomba“ einen Pilz mit dem deutschen Namen „Narrenschwamm“. Dieser wurde in ländlichen Gebieten gebraucht und vom weisen Mann (javas asszony) zu Liebestränken verarbeitet. Der Narrenschwamm wird in dieser Zeit auch aus der Slowakei erwähnt. In den Versen des polnischen Dichters Waclav Potocki (1625–1699) kommt dieser Pilz ebenfalls vor; es wird von seiner Eigenschaft gesprochen, „töricht zu machen wie Opium“.

      John Parkinson spricht in seinem Theatricum Botanicum (1640) vom analogen „foolish mushroom“, den er aus England näher beschreibt. Über geistige Verwirrung gibt es in Österreich die volkstümliche Bezeichnung „Er hat verrückte Schwammerln gegessen“.

      Diese verstreuten geschichtlichen Zeugnisse lassen keine eindeutige Bestimmung der verwendeten Pilzarten zu. Als Spezies kämen entsprechend ihres Vorkommens vor allem Psilocybe semilanceata und Psilocybe bohemica (S. 20 ff.) in Betracht. Auffällig ist, dass diese Bezeichnungen nur einen Aspekt der Eigenschaften der Pilze herausgreifen, die schizophrenartige Wirkung, die manchmal ausgeprägt sein kann. Niemals kommt in den Berichten eine besondere Wertschätzung im Sinne der mexikanischen Indianer („Teonanacatl“ = Fleisch der Götter) zum Ausdruck.

       Zwischen Bewunderung und Furcht

      Stets wurden die Pilzwirkungen mit den Symptomen von Geisteskrankheiten verglichen. Wahrscheinlich lässt sich die unterschiedliche Einschätzung erklären, wenn man die von R. G. Wasson und seiner Frau erstmalig definierten Begriffe Mykophilie und Mykophobie verwendet. Danach teilte er das traditionelle Verhältnis der Völker zu Pilzen in zwei Gruppen ein, wobei einer ausgesprochenen englischen Pilzabneigung (Mykophobie) die Pilzliebe (Mykophilie) z. B. in den slawischen Ländern gegenübersteht. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung liegen im Dunkel der Geschichte.

      Es könnte eine frühe Tabuisierung psychotroper Pilze als Auslöser für ein späteres mykophobes Verhalten gedient haben. Andererseits könnte bei der Erschließung der Pilze als Nahrungsquelle vor Tausenden von Jahren eine auffällige Häufung tödlicher Vergiftungsfälle in mehreren Landstrichen aufgetreten sein, die eine starke und dauerhafte Abneigung der Bevölkerung gegen die gesamte Mykoflora hervorgerufen hat.

      Die Mykophilie im alten Mexiko war jedenfalls verbunden mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Wirkung der Psilocybe-Arten, ihrer festen Einbindung in Riten, ohne dass eine Beziehung zu den ebenfalls dort vorkommenden echten Geisteskrankheiten gezogen wurde. Die Indianer dieses Landes sind interessanterweise auch die einzigen Amerikas, die traditionell Speisepilze in großem Umfang verwenden.

      Leider werden die halluzinogenen Substanzen auch heute noch sofort nach ihrer Entdeckung mit stark wertenden Attributen belegt, die einen vorurteilsfreien, wissenschaftlich sachlichen Blickwinkel erschweren. Der Narrenschwamm tauchte in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts als mexikanischer „Irrsinnspilz“ auf. Die Entdecker des mittelamerikanischen Kultes nannten die Pilze in den fünfziger Jahren unter Anerkennung ihrer Wirkung und der frühen gesellschaftlichen Integration und Bedeutung „mexikanische Zauberpilze“. Später wurden sie in der Literatur mit dem relativ wertfreien Begriff „halluzinogene Pilze“ bezeichnet. Im Zuge der Zeit kamen dann die abwertende Bezeichnung „Rauschpilze“ und sogar der fachlich unmögliche Begriff „Drogenpilze“ in Mode.

      Als T. Leary nach seinem mexikanischen Experiment mit den Pilzen im Sommer 1960 begann, in Harvard das Psilocybin anfänglich in psychologischen Testreihen zu verwenden und die Versuche bald danach auf breitere Kreise ausgeweitet wurden, brachte die amerikanische Presse Wertungen über die Pilze, die die Bezeichnung „Narrenschwämme“ noch übertrafen. Die Pilze induzierten angeblich einen „todähnlichen Zustand“. Den Protagonisten des Psilocybins wurde vorgeworfen, dass sie leugneten, dass das Alkaloid „halbpermanente Gehirnschäden“ hervorrufen könnte. Dieser wissenschaftlich unsinnige Wortsalat war ein Zeichen der sich immer mehr verschärfenden Kontroverse um die Halluzinogene, wobei das Psilocybin sehr schnell völlig in den Hintergrund rückte und dem ungeheuer potenten LSD mit dessen bald gewaltiger Publizität Platz machte. Dabei geriet der Pilzwirkstoff in den gesetzlichen Strudel dieser mächtigsten halluzinogenen Substanz, und seine Anwendung für wissenschaftliche Zwecke wurde zunehmend eingeschränkt. Die Halluzinogene differenzierte man nicht mehr untereinander. Bald erfolgte nicht einmal mehr eine Abgrenzung dieser pharmakologischen Gruppe von den echten Suchtmitteln des Typs Heroin. Dabei hatte die Basler Sandoz AG vor dieser Zeit kompetenten Forschern ausreichend Substanz für experimentelle und psychotherapeutische Zwecke zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden nach dem Verfahren von A. Hofmann 2 kg Psilocybin synthetisiert.

      Schnell erschien als Resultat der pharmakologischen Untersuchungen klar, dass die Anwendung des Alkaloides in kontrollierten Experimenten kein Risiko für den Probanden darstellt. Trotzdem macht der dann Mitte der sechziger Jahre geschaffene gesetzliche Rahmen im Sinne einer „offiziellen Mykophobie“ es bis heute so schwierig, mögliche Anwendungsgebiete des Psilocybins wissenschaftlich abzuklären. Als Resultat der naturstoffchemischen Untersuchung weiß man jedoch heute, dass Pilze, die diesen Wirkstoff enthalten, auf allen Kontinenten wachsen und dadurch wissenschaftlich genau wie die andere Mykoflora untersucht werden müssen.

      Neben der Einstellung einzelner Völker hat jeder von uns eine spezifische Sichtweise auf die Pilze im allgemeinen. Die Wurzeln für ein individuelles Verhältnis zu den Pilzen werden schon in der Kindheit gelegt. Oft bleibt