Fünf Jahreszeiten. Meral Kureyshi

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Название Fünf Jahreszeiten
Автор произведения Meral Kureyshi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038552130



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mit Adam, ich reagiere nicht auf seine Anrufe und lösche seine Nachrichten, ohne sie zu lesen.

      Die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man doch, also warte ich.

      Was ich so lange mache, wollte Manuel wissen, er schrie meinen Namen.

      Ich war aufgeregt, Adam wartete auf mich, ich war zu spät und wusste nicht, was ich anziehen sollte.

      Manuel wollte mich begleiten, ich sagte, dass ich spazieren gehen würde und allein sein wolle. Es gefiel mir nicht, wie er mich kontrollierte. Wir stritten immer öfter, wie an diesem Abend. Ich schlug die Tür hinter mir zu und ging. Manuel hasste es, wenn ich das tat. Er war hilflos und ich fühlte mich schrecklich.

      Die Absätze klopften draußen im Takt meines Herzschlags, ich ging schnell unter den Lauben neben Adam, meine Gedanken waren bei Manuel. Wahrscheinlich suchte er mich, wie er es immer tat, wenn ich weglief. Ich wollte ihm keinen Kummer bereiten und tat es doch.

      Meine rechte Hand ist immer kälter als die linke, ich wärmte sie auf in der linken und hauchte warmen Atem in die Faust. Adam nahm meine rechte Hand und steckte sie in seine Jackentasche. Ich zog ein Päckchen hervor. Vortioxetin, las ich laut.

      Was ist das?, wollte ich wissen.

      Das ist nichts, sagte er.

      Ich fragte nicht weiter.

      Ein fahrender Zug leuchtete in der Ferne, und unsere Schatten schrumpften der Laterne entgegen, die uns den Weg zeigte, dann wuchsen sie wieder vor uns, je weiter wir uns von ihr entfernten.

      Manuel schrieb mir eine Nachricht, er wollte wissen, wann ich nach Hause käme. Ich fühlte mich schlecht beim Lügen, doch die Wahrheit hätte alles noch schlimmer gemacht. Es war auch nichts, Adam und ich gingen bloß spazieren. Das war alles. Manuel hatte mir verboten, Adam zu treffen, er wollte mich nur für sich, als könne man einen Menschen besitzen.

      Ich lasse mir nichts verbieten, und besitzen kann man mich auch nicht, habe ich Manuel gesagt, doch es schien, als hörte er mir nicht zu.

      Adam fragte nicht, wem ich schrieb, und ging wortlos neben mir her. Vielleicht wollte er es auch nicht wissen, weil er meine Antwort fürchtete.

      Manchmal berührten sich unsere Hände beim Gehen.

      Die Biber haben die Bäume angenagt, die nun eingezäunt werden müssen. Ein Weg führte zu der Steinbrücke, den Hügel neben den Bären hoch, an den nackten Platanen vorbei zur zweiten Bank. Wir lasen Rindenstücke der Plata­nen vom Boden auf und drückten sie an den Stellen in den Baumstamm, von denen sie abgeblättert waren.

      Heute ist ein Otter an mir vorbeigeschwommen, der wahrscheinlich aus dem Tierpark entflohen ist, sagte Adam.

      Das ist ein Zeichen, sagte ich, bevor ich weitersprechen konnte unterbrach er mich.

      Es war nur Zufall, sagte Adam, und ich war etwas enttäuscht über seine Antwort.

      Im Kino an der Aare saßen wir auf einem Sofa, ganz hinten in der Ecke.

      Vorne sitze ich allein, da sitzen nur die, die als Erste das Bild zu Gesicht bekommen wollen, um mit Nackenschmerzen aus dem Kino zu gehen. Der Schmerz macht die Rea­lität, sonst existiert nichts im Kino. Je weiter hinten man sitzt, desto kleiner wird das Bild, in der Mitte sitzen die, das Bild in der Größe einer Postkarte betrachten, wie Manuel. Noch weiter hinten eine Briefmarke, eine Briefmarke reicht zum Küssen.

      Durch die großen Fenster schaute ich, wie sich das Licht auf das Wasser legte. So langsam, dass ich es nicht sehen konnte. Plötzlich wurde es dunkel, genau in dem Augenblick, als ich die Augen schloss. Die Bäume verwandelten sich in dunkle Monster hinter der Spiegelung unserer Gesichter, die Aare trug das Licht mit sich davon, noch bevor die Vorhänge gezogen wurden und der Film anfing.

      Als Adam auf der Toilette war, googelte ich und las: Vortioxelin ist ein antidepressiv wirkender Arzneistoff mit multimodalem Wirkmechanismus.

      Wir saßen noch lange im Dunkeln, nachdem alle den Saal verlassen hatten.

      Ich kann das nicht, sagte ich zu Adam, ich muss ge­­hen.

      Und warum bist du dann hier?, fragte er und wollte mich wieder küssen.

      Ich stieß ihn weg, stand auf und ging hinaus.

      Als er mir folgte, rannte ich weg.

      Warte, schrie er, warte, bitte!

      Hinter einem Baum sah ich, wie er mich suchte, nach mir rief. Ich wartete, bis er weg war, bevor ich nach Hause ging.

      An den Film kann ich mich nicht mehr erinnern, an Adams Blick ganz genau.

      Manuel lag mit einem Buch auf dem Sofa und war eingeschlafen, als ich mich umzog, erwachte er. Ich erzählte, dass ein Otter an mir vorbeigeschwommen war.

      Das ist ein Zeichen, sagte Manuel, er wollte dir dein Schicksal voraussagen, doch was wollte er nur? Manuel setzte sich auf und überlegte laut.

      Ob sonst noch etwas im Wasser lag, wollte er wissen, ein Blumenstrauß, kam mir in den Sinn, den hatte ich fast vergessen.

      Das ist sehr interessant, sagte Manuel, sehr interessant, wiederholte er.

      Es ist nur Zufall, sagte ich.

      Nein, sagte Manuel, nichts passiert zufällig.

      Auf der Treppe vor dem Museum kommt Nikola auf mich zu.

      Was hast du?, fragt er. Als ich die Schultern hebe, küsst er meine Wange.

      Je weniger ich an Adam denken möchte, umso mehr denke ich an ihn, sage ich.

      Du hast dich doch gegen ihn entschieden, mehrmals sogar, sagt Nikola. Und wie lange müssen wir eigentlich noch warten, bis das große Tor sich öffnet für uns Gefängnisinsassen?, fragt er.

      Warum wir nicht Gefängnisinsassinnen für beide Geschlechter gebrauchen würden?, fragte ich, in den Gefängnisinsassinnen ist der Gefängnisinsasse enthalten, umgekehrt nicht.

      Ich bin doch kein Musikerin, das klingt bescheuert, sagt Nikola.

      Nein, sage ich, das klingt wunderbar, du bist auch ein Studentin.

      Auch ein Freundin?, fragt er.

      Ja, auch ein Mitarbeiterin im Museum, sage ich.

      Und was ist mit den Pronomen?, fragt Nikola.

      Das große Tor geht auf, wir betreten die leeren Räume, die bei jedem Schritt hallen.

      Als Erstes bringe ich die Briefe mit den Paketen zur Post.

      Neben dem Kalkbrunnen stehen riesige, prall gefüllte Müllsäcke und gebündelter Karton. Ein Mann, der in einer winzigen Kabine sitzt, stopft mit seinem Kranarm Baumstämme in ein Maul mit Riesenzähnen. Er füttert ihn so lange, bis nichts mehr übrig bleibt, aus einer Öffnung fällt Sägemehl in einen großen Bauch aus Plastik.

      Nach langem Warten bei der Post erscheint meine Zahl auf der Tafel, und ich gehe zum Schalter C.

      Ob ich ein Glückslos kaufen möchte, fragt mich die Mitarbeiterin hinter dem Glas, das hochgeht, ich gebe ihr die Pakete rein, dann geht das Glas wieder runter, nur ein Spalt bleibt offen.

      Nein danke, sage ich.

      Wie in einem Kiosk gibt es Süßigkeiten zu kaufen, Telefone, Bestsellerromane und Bürosachen, auch Müllsäcke kann man bei der Post kaufen. Als Kind bin ich oft mit Baba zur kahlen Post ohne Süßigkeiten, um farbig gemusterte Taxcards zu kaufen, damit wir in der Telefonkabine mit unseren Verwandten sprechen konnten. Wir stopften uns alle rein, der Zigarettenrauch umgab uns, ich hustete laut, Babas Asche von der Zigarette zwischen seinen Lippen fiel auf meine Haare, Anne strich sie weg und nahm ihm die Zigarette aus dem Mund, um sie auf den Telefonbüchern auszudrücken. Hier, sprich mit deiner Tante, sagte Anne, und sprach vor, was ich sagen sollte. Meine Schwester weinte in ihren Armen. Mein Bruder kauerte am Boden und versuchte hinauszublicken. Ich wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht und sprach Annes Worte nach.

      Ich mache einen Umweg zurück ins Museum, friere eine