Wirtschaft, die arm macht. Horst Afheldt

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Название Wirtschaft, die arm macht
Автор произведения Horst Afheldt
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783888979194



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dazu führt, dass die Steueraufkommen weltweit negativ beeinflusst werden.

      »Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass Steuerwettbewerb die Möglichkeit der Regierungen herabsetzen würde, den Wohlfahrtsstaat weiter zu finanzieren«.

      Und zu dem Problem der Steuern auf Unternehmenseinkommen meint die Studie des IWF:

      »Manche Autoren haben die Möglichkeit genannt, dass in längerer Zukunft die Steuereinnahmen aus Unternehmen auf Null getrieben werden…«54

      Spielraum ist hier kaum noch. Zwei grundsätzliche Entscheidungen haben die Ohnmacht der Politik besiegelt: Die Öffnung unserer Volkswirtschaft zum Weltmarkt und die Einführung des Euro vor einer Einigung in der EU über eine gemeinsame, für alle gültige Besteuerung. Die Öffnung zum Weltmarkt zwang zum weltweiten Wettbewerb und damit zum Wettlauf der Modernisierung, also der Freisetzung von Arbeit durch »schlanke Produktion«, zur schnellen Rationalisierung mit Ersatz von Arbeit durch Kapital und zum weltweiten Steuersenkungswettbewerb. Die Einführung des Euro ohne gemeinsame Steuerpolitik sicherte dann diesen für die Staatsfinanzen ruinösen Wettbewerb auch noch innerhalb der EU ab. Inwieweit diese beiden Entscheidungen korrigiert werden können und sollen, ist eine der über die Zukunft Europas entscheidenden Fragen. Wieweit die EU-Einigung über die Besteuerung von Zinseinkünften vom 21.1.2003 etwas ändern kann, ist mehr als zweifelhaft. Es ist nicht einmal sicher, dass so die Zinseinkünfte wirklich in großem Umfang besteuert werden können.55 Und der Standortwettbewerb wird von dieser Einigung überhaupt nicht betroffen.

      Der Politologieprofessor und ehemalige Planungsstabsleiter im Pariser Außenministerium, Jean-Marie Guéhenno, sieht deshalb »eine Welt kommen ohne Entscheidungszentrum und ohne Souverän, ohne Bürger und ohne Volksherrschaft«56. Er schreibt:

      »Wenn (ein Staat) keine Kapital- und Talentflucht ins Ausland provozieren will, darf er die Steuern nicht über das Niveau vergleichbarer Länder anheben. Man kann in diesem Zwang die gelungene Übertragung marktwirtschaftlicher Gesetze auf den Bereich der Politik sehen. In Wahrheit, da die Inanspruchnahme zahlreicher Kollektivleistungen (wie Sicherheit, Infrastrukturen, Rechtsprechung u.a.) nicht an den Ort der Steuererhebung gebunden ist, werden viele Unternehmen in der Lage sein, ihre Steuerlast zu begrenzen, während sie sich gleichzeitig in den Staaten niederlassen, die die besten Kollektivleistungen bieten. Die Erschütterung der territorialen Besteuerungsgrundlage reicht daher in ihren Folgen sehr viel weiter, als uns ein oberflächlicher Liberalismus glauben macht. Sie bedeutet, daß die Nationalstaaten nicht mehr in der Lage sind, Kollektivleistungen durch die Steuern zu finanzieren. Entweder kommen Staaten mit vergleichbaren Leistungen überein, sich gegenseitig keine ›Steuerkonkurrenz‹ zu machen und Ausgleichsmechanismen in Gang zu setzen, oder aber die Staaten reduzieren die ›kostenlosen‹ Kollektivleistungen und ersetzen sie durch kostenpflichtige Leistungen bzw. durch individualisierte Versicherungssysteme.

      In beiden Fällen ist die Nation als natürlicher Raum der Solidarität und der politischen Kontrolle in Gefahr.«57

      Der Staat war der letzte Garant für einigermaßen gleiche Lebensbedingungen von Arm und Reich. Abbau des Staates ist Abbau zu Lasten der Armen und zu Gunsten der Reichen. Der Ruf nach dem »schlanken Staat« – möglichst so schlank wie Heinrich Hoffmanns Suppenkaspar auf den letzten Bildern, als er »wog vielleicht ein halbes Lot und war am fünften Tage tot!« – ist deshalb von Seiten derjenigen, die heute mit fetter Beute außer Landes in ihre Oasen fliehen, sehr verständlich. Auch Bankräuber würden die Abschaffung der Polizei lebhaft befürworten.

      Naturgegeben ist dieses Verhalten nicht. Die Wohlfahrtsphasen in Amerika und Europa kannten dieses Dilemma nicht. Und so wird man Lester Thurow korrigieren müssen, der meinte: »Der Kapitalismus hat der Arbeiterklasse den Krieg erklärt, und er hat ihn gewonnen.«58 Nicht der Arbeiterklasse, sondern der solidarischen Gesellschaft und der auf ihr aufbauenden Demokratie galt der Krieg. Und die Demokratie ist anscheinend dabei, ihn zu verlieren.

      2 Wer trägt die Lasten: Kapital oder Arbeit?

      Die Erwerbsarbeit – Vom Schützling zum

      Opferlamm des Sozialsystems

      Dass die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen gestiegen sind, ist weder verwunderlich noch zu bedauern. Im Gegenteil, in dieser Zunahme zeigt sich der Weg aus der Armut der Nachkriegszeit in eine Wohlstandsgesellschaft.

      Aber warum brachen die Nettorealeinkommen der abhängig Beschäftigten derartig ab, sanken noch weit unter die »natürlich« abgehängten Bruttoeinkommen, die der Markt diktiert hatte? Die erste Antwort führt auf einen fast unglaublichen Fehler unserer Republik:

      Die gepunktete Linie der Bruttoeinkommen in Grafik C (gelbe Linie auf dem Lesezeichen) weist aus, wie der Faktor Arbeit durch Weltmarkt und technische Entwicklung geschwächt wurde. Doch statt zu versuchen, diese Schwächung durch Steuern oder andere Abgaben abzufedern, wurde die Arbeit auch noch mehr und mehr mit den Sozialkosten beladen. Heute liegt die gesamte Last des sozialen Sicherungssystems fast ausschließlich auf dem Faktor Arbeit. Zu diesen Soziallasten kam dann noch die Integration der »fünf neuen Länder«.59

      Das Ergebnis: Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile, die zusammen mehr als 40%60 der Netto-Arbeitskosten betragen, verteuern die legal eingekaufte Arbeitsstunde um mindestens 40%.

      Miegel:

      »Eine Gesellschaft, welche die Arbeitsflotte mit Soziallasten überfrachtet, muss damit rechnen, dass das eine oder andere Boot untergeht. Deshalb gleicht ihr Jammern über die Arbeitslosigkeit dem Jammern eines Kettenrauchers über seine morgendlichen Hustenanfälle.«61

      Aber damit nicht genug: Auch die Steuern wurden sukzessive auf die Arbeitnehmer verlagert.

      Die Verschiebung der Steuerlast auf die Arbeit

      in der neoliberalistischen Phase

      Sinkende Einkommen, aber steigende Steueranteile am Sozialprodukt der Lohnabhängigen einerseits, steigende Einkommen und sinkende Steuerquoten für Einkommen und Unternehmen andererseits sind für das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts typisch.

      Seit 1975 hat sich der Anteil der Einkommens- und Körperschaftssteuer am Sozialprodukt etwa halbiert – wobei das Jahr 2001 mit seiner negativen Körperschaftssteuer noch nicht einmal berücksichtigt ist. Andererseits hat sich der Anteil der Lohnsteuer am Sozialprodukt vervierfacht. Der Wendepunkt findet sich um 1970. Steigende Steuerquoten der Lohnabhängigen und sinkende Steuerquoten für Einkommen und Unternehmen sind so mit dem immer weiter abnehmenden Wachstum des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts korreliert. Die These vom steigenden Wachstum durch Senken der Unternehmens- und Einkommensteuer kann auf diese Daten wirklich nicht gestützt werden.62

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      Bis etwa 1970 betrugen die Steuern auf Unternehmen etwa vier Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) oder mehr. Heute liegen sie bei etwa zwei Prozent. Lägen sie immer noch bei vier Prozent des Bruttosozialprodukts, wären die Steuereinnahmen aus diesen Quellen im Jahre 2000 um 80 Mrd. DM höher gewesen.63 Eine Krise der öffentlichen Hand wäre noch nicht eingetreten.

      Die Bundesrepublik steht mit dieser Fehlentwicklung nicht allein.

      »Die EU-Kommission führt den Steuerwettbewerb als wesentlichen Grund dafür an, dass die Arbeitnehmer in der EU im Jahre 1995 im Schnitt um 20% stärker belastet waren als im Jahre 1981, die Selbstständigen und Unternehmen dagegen um 22% geringer. Zum einen können sich Unternehmen dem heimischen Finanzamt über die Grenze hinweg entziehen. Zum anderen haben so gut wie alle EU-Länder die Steuern auf Unternehmensgewinne gesenkt, um die Betriebe im Land zu halten. Als Ausgleich trieben die Finanzminister die Lohnsteuern hinauf.«64

      Ob man es glaubt oder nicht: Zur Steuerflucht brauchen die großen Unternehmen noch nicht