Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Stefan Gesmann

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Название Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit
Автор произведения Stefan Gesmann
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783849781996



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       1.3Eckpunkte eines systemtheoretischen Organisationsverständnisses

      Um nachfolgend die Eckpunkte eines systemtheoretischen Organisationsverständnisses aufzuzeigen und diese Perspektive zugleich von einem zweckrationalen Organisationsverständnis abzugrenzen, werden die benannten Charakteristika von Organisationen – Zweckorientierung, Arbeitsteilung über die Ausbildung von Strukturen sowie Beständigkeit der Organisationsgrenzen und in diesem Zusammenhang die Bedeutsamkeit von Organisationsmitgliedern – erneut aufgenommen. Dem in der Einleitung von Kapitel 1 genannten Prinzip des »Auf-den-Kopf-Stellens« folgend, wird der Beginn aber nicht beim Zweck einer Organisation, sondern vielmehr bei deren Abgrenzung gegenüber ihrer Umwelt gesetzt.

       1.3.1Organisation als Differenz: Zur Bedeutsamkeit der System-Umwelt-Unterscheidung

      Eine systemtheoretische Betrachtung von Organisationen führt zwangsläufig dazu, das Beobachtungsspektrum zu erweitern, da Systeme stets in Abhängigkeit von bzw. im Austausch mit ihrer Umwelt betrachtet werden müssen. Nichts anderes ist gemeint, wenn Torsten Groth ein System als »Einheit der Differenz von System und Umwelt« (Groth 2017, S. 44) beschreibt. Organisation und Umwelt stellen folglich zwei Seiten einer Medaille dar. Eine Organisation entsteht und besteht daher nur dann, wenn sie kontinuierlich dafür Sorge trägt, dass sie die Differenz zwischen sich und der stets komplexeren Umwelt aufrechterhält, wenn also ein Innen von einem Außen (der Umwelt) abzugrenzen ist (Abb. 1).

       Abb. 1: System als Differenz von Innen und Außen

      Wie wichtig Abgrenzung im Alltag von Organisationen der Sozialen Arbeit ist, zeigt sich bei solchen Organisationen, die – wie ein Fähnchen im Wind – jedem aktuellen Trend hinterherlaufen und ständig ihr Profil, Aufgabenspektrum und damit auch die eigene Organisationsgrenze verändern. In diesen Fällen leiden nicht nur die Organisationsmitglieder, da ihnen die dringend benötigte Orientierung (zwischen Innen und Außen) fehlt. Auch die Umwelt zeigt sich bisweilen irritiert, da der Organisation kein eindeutiges Profil mehr zugesprochen werden kann (im Sinne von: die Organisation steht hierfür oder dafür).

      In Bezug auf die Grenzen zwischen Organisation und Umwelt sind zwei weitere Aspekte von zentraler Bedeutsamkeit:

      Die Grenze zur Umwelt wird von Organisationen selbst erzeugt.

      Die Grenzziehung zwischen System und Umwelt bedeutet nicht, dass sich Organisationen vollständig gegenüber ihrer Umwelt abdichten können.

       Selbsterzeugung der Organisationsgrenze

      Wer sich mit den Annahmen der neueren Systemtheorie beschäftigt, kommt weder an dem Namen Niklas Luhmann noch an dem Begriff der Autopoiese vorbei. Wenngleich dieses Kunstwort3 von den chilenischen Biologen und Neurophysiologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela geprägt wurde (vgl. Maturana u. Varela 2009), war es insbesondere Luhmann, der sich dafür ausgesprochen hat, das Autopoiesekonzept auch auf soziale Systeme (und damit auch auf Organisationen) zu übertragen. Verkürzt formuliert, besagt die Theorie autopoietischer Systeme, »dass komplexe Systeme sich in ihrer Einheit, ihren Strukturen und Elementen kontinuierlich und in einem operativ geschlossenen Prozess mithilfe der Elemente produzieren, aus denen sie bestehen« (Willke 2006, S. 10).

      Wenn Organisationen als autopoietische Systeme eingeordnet werden müssen, stellt sich die Frage, was als zu reproduzierendes Element eines sozialen Systems betrachtet werden muss. Anders gefragt: Wodurch grenzen sich Organisationen konkret dauerhaft von ihrer Umwelt ab? Während innerhalb der traditionellen Betriebswirtschaftslehre davon ausgegangen wird, dass der Mensch die kleinste Einheit einer Organisation bildet und folglich Menschen die Elemente von Organisationen sind, unternimmt Luhmann die, wie Willke (1994, S. 99) es formuliert, »wohl folgenreichste theorie-architektonische Weichenstellung in der soziologischen Systemtheorie«, indem er nicht den Menschen, sondern Kommunikation – präziser formuliert, kommunizierte Entscheidungen – als Element sozialer Systeme bezeichnet. Organisationen bestehen gemäß Luhmann (2006, S. 63) also (und grenzen sich hierdurch auch gegenüber der Umwelt ab), indem

      »es zur Kommunikation von Entscheidungen kommt … Alles andere – Ziele, Hierarchien, Rationalitätschancen, weisungsgebundene Mitglieder oder was sonst als Kriterium von Organisationen angesehen worden ist – ist demgegenüber sekundär und kann als Resultat der Entscheidungsoperationen des Systems angesehen werden.«

      Was sich hier möglicherweise noch abstrakt anhört, zeigt sich im organisationalen Alltag an zahlreichen Stellen. So müssen in der Gründungsphase einer Organisation Entscheidungen hinsichtlich eines bestimmten Zwecks (z. B. ambulante erzieherische Hilfen anzubieten und keine stationäre Einrichtung zu gründen), Entscheidungen in Bezug auf die Wahl der Gesellschaftsform (z. B. die Entscheidung für eine gemeinnützige GmbH und gegen einen eingetragenen Verein) oder aber Entscheidungen hinsichtlich des Personals gefällt werden (beispielsweise die Entscheidung für die Einstellung eines Sozialarbeiters und gegen einen Psychologen). Dadurch, dass Entscheidungen lediglich den Charakter von Ereignissen haben, »die, indem sie vorkommen, schon wieder verschwinden« (ebd., S. 152), ebbt der kontinuierliche Entscheidungsdruck für Organisationen auch nach deren Gründungsphase nicht ab.

      Wenn Organisationen dadurch als Einheit Bestand erfahren, dass (kommunizierte) Entscheidungen an (kommunizierte) Entscheidungen anschließen und für das Treffen von Entscheidungen stets Rückbezug auf vorherige Entscheidungen genommen wird, dann muss konstatiert werden, dass Organisationen »auf der Ebene dieser selbstreferenziellen Organisation geschlossene Systeme [sind], denn sie lassen in ihrer Selbstbestimmung keine anderen Formen der Prozessierens zu« (Luhmann 1984, S. 60).

       Abgrenzung von Organisationssystemen: Schließung und Öffnung zugleich

      Wenngleich Organisationen im Kern ihrer Selbsterstellung als geschlossene Systeme betrachtet werden müssen, kann sich keine Organisation vollständig gegenüber ihrer Umwelt abdichten. Wie andere lebende Systeme auch, sind Organisationen auf Ressourcen (Geld, Personal etc.) und Informationen aus ihrer Umwelt angewiesen, um entscheidungsfähig und damit überlebensfähig zu bleiben.

      Organisationen – bzw. generell autopoietische Systeme – weisen also gewisse paradox anmutende Tendenzen auf: Sie sind in den Tiefen ihrer Reproduktion hochgradig autonom – niemand kann von außen determinieren, wie und welche Entscheidungen an Entscheidungen innerhalb einer Organisation anschließen, dies lässt Organisationen bisweilen eigensinnig und strukturell konservativ erscheinen. Zugleich sind Organisationen – um ihr Überleben zu sichern – maßgeblich von ihrer Umwelt abhängig. Keine Einrichtung der Sozialen Arbeit kann ihre Umwelt vollends ausblenden. Wenn sich rechtliche Rahmenbedingungen ändern, Fördermittel wegbrechen oder auf der anderen Straßenseite ein Mitbewerber eine Einrichtung eröffnet, sind dies wesentliche Aspekte, die innerhalb der jeweiligen Organisation beim Treffen von Entscheidungen Berücksichtigung finden sollten. Organisationen sind daher zum Dauerbeobachten ihrer Umwelt »gezwungen«. Nur wenn solche Beobachtungen zu Informationen verdichtet werden und diese beim Treffen von Entscheidungen Berücksichtigung finden, kann die Organisation auch zukünftig weiterentscheiden und hierdurch ihre System-Umwelt-Grenze aufrechterhalten. Eben jene paradoxe Tendenz von autopoietischen Systemen, sich einerseits gegenüber der Umwelt zu verschließen, sich aber zugleich punktuell auch öffnen zu müssen, lässt sich als »operationale (oder operative) Schließung« bezeichnen (vgl. Willke 2001, S. 32).

      Blickt man in die Praxis der Sozialen Arbeit, so ist es nicht schwierig, den selbstbezüglichen Charakter von Organisationen infolge ihrer operationalen Schließung zu beobachten. So neigen Organisationen der Sozialen Arbeit beispielsweise dazu,