Название | Fünf Jahreszeiten |
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Автор произведения | Meral Kureyshi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038552130 |
Ich wärme dir das Bett vor, sagte er, bevor ich ging.
Die tanzenden Menschen auf der Bühne schob ich mit den Unterarmen zur Seite, zugleich trocknete ich ihren Schweiß an meiner Hose ab. Ein paar Betrunkene dösten auf den roten Stühlen, Rauch stieg zur Decke empor. Als ich meinen Blick von der Menge abwendete, stand er vor mir.
Hallo, sagte er.
Hallo, sagte ich.
So fing es an.
Ein Fremder kann über Nacht zur wichtigsten Person werden, dann verwandelt sich der gleiche Mensch ganz langsam über Jahre wieder in einen Fremden zurück.
Adam trägt ein Haus auf seinem linken Handrücken, ein einfaches Haus mit sechs Strichen, gerne würde ich mich darin verstecken. Das Haus hat keine Fenster, auch keine Tür.
Draußen fiel der Schnee, das erste Mal in diesem Jahr, auf mein Gesicht, ich machte die Augen zu, sein Atem wurde lauter neben mir.
Frohe Weihnachten, sagte ich.
Ich kannte sein Lachen nicht, alles war neu an ihm, anders als bei Manuel. Leiser und zurückhaltender, er sprach nicht viel, als müsste ich seine Gedanken lesen.
Du kommst mir bekannt vor, sagte ich, du siehst aus wie Edward mit den Scherenhänden.
Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung ist, sagte er, und ich zog die Schultern hoch.
Wir seien uns schon oft begegnet, erzählte er. Das erste Mal habe er mich in der Unibibliothek gesehen, er wusste noch genau, was ich gesagt hatte, auch dass ich den blauen Schal meiner Mutter nie auszog und oft aufstand, um mir etwas zu trinken zu holen.
Einmal sei ich in die Straßenbahn Nummer neun gestiegen – bevor er nach meinem Namen habe fragen können, sei ich schon wieder draußen gestanden, in einem beigen Mantel und dunkler Hose.
Deine Lippe war verletzt, sagte Adam, und deine Haare bewegten sich vor deinem Gesicht, als ich dir nachsah.
Ich hörte ihm zu, als könnte ich mich nicht erinnern.
Auf dem grauen Parkplatz, wo im Herbst der Jahrmarkt leuchtet, die Karussells sich drehen, fiel der Schnee auf unsere Haare.
Sein langer Hals streckte sich, die helle Haut leuchtete im Mondlicht, das Schlüsselbein war gut sichtbar. Er war groß und schlank, mit dem Daumennagel kratzte er am Zeigefingernagel.
Einmal kreuzten sich unsere Wege, ich erinnere mich noch genau, wie Adam mich mitten auf der Straße an der Hand festhielt, Manuel zog mich weiter.
Wer war das?, wollte Manuel wissen.
Ich weiß nicht, sagte ich und schaute doch zurück.
Neben uns auf der Brücke hinterließ der Zug eine weiße Wolke, die sich zwischen den blattlosen Ästen auflöste. Die Ampel wechselte auf der Straße seine Farbe für niemand. Adam nahm einen Zug von der Zigarette und wirbelte mit dem Rauch die leichten Schneeflocken in der Luft. Es roch nach Urin, die große Bahnhofsuhr lief rückwärts oder blieb stehen. Auf der Steinbrücke setzten wir uns auf die Mauer.
Hast du Angst?, fragte ich.
Nein, sagte Adam.
Manuel wäre niemals auf die Mauer geklettert, auch betrunken nicht. Er konnte nicht einmal die Treppe des Münsters hochsteigen, ohne nach ein paar Metern wieder kehrtzumachen.
Adam ist Löwe, ich mochte Löwen nicht.
Er erzählte etwas von Herkules und dass in der jüdischen Mythologie der Löwe ein Symbol für den Messias sei, ich hörte seiner leisen Stimme zu. Schaute, wie sich sein Mund bewegte. Zeigte in den Himmel und sagte:
Neun Sterne, der hellste ist Refulus, das Löwenherz.
Ich zählte, wie oft er seine Augen zu und wieder aufmachte, dann lachte er, als sich meine Nasenspitze dabei bewegte. Von weitem hörte ich die Musik, neben dem Pfeifen im Ohr.
Manuel rief an, und ich schaltete das Telefon auf stumm. Gleich darauf leuchtete es in meiner Jackentasche.
Bevor ich ging, küsste ich Adams Wange, und sein Duft blieb an meinen Lippen kleben, auf denen ich den ganzen Nachhauseweg über kaute, bis es blutete. Es war sechs Uhr in der Früh, der Schnee setzte sich auf meine Wimpern, legte sich auf die leere Straße, auf die harten Kanten und machte sie rund. Meine Fußabdrücke hinterließen die ersten Spuren im Schnee.
Ich lebe im Stillstand, mit Adam im Kopf. Adam geht nicht weg.
Es ist nicht wirklich, sage ich immer wieder, es ist nicht wirklich.
Was ist nicht wirklich?, fragt Manuel, der meine Unterhose langsam über meine Oberschenkel streift.
Irgendwann schläft er ein, und ich gehe durch den langen Korridor in das große Wohnzimmer, um den Gedanken zu entkommen. Es funktioniert nicht.
An den Holztisch gelehnt sind zwei Stühle, auf dem alten Parkett vertrocknen Blumen in einer Vase, das Wasser beginnt nach Kanalisation zu riechen.
Im Büchergestell liegen Manuels Romane durcheinander. Schwere Bände über Filmgeschichte, die Fotobücher stapeln sich neben dem Regal.
Ich lasse mich auf das schwarze Ledersofa fallen, versuche zu lesen, um meiner Geschichte zu entkommen. Das Sofa lag auf der Straße, mit Manuel habe ich es durch die halbe Stadt getragen, er hat mich verflucht deswegen.
Die Wohnung ist klein, wenn die Fenster offen stehen, kann man den Brunnen hören mit dem Löwen darauf. Hinter den Fenstern sind die übrig gebliebenen Tomaten, manchmal kommt eine Krähe, um an ihnen zu picken.
Die Münsterglocke schlägt draußen laut die Stunden, drinnen bleibt die Zeit stehen.
Unter der Decke friere ich, die alten Fenster sind schlecht isoliert, es dringt kalte Luft ins Zimmer. Die Wohnung ist baufällig. Die Wände noch immer weiß. Ich drehe mich zu Manuel, um mich aufzuwärmen, der mich sofort in seine Arme nimmt.
Du bist ja eiskalt, sagt er, dabei dreht er seinen Kopf in die andere Richtung, um mir seinen Mundgeruch zu ersparen. Erst wenn er die Zähne geputzt hat, darf ich ihn küssen.
Nach kurzer Zeit ist das warme Wasser unter der Dusche aufgebraucht, ich spüle das Shampoo aus meinem Haar. Manuel schaut, während er die Zähne putzt, wie ich dusche, er duscht lieber allein.
Er ist größer als ich, sein Bauch kann sich aufblähen wie ein Ball, wenn er viel trinkt, seine braunen Haare sind immer verstrubbelt, er trägt eine fast unsichtbare Brille auf der Nase. Wenn er lacht, kann man all seine Zähne sehen, die Wimpern, dunkle Kränze, verkleben sich zu Dreiecken, wenn er weint. Ich habe ihn in den sechs Jahren nur zweimal weinen sehen. Einmal sagte ich zu ihm, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen sein wolle, er ignorierte es, und so blieb es dabei, dass er bei mir wohnte. Er zog ein, als wir uns kennengelernt hatten.
Manuel bewegt seine langen Finger, auch die Zehen, als gehörten sie nicht zu ihm.
Schade, dass du heute nicht mitkommst, sagt er, es ist immer so langweilig bei meiner Familie ohne dich.
Seine Großeltern, Onkel und Tanten treffen sich zum Mittagessen bei seinen Eltern.
Ich muss arbeiten, sage ich, du schaffst das schon.
Niemand will nach Weihnachten im Museum arbeiten. Ich arbeite immer, wenn ich kann. Und das ist auch meine Ausrede, nicht zur Familie von Manuel mitgehen zu müssen.
Sein Bruder und ich verstehen uns nicht. Wenn er betrunken ist, macht er mir anzügliche Komplimente. Sein Vater war gelernter Hochbauzeichner, nannte sich Architekt, weil er sein eigenes Haus in einem abgelegenen Dorf mit Seesicht mitentworfen hat, worauf er stolz ist. Die Designermöbel stehen auf einem kalten Plattenboden, der immer glänzt, die offene Küche bietet viel Platz und freie Sicht zum Pool im Garten, der im Winter zugedeckt ist. Als Kind hat sich Manuel die Nase aufgeschlagen, als er hineinspringen wollte