Bauern, Land. Uta Ruge

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Название Bauern, Land
Автор произведения Uta Ruge
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783956144165



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noch fester Boden war und ab wann man gleich schon durch das Gebüsch mitsamt den abbrechenden Grassoden ins Wasser rutschen würde.

      Vor allem unsere Mutter müssen die vielen Gräben geängstigt haben. Kleine Kinder konnten leicht hineinfallen und vom tiefschwarzen Wasser verschlungen werden, ohne dass es einer bemerkte.

      Neben der Brücke über die Wettern gab es unten am Wasser eine flache Stelle, wo offenbar durch viele Fuhren Sand eine Zugangsstelle entstanden war. Unser Vater trug oder fuhr die diversen Geräte und Wagen dort nahe heran, holte mit einem Eimer braunes, mooriges Wasser aus der Wettern und übergoss, was zu säubern war, schrubbte mit dem Besen und spülte eimerweise nach. Ich staunte jedes Mal, dass der Mist- und der Düngerstreuer, dass die Schaufeln, Spaten und Hacken nach dem Waschen mit so einem schwarzen Wasser wirklich sauberer waren und sogar glänzen konnten, und die eisernen Gitterräder, die manchmal zur Verdoppelung der Radfläche an die großen Hinterräder des Treckers geschraubt wurden, zeigten dann Spuren ihrer ursprünglichen Rotlackierung.

      Bei Regenwetter war der kleine matschige Strand völlig aufgeweicht. So oder so diente er unseren Entenmüttern als Zugang, wenn sie im Frühjahr ihre frisch ausgebrüteten Küken zum Wasser führten. Und wir Kinder spielten dort gerne mit Matsch und Wasser – obwohl es an Matsch und Wasser an keiner Stelle des Hofes fehlte. Da setzten wir dann kleine Boote aus Baumrinde oder auch Löwenzahnkränze aufs Wasser, sahen sie wegschwimmen und versinken.

      In den ersten Jahren existierte noch ein weiteres Spiel. In den Wettern lagen nämlich Baumstämme, die als Bauholz zum Härten gewässert wurden. Die Stämme waren entastet, besaßen aber noch ihre Rinde, auf deren mal trocken-bröckeliger, mal glitschig-nasser Oberfläche wir entlangbalancierten, barfuß, in Schuhen oder Gummistiefeln. Oft lagen mehrere Stämme so dicht nebeneinander, dass sie sich nicht rührten, wenn wir auf ihnen entlangspazierten. Manchmal aber drehte sich auch ein Stamm um seine eigene Achse und ein Kinderfuß konnte da leicht abrutschen oder das ganze Bein zwischen den Stämmen im moorigen Nass verschwinden. Wenn einer von uns dann ›einen nassen Fuß‹ bekommen hatte und auf Nachfragen, wie das passiert war, mit der Wahrheit rausrückte, stellte unsere Mutter uns aufgebracht vor Augen, dass man auf diese Weise zwischen den Stämmen abrutschen könnte und sich nicht ohne Weiteres selbst befreien, weil das schwere Holz der Stämme sich über dem versunkenen Kind wieder nebeneinanderlegen würde. Das jagte uns wirklich einen mächtigen Schrecken ein. Beim nächsten Mal war das Balancieren dann umso aufregender. Aber wenn wir einen Erwachsenen kommen sahen, sprangen wir doch lieber ganz schnell ans Ufer und taten harmlos.

      Das Schönste aber war, wenn die Wettern im Winter zugefroren war. Als kleine Kinder fuhren wir dann mit Schlittschuhen auf dem Eis das ganze Dorf entlang. Die Brücken zu den Höfen, unter denen wir dann gebückt hindurchkriechen mussten, machten die Sache noch etwas spannender. Denn dort unten war das Eis nicht ganz so dick gefroren und überhaupt war man hier den brüchigen Rändern näher. Mit den Absätzen der Schuhe oder den scharfen Kanten der Schlittschuhe testeten wir an den kristallinen Eisrändern, ob es wohl brechen würde. Wir zogen dann, ein kleines Rudel von Dorfkindern, die nach der Schule Schlittschuh liefen, auf den Wettern durch das ganze Dorf und zurück. Und die Großen fuhren noch weiter über das Kanalsystem in die Weiten uns unbekannter Felder zu einem See, von dem es dann hieß, er sei gänzlich zugefroren, und dort gebe es eine schneefreie Eisfläche, auf der man wirklich lossausen konnte.

      Gingen wir nur deshalb nicht mit, weil die Großen uns klarmachten, dass sie keine Lust hatten, auf die Kleinen aufzupassen? War es uns ausdrücklich verboten worden? Oder fürchteten wir, in der früh einbrechenden Dunkelheit auf den weiten, unbekannten Wiesen und Kanälen und auf uns selbst angewiesen nicht mehr nach Hause zu finden? Vielleicht war es auch, dass wir spätestens zum Viehbesorgen zu Hause sein mussten.

      Fünf Uhr, das war immer schon der Auftakt zur letzten Runde des Tages. Für die Frauen und Kinder hieß es, die Milchkannen waschen, melken, die Kälber tränken, Enten und Hühner für die Nacht einsperren und mit Wasser und Futter versorgen. Das Füttern der Kühe und Ausmisten der Ställe besorgten die Männer.

      5. KAPITEL

      18. JAHRHUNDERT

       Was Goethe über Bauern denkt und warum über die englische Landwirtschaft ein Buch geschrieben werden musste. Ein Arzt aus Celle wird Musterlandwirt.

      »SO STIEG ICH DURCH ALLE STÄNDE AUFWÄRTS«, schrieb Goethe 1780 an einen Freund, »sehe den Bauersmann der Erde das Nötigste abfordern, das doch auch ein behägliches Auskommen wäre, wenn er nur für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse auf den Rosenzweigen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern. Und so geht’s weiter, und wir haben es so weit gebracht, dass oben immer in einem Tag mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann.«

      Goethe war als Minister selbst Teil der oberen Stände. Er kannte aus eigener Anschauung das luxuriöse Leben der Adeligen am Hofe, gehörte sozusagen selbst zu denen, die den Blattläusen, also den Bauern, den Saft abzapften.

      Diesen Brief schreibt er von einer Reise zu Pferde, die er gemeinsam mit dem Briten George Batty unternommen hat, den man in Weimar als »Landkommissar für Bodenverbesserung« gewonnen hatte. Jetzt besichtigte Goethe mit ihm die »kunstreichen Bewässerungsanlagen für die Wiesen im Eisenacher Oberland«, die seit dem Frühjahr 1780 angelegt worden waren.

      Goethe hatte ein scharfes Auge für die Lebensverhältnisse der Leute. Es gibt von ihm aus diesem Jahr eine kleine Zeichnung, auf der er »Bauernhütten« skizziert hat. Wie viele Gebildete, die mit Papier und Stift umgehen konnten, zeichnete er, was er sah – so wie man später Fotos machte. Es existieren viele schnelle Skizzen von ihm, hier von niedrigen, schiefen Hütten mit zerfetzten Strohdächern, zu einem seitlichen Verschlag führt die Hühnerleiter empor, ein paar Balken an der Seite zeigen einen Brunnen an – eine Kate, wie sie Modell gestanden haben könnte für die bald entstehenden Hütten unseres Dorfs.

      Goethes Besichtigung der Bewässerungsanlagen und seine Bemerkungen zeigen, dass das Thema der Bodenverbesserung, der Melioration und auch eine gewisse Nachdenklichkeit in Sachen Bauernstand im Zeitgeist der Aufklärung lagen. Dabei kamen viele der neuen Boden-, Pflanzen- und Tierzuchtexperten aus Britannien. Denn nicht nur in Sachen Industrialisierung wurde England zum fortgeschrittensten Land der Welt. Im späten 18. Jahrhundert war bereits die technische Entwicklung im Bereich der Landwirtschaft europäisches Vorbild. Der britische König Georg III. – der, wie wir wissen, gleichzeitig Kurfürst von Hannover war – förderte begeistert landwirtschaftliche Experimente auf seinen Gütern, man nannte ihn auch spöttisch Farmer George. 1783 wird in London von der Society of Arts von dreiundachtzig neuen Erfindungen und Entwicklungen berichtet – alleine dreiundsechzig von ihnen hatten in der Landwirtschaft stattgefunden, darunter waren Sämaschinen für Bohnen, Weizen und Runkelrüben, Pflüge mit neuartigen Scharen, Kombinationen von Pflug und Sämaschine, Strohschneide-, Dresch- und Spreumaschinen.

      An dieser Stelle muss man auf Albrecht Daniel Thaer1 zu sprechen kommen – und auf die Missstände im Landbau, die er vorfand. Fünf Jahre schrieb der Untertan des hannoverschen Kurfürsten an seinem Buch mit dem barocken Titel »Einleithung zur Kenntniß der englischen Landwirthschaft und ihrer neueren practischen und theoretischen Fortschritte in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirthschaft für denkende Landwirthe und Cameralisten«. Cameralisten wurden jene Beamten genannt, die sich mit den Finanzen eines Landes befassten. Albrecht Daniel Thaer, 1752 in Celle geboren, war zunächst nur ein erfolgreicher Arzt, der sich leidenschaftlich mit Pflanzenzucht beschäftigte – aber immerhin einer, der alles aufschrieb, was er unternahm und beobachtete. Als Mitglied der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft von Celle profitierte er vom regen Wissenstransfer zwischen London und Hannover. Seine ärztlichen Honorare und staatlichen Gehälter ermöglichten ihm, sein kleines Gut vor den Toren der Stadt zu einer viel besuchten Musterwirtschaft auszubauen, um deren praktische Seite – Aussaat, Ernte und Milchwirtschaft – sich sechs Knechte und Mägde kümmerten. 1797 wurde Thaer korrespondierendes Mitglied des »Board of Agriculture« in London, und sein erstes bahnbrechendes Buch führte zu vielerlei Bekanntschaften mit landwirtschaftlichen