Der Defizit-Mythos. Stephanie Kelton

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Название Der Defizit-Mythos
Автор произведения Stephanie Kelton
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783944203614



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jede Menge neues Geld ausgeben würde, ohne es der Bevölkerung durch Steuern zu nehmen, dann würde sie ein Inflationsproblem verursachen. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, kommt es nicht auf das eigentliche Drucken von Geld an, sondern auf das Ausgeben von Geld. Wenn die Regierung die Ausgaben für Gesundheit und Bildung erhöhen möchte, muss sie uns anderen möglicherweise etwas Kaufkraft entziehen, damit ihre eigenen großzügigeren Aufwendungen die Preise nicht in die Höhe treiben. Eine Methode hierfür ist, höhere Staatsausgaben mit höheren Steuern zu kombinieren, so dass wir anderen ein wenig zurückstecken müssen und so mehr Raum für zusätzliche Staatsausgaben entsteht.20 Dies kann beim Regulieren von Inflationsdruck helfen, indem man die Belastung der realen Produktionskapazität unserer Wirtschaft ausgleicht. Mehr als jede andere ökonomische Denkschule legt die MMT Wert auf die Entscheidung, wann Steuererhöhungen mit neuen Ausgaben einhergehen sollten, und welche Steuern dem Inflationsdruck am effektivsten entgegenwirken. Steuern unnötig anzuheben kann Steueranreize untergraben, und die Anhebung der falschen Steuern kann eine Nation anfällig für sich beschleunigende Inflation machen. Den Grund dafür erfahren wir im nächsten Kapitel.

      Drittens können Regierungen mittels Steuern wirksam Einfluss auf die Verteilung von Vermögen und Einkommen nehmen. Steuersenkungen, wie sie die Republikaner 2017 verabschiedeten, können durch ihre Struktur die Kluft zwischen Reich und Arm vergrößern, indem sie großen Unternehmen und den Reichsten der Gesellschaft zu unerwarteten Gewinnen verhelfen. Heutzutage herrscht bei der Vermögens- und Einkommensverteilung mehr Ungleichheit als je zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Etwa die Hälfte des gesamten neuen Einkommens geht an das oberste 1 Prozent, und lediglich drei Familien besitzen gemeinsam mehr Vermögen als die untere Hälfte Amerikas. Eine so extreme Ballung von Vermögen und Einkommen schafft sowohl soziale als auch ökonomische Probleme. Zunächst einmal fällt es schwer, die Wirtschaft stark zu halten, wenn das meiste Einkommen an die dünnste, oberste Schicht der Bevölkerung geht, die einen Großteil ihres Einkommens spart (anstatt es auszugeben). Der Kapitalismus ist auf Verkäufe angewiesen. Man braucht eine sinnvolle Verteilung des Einkommens, damit Firmen genügend Kunden bekommen und gewinnbringend genug sind, um ausreichend Arbeitsplätze zu bieten, damit die Wirtschaft gut läuft. Extreme Ansammlungen von Vermögen haben zudem eine Korrosionswirkung auf unseren politischen Prozess und unsere Demokratie. Genauso, wie durch Steuersenkungen Ungleichheiten verstärkt werden können, so können Regierungen ihre Befugnis zur Besteuerung einsetzen, um diese gefährlichen Tendenzen umzukehren. Verstärkte Durchsetzung, das Schließen von Gesetzeslücken, höhere Steuersätze und die Einführung neuer Besteuerungsarten sind alles wichtige Hebel, mit denen die Regierung eine nachhaltigere Einkommens- und Vermögensverteilung erreichen kann. Daher sieht die MMT in Steuern ein wichtiges Mittel zur Behebung jahrzehntelanger Stagnation und zunehmender Ungleichheit.

      Schließlich können Regierungen Steuern nutzen, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern oder zu unterbinden. Um die öffentliche Gesundheit zu verbessern, den Klimawandel zu bekämpfen oder riskante Spekulationen auf den Finanzmärkten zu verhindern, können Regierungen eine Zigarettensteuer, eine Kohlesteuer oder eine Transaktionssteuer erheben. Ökonomen bezeichnen sie oft als Sündensteuern, weil sie die Menschen von schädlichen Aktivitäten abhalten sollen. Die MMT erkennt, dass jede Sündensteuer dazu dient, unerwünschtes Verhalten – das Rauchen, Luftverschmutzung oder übermäßige Spekulationen – zu unterbinden, und nicht etwa, um dem souveränen Währungsemittenten Geld zu beschaffen. Je effektiver die Steuer dem Verhalten entgegenwirkt, desto weniger nimmt die Regierung tatsächlich ein, da die Steuer nur solange gezahlt wird, wie das Verhalten andauert. Wenn eine Kohlesteuer erfolgreich alle CO2-Emissionen ausgemerzt hat, wird sie keinen Ertrag liefern, doch sie wird ihren wahren Zweck erfüllt haben. Umgekehrt können Steuern dazu dienen, Verhaltensweisen zu fördern. Beispielsweise kann die Regierung Steuernachlässe bieten, um die Menschen zum Kauf energieeffizienter Haushaltsgeräte oder elektrischer Fahrzeuge anzuregen.

      Aus all diesen Gründen sind Steuern ein unverzichtbares politisches Werkzeug, das man nicht einfach weglassen kann, nur weil die Regierung ihre Währung selbst herstellen kann. Amy war jedoch eindeutig auf einer heißen Spur. Die meisten Regierungen, darunter auch ihre, geben routinemäßig mehr aus, als sie an Steuern einnehmen. Und das tun sie Jahr um Jahr, ohne dass ein Inflationsproblem entsteht. Tatsächlich versuchen viele der größten Wirtschaften der Welt aktiv, ihre Inflationsraten in die Höhe zu treiben. Warum geben sie dann nicht einfach mehr Geld aus, ohne sich die Mühe zu machen, die Steuern zu erhöhen? Und welchen Sinn hat es, Darlehen in der eigenen Währung aufzunehmen, wenn man die doch selbst herstellen kann? Diesen Fragen widmen wir uns weiter unten.

      DIE ROLLE VON DARLEHEN IN DER MMT

      Bevor ich mein eigenes Denken vom Haushaltsmodell (TAB)S auf das Währungsemittenten-Modell S(TAB) umgestellt hatte, konnte ich nicht klar erkennen, worum es bei Steuern und Darlehen wirklich ging. Diesen gedanklichen Schalter umzulegen war nicht einfach, und zunächst wehrte ich mich noch gegen Moslers Reihenfolge. Es fühlte sich nicht richtig an. Doch etwas daran ließ mir keine Ruhe. Ich bereitete mich auf den Beruf der Ökonomin vor, und es war mir wichtig, es richtig zu machen und nicht an der konventionellen Denkart festzuhalten, bloß weil die Lehrbücher entschieden hatten, dass der Steuerzahler im Zentrum des monetären Universums stand. Also machte ich mich auf die Suche nach Antworten.

      Monatelang untersuchte ich die Staatsfinanzen bis ins letzte Detail. Ich brütete über offiziellen Dokumenten der Federal Reserve und des US-Finanzamts, las unzählige Bücher und Artikel zu geldpolitischen Transaktionen und sprach mit zahlreichen Regierungsexperten. Dann begann ich, zu schreiben. Ich gliederte meine Gedanken um eine einzige Frage herum: Finanzieren Steuern und Staatsanleihen die Staatsausgaben? Alles, was ich bisher gelernt hatte, legte nahe, dass dies ein sinnloses Unterfangen war. Alle „wussten“, dass Steuern und Darlehen zur Finanzierung von Staatsausgaben dienten. Ich dachte an das Zitat von Mark Twain – „Nicht das, was du weißt, bringt dich in Schwierigkeiten, sondern das, was du sicher zu wissen glaubst, obwohl es gar nicht wahr ist“ – und beschloss, unvoreingenommen zu bleiben. Als ich mit dem Schreiben begann, wusste ich ehrlich gesagt nicht, worauf es hinauslaufen würde. Ich war entschlossen, mich von der Forschung leiten zu lassen. 1998 veröffentlichte ich einen frühen Entwurf der Arbeit, und zwei Jahre später wurde eine erweiterte Version zu meiner ersten akademischen Veröffentlichung mit Peer-Review.21 Die Antwort auf die von mit gestellte Frage war nein.

      Das Zusammenspiel ist nicht einfach zu durchschauen. Tatsächlich lassen sich die geldpolitischen Operationen der Regierung unmöglich in diskreter Zeit entschlüsseln. An einem beliebigen Tag sind buchstäblich Millionen von Teilen in Bewegung. Im Lauf des Jahres wickelt die Federal Reserve Zahlungen an das US-Finanzamt in Billionenhöhe ab. Jeden Monat schreiben Millionen Haushalte und Unternehmen Uncle Sam Schecks aus, und diese Zahlungen werden zwischen den Geschäftsbanken und der Federal Reserve verrechnet.22 Das Finanzamt, die Federal Reserve und die Primärhändler sprechen ab, wann Staatsanleihen versteigert, welcher Mix an Laufzeiten angeboten und wie viele Wertpapiere insgesamt bei jeder Auktion angeboten werden sollen. Das Ganze läuft wie ein perfekt choreographiertes Wasserballett ab. Ein Perpetuum mobile, das Steuerzahlungen, Staatsausgaben und Darlehen in perfektem Gleichklang verrechnet.

      Mit bloßem Auge betrachtet kann es so wirken, als würde sich die Regierung von Steuerzahlern und Staatsanleihen-Käufern Dollars holen, weil sie diese Dollars braucht, um ihre Rechnungen zu begleichen. So gesehen besteht der Zweck von Steuern und Staatsanleihen in der Finanzierung von Staatsausgaben. So wollte es uns Thatcher mit dem Blick durch die Haushalts-Brille weismachen. Die MMT betrachtet die Vorgänge durch die Brille des Währungsemittenten. Die Regierung braucht unser Geld nicht. Ebenso wenig wie Steuern dazu da sind, um die Regierung mit ihrer eigenen Währung zu versorgen, dient die Versteigerung von US-Staatsanleihen – also die Aufnahme von Darlehen – nicht dazu, Dollars für Uncle Sam zu beschaffen.

      Warum muss die Regierung dann Darlehen aufnehmen? Die Antwort ist, das muss sie gar nicht. Sie möchte den Menschen eine andere Art von Geld bieten, eine, die ein wenig Zinsen einbringt. Um es anders zu sagen, US-Staatsanleihen sind ganz einfach verzinsliche Dollars. Um solche verzinslichen Dollars von der Regierung zu kaufen, braucht man zuerst die Währung der Regierung.