Erwerb der deutschen Pluralflexion. Gülsüm Günay

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Название Erwerb der deutschen Pluralflexion
Автор произведения Gülsüm Günay
Жанр Документальная литература
Серия Language Development
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300243



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dar. Hier nimmt Wegener eine Differenzierung zwischen primären und sekundären Funktionen vor (ebd.). Die durch die Kasusmarkierung umgesetzte Bestimmung der „grammatischen Relation Subjekt (SU), direktes Objekt (DO), indirektes Objekt (IO) und Attribut“ im Satz sei die „primäre Funktion der Kasus“ (Wegener 1995: 120). Im Nominativ wird „zusammen mit der Verbkongruenz“ (ebd.) das Subjekt kodiert. Der Akkusativ kodiert das direkte Objekt und der Dativ das indirekte Objekt. Die sekundären, die Syntax betreffenden Funktionen, wie die Realisierung von Prädikatsnomen, werden hier nicht thematisiert (siehe dazu Wegener 1995b: 121ff.).

      Bei der Erfüllung von semantischen Funktionen der Kasusmarkierungen wird die Annahme vertreten, „daß die semantische Struktur von Verben auf die syntaktische Ebene projiziert wird, und daß es bestimmte Prinzipien gibt, nach denen bestimmte Thetarollen mit bestimmten Kasusmarkierungen und bestimmten Strukturpositionen kombiniert werden“ (Wegener 1995b: 122). Daraus ergibt sich eine Anordnung von semantischen Rollen und grammatischen Relationen, die sich gegenseitig bestimmen und bedingen:

KasusSyntakt. Funktionen/Grammat. RelationenSemantische Rolle
Nom.SubjektAgens
Akk.Direktes ObjektThema
Dat.Indirektes ObjektRezipiens

      Tabelle 11: Zu den semantischen Rollen in der Kasusmarkierung

      Als pragmatische Funktionen der Kasusmarkierungen im Deutschen sind zum einen das Ermöglichen von verschiedenen Sprecherperspektiven (vgl. Marouani 2006: 44), zum anderen auch die Variationsmöglichkeit der Topikalisierung in einem Satz zu nennen. Diese sollen hier im Hinblick auf ihre Irrelevanz für den empirischen Teil der Arbeit nicht erläutert werden (siehe dazu Wegener 1995b: 124ff. und Marouani 2006: 44f.).

      2.4 Zusammenfassung

      In den letzten Kapiteln erfolgte eine skizzenhafte Beschreibung der Merkmalklassen Numerus, Genus und Kasus und ihrer Ausprägungen im Deutschen. Alle drei Kategorien wurden sowohl im Hinblick auf ihre Markierungsvorkommen im Deutschen als auch ihrer Funktionen, die sie in der deutschen Sprache einnehmen und die dabei festzustellenden Gesetzmäßigkeiten betrachtet.

      Im Numerus lassen sich die Merkmale Singular und Plural unterscheiden, während nur die Ausprägung Plural markiert wird. Diese Markierung erfolgt flexivisch und nur am Nomen, indem die Endungen -e, -er, -n, -en und -s suffigiert werden (und/oder zusätzlich das Nomen umgelautet wird), wenn es sich um ein Nomen handelt, das etwas in der Mehrzahl kennzeichnet. Denn der Numerus ist eine „semantische Kategorie, die es ermöglicht, flexivisch zwischen Einzahl und Mehrzahl zu unterscheiden“ (Weber 2001: 11). Dabei ist zu beachten, dass im Deutschen lediglich Nomen, die zählbar sind, in den Plural gesetzt werden können. Das deutsche Pluralsystem ist äußerst komplex und es existieren verschiedene Ansichten darüber, wie dieses System zu beschreiben ist. Diese Ansichten unterscheiden sich zum einen bezüglich ihrer Auffassung, ob sie davon ausgehen, dass die Zuweisung der einzelnen Pluralmarker eher regelgeleitet oder eher beliebig erfolgt, und zum zweiten inwieweit – und bezüglich welcher Kriterien (phonologisch/morphologisch/semantisch) – Regeln und Ausnahmen formuliert werden.

      Bei der Betrachtung des deutschen Numerussystems lässt sich feststellen, dass dieses nicht allein analysiert werden kann. Im Deutschen ist jedem Nomen ein bestimmtes Genus zugewiesen, das fest ist und nicht verändert wird. Somit weist ein Nomen entweder das Merkmal Maskulinum, Neutrum oder Femininum auf. Diese Eigenschaft des Nomens, sein Genus, bleibt in der Syntax beim Zusammentreffen mit anderen Wortarten nicht nur erhalten, sondern beeinflusst die Flexion der anderen Konstituenten, wie z.B. des Artikels oder des Adjektivs. Auch wenn die Funktionen des Genus, wenn es überhaupt eine Funktion erfüllt, einen sehr kontrovers diskutierten Abschnitt des deutschen Genussystems darstellen, so ist festzuhalten, dass das Genus bei der Erzeugung und Markierung von Kongruenz eine wichtige Rolle spielt. Der Kasus „operiert [im Vergleich zu Numerus und Genus vor allem] auf der Satzebene [… und] wird als funktionale Kategorie angesehen, die die Bezüge zwischen den verschiedenen Satzteilen verdeutlicht“ (Weber 2001: 11), wobei erst durch das Mitwirken aller drei Kategorien die Kongruenz hergestellt werden kann.

      Zusammenfassend ist zu betonen, dass Kongruenz unter Einbezug von sowohl syntaktischen als auch semantischen, morphologischen und auch lexikalischen Ebenen betrachtet werden muss und somit die Möglichkeiten der Markierung sich als sehr vielfältig aufweisen (vgl. Corbett 2006). Es fällt auf, dass die Formulierung von Regeln und Funktionen in der Kategorie Kasus viel einheitlicher, ausführlicher und auch in weitaus mehr Publikationen vorgenommen wird, als dies beim Numerus und vor allem beim Genus der Fall ist.

      Zudem kann festgestellt werden, dass „dort, wo Kasus- und Numerusflexion behandelt werden, […] sie beinahe nur als voneinander unabhängige Bereiche des Flexionssystems [erscheinen]“ (Bittner 1994: 65). Die bestehenden Zusammenhänge, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen Kasus- und Numerusflexion werden bislang oft unzureichend beschrieben.

      

      3 Die Nominalflexion des Türkischen

      „Die deutsche Nominalflexion ähnelt so eher derjenigen des Türkischen als derjenigen des Lateins.“ (Gallmann 1990: 166)

      Inwieweit ähnelt die Nominalflexion des Türkischen dem Deutschen? Dieser Frage soll in den nächsten Kapiteln nachgegangen werden. Die Beschreibung der türkischen Nominalflexion erfolgt, soweit möglich, im direkten Vergleich mit der in Kapitel 2 beschriebenen deutschen Nominalflexion. Dabei ist auch in diesem Kapitel das Augenmerk insbesondere auf die im empirischen Teil untersuchten Phänomene der Nomen-, Artikel- und Adjektivmarkierung im Numerus-, Genus- und Kasussystem und den dabei beobachteten Funktionszuschreibungen gerichtet. Für detailliertere, umfassendere Beschreibungen der Nominalflexion im Türkischen sei an dieser Stelle auf Ketrez (2012: 22ff.), Ersen-Rasch (2004: 24ff.) und Göksel/Kerslake (2005: 165ff.) verwiesen.

      Ebenso erfolgt vorweg keine ausführliche Beschreibung der Charakteristika des Türkischen, wie die Agglutination, die Vokalharmonie oder die Genus- und Artikellosigkeit. Diese Merkmale werden bei der Beschreibung des Numerus-, Genus- und Kasussystems im Türkischen jeweils kurz erläutert, sofern sie bei dem betrachteten Phänomen eine Rolle spielen.

      3.1 Das Numerussystem des Türkischen

      Das Türkische besitzt wie das Deutsche zwei Numeri: Singular und Plural (vgl. Kornfilt 2000: 265). Die semantischen Konzepte, die für die Markierung von Plural im Türkischen existieren, unterscheiden sich jedoch wesentlich von den Kontexten, in denen die Pluralmarkierung im Deutschen obligatorisch ist.

      Eine systematische Beschreibung der Pluralmorphologie im Hinblick auf ihre Markierung scheint auf den ersten Blick sehr einfach zu sein. Statt neun Pluralmarkierungsmöglichkeiten am Nomen, wie im Deutschen der Fall, existiert im Türkischen lediglich eine Möglichkeit der Pluralmarkierung. Das Pluralsuffix -ler bzw. -lar wird, je nachdem wie der letzte Vokal des Nomen lautet, an die Singularform angehängt und betont:

(34)arabaAutoaraba-larAuto-PL‚Autos‘
(35)kapıTürkapɪ-larTür-PL‚Türen‘
(36)balonLuftballonbalon-larLuftballon-PL‚Luftballons‘
(37)koyunSchafkoyun-larSchaf-PL‚Schafe‘

      Handelt es sich bei dem letzten Vokal der Singularform um ein a/ı/o/u, so wird aufgrund der kleinen Vokalharmonie im Türkischen die Endung -lar suffigiert. Ist der letzte Vokal ein e/i/ö/ü, wird die Endung -ler angehängt:

(38)inekKuhinek-lerKuh-PL‚Kühe‘
(39)keçiZiegekeçi-lerZiege-PL‚Ziegen‘
(40)traktörTraktortraktör-lerTraktor-PL‚Traktoren‘
(41)köprüBrückeköprü-lerBrücke-PL‚Brücken‘