Das Innere des Landes. Günther Marchner

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Название Das Innere des Landes
Автор произведения Günther Marchner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783702580919



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Bahnhof telefoniert er mit der Agentur, weil er eine Unterkunft braucht. Er hatte gar nicht daran gedacht, die Agentur auch nicht. Er bittet den Mitarbeiter, sich darum zu kümmern.

      Aber Sie haben ja ein Haus.

      Schon, aber ich weiß nicht, in welchem Zustand.

      Wenn Sie meinen. Wir besorgen ihnen ein Zimmer, fürs Erste.

      Dann fragt er am Bahnhof, wie er zum See komme.

      Mit dem Bus? Der fährt erst in einer Stunde.

      Da kann ich ja zu Fuß gehen, nein, mit dem Taxi. Gibt es hier ein Taxi?

      Er gibt auf, als er einen verständnislosen Blick erntet. Dann hängt er sich seine beiden Rucksäcke um, geht einfach los und streckt den Daumen hinaus. Die meisten deuten ihm einen Vogel, bis plötzlich doch jemand anhält.

      Den möchte ich kennenlernen, der hier autostoppt, meint der Fahrer. Sie sind wohl nicht von hier?

      Nein, wirklich nicht.

      Wo müssen Sie hin? Aha! Das trifft sich gut. Ich nehm Sie mit.

      Der Mann lacht und lässt ihn nach einer Viertelstunde irgendwo in der Ortsmitte aussteigen.

      Die Häuser fallen ihm auf, die Fassaden, viel Holz, Veranden, kleine Fenster, Geschnitztes, Blumen, die schöne Lage. Aber er muss alles erfragen, ihnen alles aus der Nase ziehen, bis er findet, was er sucht, bei der örtlichen Bank, die gleichzeitig das Immobilienbüro beherbergt. Dort trifft er auf seine Kontaktperson, mit der er bereits am Flughafen und zuvor telefoniert hatte.

      Die scheinen überrascht zu sein, dass er plötzlich vor ihnen steht. Er, dem sie lange Zeit vergeblich nachgelaufen waren. Nun braucht er sie. Ein wenig hilflos stehen sie sich gegenüber.

      Hier bin ich!

      Aha. Sie sprechen gut Deutsch.

      Ich bin damit aufgewachsen, zumindest zu Hause bei der Familie.

      Hatten Sie einen schönen Flug? Was, Sie waren noch nie hier in unserer schönen Gegend, die doch alle kennen?

      Ich bin müde.

      Diese Person, die ihm den Hausschlüssel aushändigt, irritiert John, eine merkwürdige Mischung aus Bürokrat und Makler, schmierig servil und gleichzeitig gar nicht dienstleistungsorientiert, wie ihm scheint.

      Ach so, Sie wissen ja gar nicht, wo das Haus steht. Ich bringe sie hin.

      Das könne warten, meint John. Er müsse sich ausruhen, schlafen, zuerst brauche er die Unterkunft, er melde sich dann in der Früh.

      Es sei gerade noch Frühsaison, meint ein junger Kollege, perfekt frisiert und in steifer Tracht gekleidet. Es gebe noch freie Zimmer. Im Hotel ganz in der Nähe sei eines für ihn reserviert, mit Option auf Verlängerung.

      John checkt ein. Ein alter Kasten, offensichtlich vor Kurzem renoviert. Er setzt sich in die Lobby mit Bar und Seeblick. Sein Blick auf die Getränkekarte bleibt auf dem großen Braunen hängen, er schmunzelt und bestellt das Getränk. Der Kaffee, serviert in einer Porzellantasse und mit einem kleinen Glas Wasser, schmeckt ihm ausgezeichnet, das ist er nicht gewohnt, vor allem nicht die Intensität, daher bestellt er noch ein großes Glas Wasser dazu. Er stöbert in ein paar Tageszeitungen, er muss sich an deutsche Texte wieder gewöhnen, aber es fällt ihm nicht so schwer. Die Rezeptionistin scheint ihn zu beobachten, er lächelt ihr zu, sie lächelt zurück, professionell.

      Ja, er sei gut angekommen, sagte er am Telefon seiner Frau, sie hatte nach einigen Versuchen dann doch abgehoben, er wollte ihr unbedingt Nachricht geben, ein Signal der Verbundenheit, die Verbindung möchte er aufrecht erhalten, irgendwie, obwohl er gerade das Gegenteil tut. Er werde sich jetzt einmal ausruhen und morgen Vormittag das Haus aufsuchen, teilt er ihr mit.

      Als er am nächsten Morgen, noch müde und unausgeglichen wegen des Zeitunterschieds, ein ausführliches Frühstück zu genießen versucht, erreicht ein Anruf der Agentur die Hotelrezeption. Man werde einen Mitarbeiter zu ihm schicken, nach dem Frühstück.

      Sie fahren auf einer schmalen Straße aus dem Ortszentrum hinaus bis unterhalb des Waldrandes und parken an einem Zaun. Dahinter befinden sich ein verwildeter Garten mit Sträuchern, ein altes Haus mit sonnseitig braungebranntem Holz, grauer Wetterseite und kleinen Fenstern. Zum Ensemble gehören auch ein Schuppen, ein kleiner leerer Stall, ausgewachsene Obstbäume und ein von Betonstreifen eingefasstes und zugewachsenes Gemüsebeet. Hinter dem Haus sieht er eine Wiese, die in einen Hang übergeht, der bis zum Waldrand reicht. Am oberen Rand der Wiese steht eine Hütte, dahinter ein Weg, zwischen Wald und Hütte durchführend.

      Ein Knusperhaus mit Lärchenfassade, stellt John fest, als er das Haus betritt. Ein Gebäude ohne Zentralheizung. Es sei nur im Sommer zum Aushalten, heißt es, und der dauert nicht so lange. Im Winter geht es nur, wenn man ständig da ist und wenn man die kleinen Öfen kräftig einheizt, vor allem auch, damit die Wasserleitungen nicht zufrieren und platzen. Die bisherigen Vermieter waren meistens nur im Sommer da, zwischendurch auch an Wochenenden und dann rund um Weihnachten auch. Den Rest der Zeit war das Wasser abgedreht. Ein paar kleine Investitionen hatten die langjährigen Mieter auch getätigt, aber schon vor Jahrzehnten. Aber während dieses Rests der darauffolgenden Jahre habe der Zahn der Zeit am Haus genagt, vieles sei renovierungsbedürftig und entspreche nicht mehr den Standards.

      Es sei schwer zu vermieten, meint der Mitarbeiter des Immobilienbüros. Da müssten Sie investieren, oder Sie verkaufen es einfach, wie es ist. Vielleicht haben Sie Glück. Es gäbe ja immer wieder Liebhaber, für die Geld gar keine Rolle spiele, gerade hier in dieser Gegend. Da kaufen manche Leute gerne einmal eine Baustelle für teures Geld, allein wegen des Platzes und wegen der Atmosphäre der alten Bausubstanz.

      Also, wenn Sie mich fragen: Am besten, Sie verkaufen das Haus so rasch wie möglich. Es gibt ja durchaus Interessenten. Aber die wollen nicht das Haus, sondern den Platz. Soll ich …?

      John winkt ab.

      Ich frage Sie eben nicht. Also lassen Sie mich jetzt damit in Ruhe!

      Der Mitarbeiter übergibt ihm den Schlüssel. Er räumt die beiden Rucksäcke aus dem Auto, stellt sie an den Gartenzaun und verschwindet. John betritt das Vorhaus. Eine steile Stiege führt in den ersten Stock hinauf, nach dem Eingang links geht es in eine Küche mit einem alten Eisenherd, daneben befindet sich ein kleiner E-Herd. Überall kleine Fenster mit tiefen Fensterstöcken. Von der Küche führt eine Hintertüre in eine Stube, danach noch eine in ein Zimmer, dahinter befindet sich ein Bad, das die Mieter auf eigene Kosten eingebaut haben. Geradeaus geht es zur Waschküche mit Hinterausgang.

      Noch zu Hause hatte er bereits ein Telefonat mit den früheren Mietern geführt, um einen Eindruck zu erhalten, was auf ihn zukommt. Sie hätten gar keinen schriftlichen Mietvertrag gehabt, so der Sohn der Familie. Alles sei mündlich vereinbart und geregelt gewesen, auf freundschaftlicher Basis. Stellen Sie sich das vor! Sie wollten das Verhältnis irgendwann einmal formalisieren, auf eine bessere rechtliche Basis stellen, aber seine Großmutter war daran nicht interessiert. Sie wollten einen schriftlichen Vertrag, nicht nur eine mündliche Vereinbarung, auch wenn diese sehr kostengünstig war. Sie hätten zwar weiterhin Interesse gehabt, das Haus zu nutzen, aber da wären größere Reparaturen und Investitionen zu machen gewesen. Das konnten und wollten sie nicht leisten. Die inzwischen gefährlichen Stromleitungen, das Bad und andere Dinge seien zu erneuern. In den Wänden und unter den Böden hätten sich Mäuse breit gemacht, die nagen alles an und hinterlassen einen Saustall. Insgesamt sei es halt ungemütlich und unbequem geworden. Und sie konnten die Kosten dafür natürlich nicht übernehmen. Sie überlegten deshalb, das Haus sogar zu kaufen, aber seine Großmutter wollte das nicht, was sie nicht verstanden hätten. Als sie gestorben war, hatten sie nichts in der Hand, außer der nachweisbaren Tatsache einer mündlichen Vereinbarung und einer langjährigen Nutzung. Nun hätten sie jedoch etwas anderes gesucht, denn er und seine anderen Geschwister wollten nicht mehr so weitermachen, das wäre schlussendlich entscheidend gewesen. Abschließend hatte der Sohn der Familie John noch auf einige Dinge im Haus hingewiesen, auf Räume, auf Einrichtungen, auf Mängel, damit er sich orientieren könne.

      John schaut sich in allen Räumen um, bis er das