Название | Reportagen 1+2 |
---|---|
Автор произведения | Niklaus Meienberg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551591 |
In jedem Adjektiv, das ein Historiker benützt, spiegelt sich also die Tendenz, und auch in den Substantiven. Und die wollen wir ihm nicht ankreiden und halt nur hoffen, dass er die andern Historiker nicht im abwertenden Sinne «tendenziös» nennt.
PS: Weitere Notizen zur schriftl. und mündlichen Überlieferung: «Frau Arnold reist nach Amerika».
Die beste Zigarette seines Lebens
Schläpfer ist als fünftes von sieben Kindern einer Familie im Aargauischen geboren, im schönen Bauerndorf Oettingen* * Orts- und Familiennamen wurden in den meisten Fällen verändert.. Die Gemeinderatskanzlei von Oettingen gibt folgende Auskunft zuhanden des Grossrichters der 8. Division: «Obgenannter Schläpfer Johann ist bei seinen Eltern wohnhaft. Bis heute ist über dessen Lebensweise nichts Nachteiliges bekannt. Dessen Eltern besorgen das Schulhaus, und Vater Schläpfer ist nebst dem Strassenarbeiter. Dieselben wie auch der Sohn Johann sind vermögenslos und sind unbedingt auf ihren Verdienst angewiesen. Die Familie ist finanziell immer etwas knapp. Immerhin ist bei denselben in dieser Richtung nie etwas Unregelmässiges vorgekommen. Bei Johann Schläpfer handelt es sich um einen Mann, der bestrebt ist vorwärtszukommen. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass der Angefragte gerne viel redet, so dass man seinen Aussagen nicht immer vollen Glauben schenkt. 3. März 1942. Die Gemeinderatskanzlei.»
Johann Schläpfer war bestrebt vorwärtszukommen. Er besuchte zwei Jahre lang die Sekundarschule in der nahen Kantonshauptstadt, machte ein Welschlandjahr, beides war für den Sohn des Strassenputzers nicht selbstverständlich. Dann musste er verdienen, um Eltern und Geschwister zu unterstützen. Für eine richtige Zahnpflege war in der Familie nicht genügend Geld vorhanden, Johann hatte mit 21 Jahren schon ein künstliches Gebiss. Ein Gefängnisaufseher erinnert sich an dieses Detail, weil er ihm am Abend vor der Hinrichtung sagte: Morgen musst du auf die Zähne beissen, worauf Johann sagte: Das kann ich leider nicht. Weil Johann Schläpfer sofort verdienen musste, war er immer in untergeordneten Stellungen tätig, Hilfsbuchhalter, Hilfsmagaziner, Hilfsbürolist, Hilfsarbeiter. Eine Lehre lag nicht drin. Kurze Zeit arbeitete er als Bürokraft in der Chemikalienhandlung Zuppinger in Oettingen. Der alte Zuppinger sagt heute über Johann Schläpfer: Er war nicht einmal fähig, einen Frachtbrief korrekt auszufüllen, der Johann war sicher kein grosser Spion, aber irgendwann hat man ja anfangen müssen mit den Erschiessungen, obwohl man vielleicht auch an einem andern Ort hätte anfangen können, der Bundespräsident von damals war auch nicht der Sauberste gewesen. Im Dorf habe das Todesurteil nicht besonders viel Aufsehen erregt, in der struben Zeit damals sei das Ereignis in den Kriegsmeldungen untergegangen.
Kurz vor dem Krieg wurde Schläpfer stellungslos, von Zuppinger wegen mangelhafter Leistungen entlassen. Deshalb habe er Freude am Militär gehabt, sagt die Schwester Frieda, die noch heute in Oettingen lebt. Das Militär bot ihm Aufstiegsmöglichkeiten und eine Sicherheit, die er im Zivilleben nicht hatte. Er rückte in eine Verpflegungsabteilung ein und konnte die Fourierschule besuchen, allerdings nur als Magazinfourier. Die Schwester lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen in der alten Schläpferschen Wohnung, wo sich seit dem Aktivdienst nicht viel verändert hat. Sie bittet inständig, in Oettingen um Himmels willen nicht nach ihrem verstorbenen Bruder zu forschen, sie würde es nicht ertragen, wenn wieder «davon» gesprochen würde, sie sei sonst mit den Nerven schon ganz unten. Der Vater sei damals aus Gram über die Schande gestorben, bald nach der Erschiessung. Er habe den letzten Rappen dem Advokaten Sonderegger gebracht. Es sei ihnen damals vorgekommen, als ob der Johann mit einem Stein am Hals im Meer versenkt worden sei, er sei einfach verschwunden. Die Familie habe keine Akten gesehen und gar nicht richtig gewusst, was eigentlich passiert sei. Sie seien gänzlich ohne Protektion dagestanden, und die Richter werden gedacht haben: Das ist nur ein Arbeitersohn, den nehmen wir jetzt.
Es gibt einen Brief von Johann aus dieser Zeit, der in der Untersuchungshaft geschrieben wurde: «Meine lieben Eltern und Geschwister! Ich muss zur Feder greifen um einige liebe Worte mit Euch meine Lieben zu berichten. (…) Wie geht es Euch? Ich hoffe gut und es seien alle gesund. Die Behandlung und die Kost hier sind gut, aber wisst ich habe immer so ein furchtbares Heimweh nach Oettingen. Ich bin durch einen Kameraden in eine sehr unangenehme Sache verwickelt. Ich kann Euch nicht schreiben was es ist. (…) Ich weiss nur dass es überhaupt keine Kameraden gibt, auch im Militärdienst nicht. Jeder schaut den andern wenn möglich ins Unglück zu stürzen. Ja nun, es ist jetzt schon so. Hoffen wir dass die ganze Sache doch nicht zu schlimm werde. Ich habe Gottvertrauen und bete viel und ich bitte Euch betet recht viel für mich damit die Sache gut gehe. Ich wünsche Euch allen meine Lieben eine schöne Ostern und ganz besonders meinem lieben Mueti und dem lb. Vater und bitte Euch nochmals betet für mich, damit ich nicht ganz unglücklich werde. Jetzt eine Bitte. Sendet mir Wäsche und zwar: 1 Hemd (nur ein älteres), 2 Paar Socken, und ein Nastuch. Damit ich Euch die schmutzige Wäsche bald wieder zustellen kann, so sendet mir alles in einem Schachteli. Sendet mir noch einen alten Kamm, wenn es auch nur ein Stück ist von einem Kamm. Ich musste meinen bei der Verhaftung abgeben und habe jetzt keinen, ich habe mich noch nie gekämmt. Johann.»
Vor seiner Verhaftung war Schläpfer im Militär recht glücklich gewesen, er hatte endlich eine feste Stelle und blühte auf. Nur der Urlaub machte ihm Sorgen, da war er arbeitslos. Deshalb verdingte er sich in den Militärferien im Zivilverhältnis als militärische Bürohilfe, bezog vom 3. Armeekommando einen Monatslohn von 320 Fr., wovon er den Eltern 150 Fr. ablieferte und ausserdem für seine Geschwister etwas Sackgeld beisteuerte. Sein Urlaubsvorgesetzter war mit «seinen Leistungen und seiner Führung ausserordentlich zufrieden, und können wir auf Grund dieser Tatsache Herrn Schläpfer für jede einschlägige Stelle, die sein Fach betrifft, nur bestens empfehlen». Als Schläpfer später in den Geruch des Landesverrats kam, lautete das militärische Führungszeugnis seines Kompaniekommandanten Rupp ganz anders: «Charakter: Jung und unfertig. Dienstliche Führung: Unzuverlässig. Eignung: Unselbständig. Disziplinarstrafen: 1941 drei Tage scharfen Arrest wegen Alkoholgenusses während der Arbeitszeit. Signiert: Hauptmann Rupp, Verpflegungsabt. 9.» In der Verpflegungsabteilung 9 hatte Schläpfer bei seinen Kollegen einen guten Ruf, er war als hilfsbereit bekannt.
Schläpfer befreundete sich schon in den ersten Monaten des Aktivdienstes mit dem Fourier Zaugg. Dieser sei immer «gut bei Kasse» gewesen, was auf den bedürftigen Schläpfer Eindruck machte. Auch habe er immer sehr hübsche Freundinnen gehabt, während Schläpfer auch in dieser Beziehung nicht viel Erfolg hatte. Als nun Schläpfer wieder einmal Dienst hatte im Minenbüro, wo die Pläne für alle Sprengobjekte der Innerschweiz ausgearbeitet wurden, fragte Zaugg ihn beiläufig: Wenn es jetzt «klöpfen» würde, ob dann die Sprengobjekte geladen seien? Schläpfer antwortete, seines Wissens nicht. Im Laufe der Zeit kam Zaugg dann noch mit weiteren Fragen betreffend Munitionsdepots, Sprengobjekte und Truppenstandorte, auch die Zusammensetzung der Sprengstoffe Trotyl und Chlorat interessierte ihn. Die gewünschten Informationen lagen offen herum auf den Pulten des Minenbüros, und Schläpfer wollte seinem Freund den Gefallen gern tun. Er überreichte ihm einige handgeschriebene und maschinengeschriebene Zettel, ohne Geheimnistuerei, manchmal in einem Restaurant, manchmal auf dem Bahnhofperron, jedenfalls ziemlich naiv. Dafür bezog Schläpfer von Zaugg insgesamt 150 Franken, die er aber später zurückzahlen wollte. Er habe das Geld lediglich bei Zaugg gepumpt, gab er zu Protokoll. Manchmal habe er die Informationen auch Zauggs Braut übergeben, als Belohnung durfte er dann ein wenig mit ihr ausgehen. Diese schöne Begleitung für einen Abend hat ihn immer ganz aufgestellt. Jedenfalls habe er bei der ganzen Sache nicht recht gewusst, dass es um Spionage gegangen sei, er habe gar nichts dahinter vermutet. Unter Fourieren, die ja öfter unterwegs waren, habe man sich gern mit Angaben über Truppenstandorte und andern geographischen Hinweisen ausgeholfen. Wenn es ihm ums Geld gegangen wäre, so hätte er vielleicht 4000 bis 5000 Franken verlangt, und dann wäre ihm finanziell geholfen gewesen. Politische Interessen habe er auch nicht, die diesbezügliche Einstellung des