Settembrini. Leo Tuor

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Название Settembrini
Автор произведения Leo Tuor
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783857919831



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wird den elenden Sterblichen: Dort hinein heftete er ihm die Lanze; und der folgte dem Speer und zappelte wie ein Stier.

      Den stach er unter der Braue in die Bettung des Auges und stieß den Augapfel heraus, und der Speer drang durch das Auge und durch das Genick, und er setzte sich und breitete aus die beiden Arme.

      Idomeneus stieß den Erymas in den Mund mit dem erbarmungslosen Erz, und gerade hindurch fuhr hinten heraus der eherne Speer, unterhalb des Gehirns, und spaltete die weißen Knochen. Und herausgeschüttelt wurden die Zähne, und es füllten sich ihm mit Blut die beiden Augen, und aus dem Mund und durch die Nasenlöcher sprühte er es, klaffend, und ihn umhüllte des Todes schwarze Wolke.

      Den traf mit dem Speer der fußstarke göttliche Achilleus mitten in den Rücken, und gerade hindurch, am Nabel vorbei, fuhr der Lanze Spitze. Und aufs Knie stürzte er klagend, und eine Wolke umhüllte ihn, eine schwarze, und er zog an sich, zusammengesunken, die Eingeweide mit den Händen.»

      Der Experte hatte aufgehört zu schreiben. Der Kugelschreiber war ihm entglitten, und seine Kinnlade ließ er hängen, als ob er selber Eisen zwischen die Rippen bekommen hätte.

      «Erlaubt ist alles», pflegte Onkel Battesta in seinen besten Momenten in der Jagdhütte zu sagen, ausgestreckt auf der Bank hinterm Tisch, den Hut auf dem Kopf, die Toscano im Schnauz, «man darf sich nur nicht erwischen lassen.» (Diese primitive Art zu liegen, Hut auf dem Kopf und Schuhe an den Füßen, zu Hause üblicherweise auf oder hinter dem Ofen, hatten meine Vorfahren zweifellos aus der Zeit der Wölfe beibehalten, als es drauf ankam, jeden Augenblick fluchtbereit zu sein.) «Und ab und zu musst du ein Tier abgeben, dann denken sie, du seist ehrlich. Kein Aufhebens machen. Gelegentlich ein wenig flunkern. Alle Geschichten sind nur zur Hälfte wahr. Die reine Wahrheit könnten wir nicht ertragen. Sie ist langweilig, traurig, leer und unwiderruflich wie der Tod. Die Autoritäten nicht zu ernst nehmen, vor allem aber sich selbst nicht zu ernst nehmen. Sonst wirkt man mit den Jahren wie ein Monument.

      Kein Wunder, dass sie dann verdrießlich werden und schimpfen. Ein wenig schimpfen sie auch, weil sie nix sind und das mit Krampfen kompensieren und glauben, so auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber die Rechnung ist simpel: Mit Arbeit ist noch keiner reich oder weise geworden. So hart ist die Wahrheit.»

      Diese Idee, wenn wir so sagen wollen, neben dem harten Ofen zu liegen, stets bereit, und nicht etwa auf dem Kanapee unter den Heiligenhelgen, das ist unser Charakter:

      «Im Hof Portas unterhalb Val lebte Rest Modest Deportas der Ältere. An einem Morgen blieb er auf der Ofenbank liegen bis gegen Mittag. Plötzlich sagte er zu seiner Frau: Ich gehe in die Cavrida hinauf und fälle Holz. Seine Frau hielt ihn zurück: Geh nicht, Rest, heute nicht! Aber Rest Modest ist aufgestanden, hat die Axt ergriffen und ist gegangen und nicht mehr lebend zurückgekehrt. Seine Stunde hatte ihn gerufen.»

      «Wenn du einen Guru töten willst, ist die Jagd eine gute Voraussetzung», hatte ich mir gedacht.

      Ich wollte einen Guru umbringen, weil mir Gurus auf die Nerven gingen. Sie hatten mir meine Jugendfreunde weggenommen, hatten ihnen sichere Stellen verschafft, hatten ihnen das Lachen gestohlen und dafür eingebläut, dass die Loyalität zum Chef das A und O im Leben sei. Darum trippelten meine Freunde jetzt so brav hinter ihren Gurus her.

      Ich wollte einen Guru an der Gurgel packen, damit er mit seinem Gurren aufhöre.

      Aber dann habe ich, ach, gesehen, dass die Welt voll ist von Gurus und jenen, die ihnen hinterherlaufen. Und wenn einer auf die Schnauze fällt, erhebt sich sofort der nächste.

      So plötzlich aller Hoffnungen beraubt, wollte ich gerade mein Auto über die nächste Brücke hinaussteuern, als mich der Würgeengel beim Kragen packte und sprach: «Spinnst du? Was ist los? Das Leben ist kein Sugus. Zeig dem Teufel, was leben heißt.»

      «Was ist der Teufel?», fragte ich, und bekam die Antwort dreifarbig:

      «Il diavolo è l´arroganza dello spirito, la fede senza sorriso, la verità che non viene mai presa dal dubbio. Il giavel ei la prepotenza dil spért, la cardientscha senza in surrir, la verdad che vegn maina tschaffada dil dubi. Der Teufel ist die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals vom Zweifel erfasst wird.»

      Ich wollte nicht hören. Ich plante, ihm eine Kugel in den Bauch zu jagen. Aber ist der Guru einer Kugel in den Bauch würdig? Ist nicht der göttliche Puschkin diesen Tod gestorben? Sind nicht Diores und Peiroos und Oinomaos vom Eisen im Bauch in den Sand vor Troja geworfen worden? Schließlich habe ich mich entschlossen, ihn an der Gurgel zu packen. Ich wollte diesen flügellosen Engel zur Fratze machen. Ach, ich hatte doch gedacht, meine Freunde für ein ganzes, langes Leben lang zu haben. Als sie hinter dem Guru herliefen, brach eine Welt zusammen. Ich gab das Rauchen und Trinken auf und machte die Jagdprüfung, um dem Guru den Unterkiefer wegzuknallen. Ohne zu merken, dass auch die Jagd eine Welt voller Gurus ist.

      Am Tag, den ich für die Vollstreckung bestimmt hatte, wartete ich vor dem Tempel, wo er mit seinen Jüngern versammelt war. Saß unter einem Baum auf einer Bank des Kur- und Verkehrsvereins und wartete, bis er herauskommen würde. Und während ich dort wartete wie Humbert Humbert: mit einem unbehaglichen Gefühl in der Prostata, benebelt, ausgelaugt, die Faust mit der Pistole in der Tasche des beigen Regenmantels vergraben, ist mir plötzlich aufgegangen, dass ich wohl eine Meise hatte und drauf und dran war, etwas Idiotisches zu tun. Die Chance, dass ein Pistolenschuss etwas nütze, stand eins zu einer Million. Ich verlor hier meine Zeit und den Verstand. War dermaßen töricht, hatte nicht gemerkt, dass man Gurus aus der Welt schafft, indem man die Wahrheit zum Lachen bringt.

      Meine Zwillingsonkel sind katastrophale Christen gewesen, ungeachtet ihrer Namen aus dem Neuen Testament. Wohl deshalb waren sie ihr Lebtag nie krank. Außer einem einzigen Mal, und jenes Mal stand es so schlimm um sie, dass sie in der Lebensmitte eine halbe letzte Ölung erhielten. Das half. Der eine kam vom Geruch der Salbung zu sich, der andere, als dem Priester das Malheur unterlief, in irgend einem Gebet den Namen Jesu fallen zu lassen. Die Sterbenden standen stracks von den Toten auf und schimpften:

      «Jesus, diese Katastrophe, dieses Gegenteil von einem scheuen Engel. Ein Mann stets in Eile, nur mit sich selbst beschäftigt, immer in Gesellschaft von Jungvolk und reifen, reichen Frauen. ‹Tschisses Craist›, das pure Gegenteil von Zeus. Redet doch von den Olympiern, die konnten lachen wie die Kühe und sich den Bauch halten und brauchten kein Publikum wie euer morscher ‹Tschisses›».

      Der Priester hatte fluchtartig das Weite gesucht und das Viatikum mit allem Drum und Dran zurückgelassen. Und zwei knisternde Kerzen.

      Meine Onkel, einer hagerer als der andere, haben mich zum Jäger gemacht. Die wichtigsten Erziehungsziele für einen jungen Mann seien die Kunst des Erzählens und die Jagd, mithin «ein Redner von Worten und ein Täter von Taten» zu werden.

      Homer zitierten meine Onkel immer in der Sprache des Nordens, deutsch, so wie andere Jäger das Jagdgesetz auswendig hersagten, auch immer deutsch. Romanisch ist unsere Sprache des Fleisches, Deutsch aber jene des Geistes.

      Mein Vater, behaupteten sie (und das war der einzige Moment, wo sie im selben Moment dieselbe Meinung über meinen Vater hatten), mein Vater sei auf der Jagd erschossen worden. An einem Nebeltag, im Schneetreiben. In den Felsen des Punteglias.

      Ich habe nie an dieses Bild geglaubt. Der Vater meiner Fantasie war in einem Duell umgekommen, in welchem beide Duellanten Poeten waren, im selben Augenblick gezogen hatten und, jeder mit einem Schuss im Bauch, gegeneinander gestürzt waren.

      Bestenfalls hat man ihn mausetot gefunden, Schirm zu, einen Schuss im Bauch, einen Schneehasen am Rucksack. Dies ist das erste und letzte Bild, das ich von diesem Vater habe: Kalt, erfroren, starr und steif im Schneetreiben der Glarner Bise. Achttagebart, die Augen offen, die Hände zu Fäusten geballt, daneben das geladene Gewehr, am Rücken den Rucksack mit dem Loch, wo die Kugel ausgetreten war. Das ist mein erster Vater gewesen. Er ist gestorben, bevor ich auf die Welt kam. Ein Mann, der zweimal begraben wurde, das erste Mal ganz sachte vom Schnee und dann, für immer, in der Erde. Ich bin ein Sohn mit zwei Ziehvätern und zwei Schutzengeln. Meine beiden Väter waren meine zwei Onkel, und meine Engel waren Gabriel und Asrael.

      Seit diesem Unglück