Название | Tax Compliance |
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Автор произведения | Markus Brinkmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | C.F. Müller Wirtschaftsrecht |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811447011 |
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In diesem Sinne stellt also die Entscheidung über das „Ob“ eines Compliance Management System keine unternehmerische Entscheidung dar, die durch die Business Judgement Rule privilegiert ist. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Compliance Management Systems besteht hingegen ein unternehmerisches „Auswahlermessen“ im Sinne dieser Regelung.[101] Durch die Business Judgement Rule soll es der Geschäftsleitung also freistehen zu entscheiden, wie die Befolgung von Gesetzen im Unternehmen gewährleistet werden kann.
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Im Regelfall kommt eine Vielzahl geeigneter und rechtlich zulässiger Maßnahmen in Betracht. Die Auswahl der einzelnen Maßnahmen und ihre Kombination zu einem Compliance Management System unterliegen der ökonomischen „Zweck-Mittel-Rationalität“[102], die Ausgestaltungsentscheidung ist deshalb als unternehmerisch i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu qualifizieren.[103] Wie bei jeder unternehmerischen Entscheidung haben sich die Vorstandsmitglieder bei Ausübung ihres Ermessens am Unternehmenswohl zu orientieren. Die compliance-bezogenen Organisationsmaßnahmen müssen angemessen und verhältnismäßig sein;[104] das eingeführte Compliance-System ist an den Kriterien der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit auszurichten.[105] Wesentliche ermessenleitende Gesichtspunkte sind in diesem Zusammenhang die Gesellschaftsform, Unternehmensgröße und -struktur, Geschäftsmodell und Branche, Kapitalmarktbezug oder auch der Internationalisierungsgrad.[106]
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Einschränkungen des Organisationsermessens bei der Entscheidung über die Ausgestaltung des Compliance Management Systems können sich im Einzelfall aus zwingend zu beachtenden spezialgesetzlichen Regelungen[107] oder anerkannten Branchenstandards ergeben.[108] Im Falle von aufgetretenen Zuwiderhandlungen kann der Ermessensspielraum „bis auf Null schrumpfen“[109] und sich zu einer Handlungspflicht verdichten.
c) Risikofrüherkennungssystem
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Gem. § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand dafür zu sorgen, dass geeignete Maßnahmen getroffen werden, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden; hierzu hat er insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten. Durch diese Pflicht zur Einführung eines Überwachungssystems, welche auch als Bestandssicherungspflicht bezeichnet wird,[110] erfährt die allgemeine Leitungsaufgabe über den Sorgfaltsmaßstab des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG hinaus eine zusätzliche Konkretisierung.[111]
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Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG unmittelbar als Rechtsgrundlage für die Einrichtung eines (Tax) Compliance Management Systems angesehen werden kann.
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Ein solcher Rückgriff auf § 91 Abs. 2 AktG zur Begründung für die Einführung eines (Tax) Compliance Management Systems liegt bereits aus dem Grund nahe, da ein Überwachungssystem mit Kontrollcharakter grundsätzlich dem Compliance-Gedanken entspricht.[112] Aus der Begründung der Bundesregierung im Regierungsentwurf zum KonTraG, mit dem diese Norm eingeführt wurde, ergibt sich noch ein weiterer Grund dafür, dass diese Vorschrift als Rechtsgrundlage für Einrichtung eines (Tax) Compliance Management System in Betracht kommt: Der Gesetzgeber wollte durch diese Norm „die Verpflichtung des Vorstandes, für ein angemessenes Risikomanagement und für eine angemessene interne Revision zu sorgen,“[113] verdeutlichen.
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Darauf gestützt, ist insbesondere im betriebswirtschaftlichen und prüfungsnahen Schrifttum die Auffassung vertreten worden, dass die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG den Vorstand dazu verpflichte, ein umfassendes Risikomanagementsystem einschließlich entsprechender Risikobewältigungsmaßnahmen zu implementieren.[114] Die gesetzliche Forderung zur Einrichtung eines Überwachungssystems sei dahingehend auszulegen, dass ganz allgemein eine Überwachung der betrieblichen Prozesse und ihrer Zuverlässigkeit zu erfolgen hat. Dies gelte jedenfalls mittelbar, seitdem durch das BilMoG in § 289 Abs. 5 HGB a.F.[115] für kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften die Pflicht aufgenommen wurde, im Lagebericht die wesentlichen Merkmale des rechnungslegungsbezogenen internen Kontroll- und Risikomanagementsystems zu beschreiben.[116]
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In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird dieser weiten Auslegung mehrheitlich entgegengetreten[117] und argumentiert, dass Gegenstand des geforderten Überwachungssystems nur die Einhaltung der vom Vorstand zur Risikofrüherkennung eingeleiteten Maßnahmen sei. Auch eine Pflicht zum umfassenden Management aller Risiken und zur Einleitung entsprechender Risikobewältigungsmaßnahmen oder sogar eine konkrete Systemvorgabe sei § 91 Abs. 2 AktG nicht zu entnehmen.[118]
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Diesen Bedenken gegen § 91 Abs. 2 AktG als Rechtsgrundlage für die Einführung eines (Tax) Compliance Management Systems ist zuzustimmen. Ein (Tax) Compliance Management System muss umfassender angelegt sein als das in § 91 Abs. 2 AktG genannte Früherkennungssystem zur Erfassung bestandsgefährdender Risiken.[119] Jedoch bestehen bei der Pflicht zur Einrichtung eines (Tax) Compliance Management Systems und den nach § 91 AktG dem Vorstand auferlegten Pflichten durchaus Schnittmengen/Wechselwirkungen.[120]
d) Zusammenfassung
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Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass den Vorstand einer Aktiengesellschaft die Pflicht trifft, ein Compliance Management System einzurichten, dessen Gestaltung im Einzelnen im Ermessen des Vorstandes liegt.[121] Da von der Legalitätspflicht alle Rechtsbereiche erfasst sind, hat dieses Compliance Management System auch die Einhaltung der steuerrechtlichen Regelungen sicherzustellen, mithin ist also auch die Verpflichtung zur Einführung eines steuerlichen Subsystems (Tax CMS) zum allgemeinen Compliance Management System zu bejahen.
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Diese Erkenntnis beginnt sich in jüngerer Zeit auch im Hinblick auf den GmbH-Geschäftsführer zu verfestigen, trotz aller Unterschiede, die diese Rechtsform im Vergleich zur AG aufweist.[122] Denn auch der GmbH-Geschäftsführer hat nicht nur die ihn persönlich treffenden Pflichten (vgl. bspw. § 43 Abs. 3 GmbHG zur Kapitalbindung und § 15a Abs. 1 InsO zur Insolvenzantragspflicht) zu beachten, vielmehr trifft auch ihn die allgemeine Legalitätspflicht. Daher hat auch der GmbH-Geschäftsführer durch geeignete organisatorische Vorkehrungen ein rechtskonformes Verhalten der nachgeordneten Mitarbeiter sicherzustellen. Mithin wird auch der GmbH-Geschäftsführer – zumindest im Falle einer (mittel)großen GmbH – Grundelemente eines Compliance Management Systems einführen müssen.[123]
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Im Hinblick auf die – verglichen zu einer (börsennotierten) AG – vielfach geringere Größe der in der Rechtsform der GmbH organisierten Unternehmen und die geringe Komplexität der Organisationsstruktur ist jedoch in besonderer Weise zu beachten, dass die organisatorischen Compliance-Maßnahmen an den tatsächlichen Gegebenheiten auszurichten sind (siehe voranstehend zur Business Judgement Rule und der ökonomischen Zweck-Mittel-Relation).
a) Wechselwirkungen zwischen handels- und steuerrechtlichen Pflichten
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