Название | Narrenschwämme |
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Автор произведения | Jochen Gartz |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783037884942 |
Abb. 2 Anthropomorphen beim Pilztanz. Felszeichnung aus Tassili (Sahara, Algerien). Einzelnen dieser Zeichnungen wird ein Alter von weit über 12 000 Jahren zugeschrieben.
Vorwort
zur ergänzten Neuausgabe 2021
Im Rahmen der Neuausgabe eines so unetbehrlichen Werks wie dem vorliegenden ist es wichtig, zumindest die essentiellsten Ergänzungen vorzunehmen; immerhin ist der Band bereits im Jahr 1999 erschienen. Ein Buch, das u.a. eine konzise Übersicht über die in europäischen Gefilden vorkommenden Psilocybin produzierenden Arten liefern soll, muss daher vollständig sein – schon weil der potenzielle Leser einen gewissen Anspruch darauf hat.
Leider konnte Jochen Gartz die Revision des Werks nicht mehr selbst umsetzen, er erlag am 15. Oktober 2020 einer erst kurz zuvor diagnostizierten Erkrankung. Daher haben wir entschieden, der Vollständigkeit halber eine Monographie des 2014 von Jochen Gartz und Georg Wiedemann entdeckten Pilzes Psilocybe germanica einzufügen und den Rest des Buches im Original zu belassen. Der neu entdeckte Pilz ist höchst interessant, vor allem die Tatsache, dass er bis zur Entdeckung durch die Mykologen vollständig unbekannt gewesen war. Psilocbe germanica teilt, obwohl er ein Holzzersetzer ist, das biochemische Profil mit dem Spitzkegeligen Kahlkopf Psilocybe semilanceata, was ebenfalls beachtenswert ist.
Georg Wiedemann war so freundlich, Fotos der Art für die Neuausgabe dieses Buches zur Verfügung zu stellen.
Markus Berger, Oktober 2021
Einleitung
Mehrere Jahre nach der interdisziplinären Erforschung der kultischen Verwendung von mexikanischen Pilzarten durch R. G. Wasson, R. Heim und A. Hofmann, die im Bericht über die Isolierung, Strukturaufklärung und Synthese der Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin aus dem Jahre 1958 gipfelte, gelang auch der Nachweis dieser Substanzklasse in einer europäischen Pilzart. Der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) erwies sich als erste Spezies einer Kette von Neuentdeckungen psychotroper Pilze, die zunehmend aus anderen Gattungen beschrieben wurden.
Ich hatte das Glück, im Rahmen meiner analytischen Arbeit der Bestimmung von Naturstoffen bei der Erforschung der Alkaloide diverser Arten mitzuwirken und glaube, dass es an der Zeit ist, die neuen Erkenntnisse aus Mykologie, Taxonomie und Naturstoffchemie zusammenfassend darzustellen.
Die Geschichte der Erforschung der mexikanischen Arten ist bereits durch Wasson und seine Nachfolger allseitig beleuchtet worden, so dass auf eine Wiederholung in diesem Rahmen verzichtet werden konnte. Dagegen werden Aspekte der neueren Anwendung der Pilze sowie ihre Wachstumsbedingungen näher behandelt.
Anliegen des Buches ist es, Impulse für die weitere Erforschung dieser Pilze und der daraus gewonnenen Wirkstoffe in Grundlagenforschung und Medizin zu geben.
Dem an einer weiteren Durchdringung des Stoffes interessierten Laien oder Fachwissenschaftler wird das umfangreiche Literaturverzeichnis helfen, in das sehr komplexe Wissensgebiet noch tiefer einzudringen.
Jochen Gartz
Abb. 3 Darstellung der Psilocybe semilanceata durch Sowerby (London 1803).
Abb. 4 Text zu obenstehender Abbildung.
Abb. 5 Psilocybe semilanceata in Deutschland und angrenzenden Gebieten (nach Krieglsteiner).
Abb. 6 und 7 Beschreibung der Psilocybe semilanceata aus dem letzten Jahrhundert (6 oben), die dann anno 1962 als „wertlos“ klassiert wird (7 unten).
1. Narrenschwämme oder Fleisch der Götter
Gedanken zur Geschichte und Erforschung von Zauberpilzen
„Zu gering ist kein Ding, selbst kein Pfifferling.“
Altes Sprichwort
Es ist erstaunlich, dass bedeutend mehr bewusstseinsverändernde Naturprodukte den Völkern auf dem amerikanischen Kontinent bekannt waren, als es sich für die frühen Kulturen Europas und Asiens nachweisen lässt. Die Existenz von bedeutend weniger Pflanzen mit halluzinogener Wirkung in Europa lässt sich botanisch nicht begründen. Auch die immer umfangreicher werdende Zahl europäischer Pilzarten mit Psilocybin als Inhaltsstoff, die erst in den letzten Jahren entdeckt wurden, beweist das Vorkommen einer psychotropen Mykoflora bei uns, die der anderer Länder vergleichbar ist.
Da nicht anzunehmen ist, dass die Menschen der Frühzeit in Europa sich weniger Pflanzen und Pilze durch unmittelbare Erfahrung erschlossen hätten als anderswo, muss ein Verlust dieser Kenntnis schon vor mehreren Jahrhunderten eingetreten sein.
Durch die Entdeckung der Verwendung des Fliegenpilzes als psychotrope Substanz in Sibirien wurde auch auf die frühe Verwendung dieser Pilzart in Europa geschlossen. Tatsächlich existieren recht spärliche Zeugnisse aus dem Mittelalter über die verbreitete Kenntnis der Wirkung spezieller Pilze auf das menschliche Bewusstsein. Ich glaube aber, dass diese Berichte in der Vergangenheit oft willkürlich dem Fliegenpilz zugeordnet wurden, weil er die einzig bekannte psychotrope Art Europas war. Die spektakulären Halluzinosen durch den Verzehr dieser Spezies bei den sibirischen Stämmen traten in dieser eindrucksvollen Form bei den europäischen Intoxikationen nie auf. Es ist daher anzunehmen, dass die ausgeprägt halluzinatorischen Wirkungen einzelner Psilocybe-Arten und ihrer Verwandten in der Vergangenheit die Menschen Europas weitaus stärker beeindruckt haben als die oft an Delirien erinnernden Erscheinungen nach Verzehr des Fliegenpilzes mit ihrem meist auftretenden Bewusstseinsverlust und den starken körperlichen Nebenwirkungen. Diese Annahme wird auch durch analoge Ergebnisse der umfangreichen Feldforschung aus Mexiko unterstützt. Ich beziehe daher die folgenden Zeugnisse der Kenntnis psychotroper Pilze aus Europa eher auf die Psilocybe-Arten oder verwandte Spezies als auf den Fliegenpilz, ohne dass eine abschließende Bewertung heute noch möglich ist.
Die Pilzverwendung spiegelt sich sogar noch in der Sagenwelt wieder. So wird darin über einen sonderbaren Giftpilz aus Wales mit dem eigenartigen Namen Bwyd Ellylon berichtet, den die Elfen als Leckerbissen verspeisen, wenn sie Geisterfeste feiern. Die Psilocybe semilanceata als wichtigster psilocybinhaltiger Pilz Europas wächst gerade in diesem Teil Großbritanniens zur Herbstzeit in Massen.
G. Samorini verdanke ich den Hinweis, dass die Inquisition in den Alpentälern von Valcamonica, Valtrompia und Valtellina (Provinzen Brescia und Sandrio, Norditalien) besonders wütete. Viele Bücher berichten über die zahllosen Hexenverbrennungen in dieser Region, wobei die Treffen der Hexen am „Monte del Tonale“ in 2000 m Höhe in der Literatur am meisten erwähnt werden. Die Feldforschungen ergaben, dass die Nachtschattengewächse („Hexenkräuter“) in diesen Höhen nicht mehr wachsen; auch das Vorkommen des Fliegenpilzes ist selten. Die Psilocybe semilanceata findet man dagegen dort auf den Weiden im Herbst kiloweise. So erscheint es wahrscheinlich, dass die Pilzart in diesem historischen Rahmen eine wichtige Rolle als psychotropes Mittel gespielt