Bauern, Land. Uta Ruge

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Название Bauern, Land
Автор произведения Uta Ruge
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783956144165



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er den Kopf geschüttelt, ist aufgestanden, hat seiner Frau gesagt, auf welchem Feld er jetzt arbeiten und wann er zum Mittagessen zurück sein wird, hat im Gehen sein Handy auf Nachrichten überprüft, im Flur seine Stiefel angezogen und weg war er. Mit ihm ist auch mein Neffe Hannes aufgestanden und hinausgegangen.

      Als ich noch ein Kind war, endeten Gespräche bei uns auch schon so. Dass unser Vater aufstand und zurück an die Arbeit ging, in den Stall oder aufs Feld.

      Reden nützt sowieso nichts, war Teil der Botschaft. Der andere Teil war, dass die Arbeit nicht von allein fertig wird, und dass man, je eher man anfing, desto eher mit ihr fertig sein würde. Obwohl die Arbeit eigentlich nie fertig wurde. Aber darüber konnte und wollte keiner nachdenken. Das hätte ja auch nichts genützt.

      Mit meiner Schwägerin räumte ich den Frühstückstisch ab. Sie fuhr mich zum Bahnhof und ich kehrte zurück in die Stadt.

      2. KAPITEL

      DAMALS

       Warum ein Bauer aus der Stadt einen Hofsuchte. Ankunft am Ende der Welt. Das Gesetz der Moorbauern.

      MEIN VATER HAT EINE ERKUNDUNGSFAHRT GEMACHT, fuhr mit dem Zug vom Niederrhein nach Norden, in den 1950er-Jahren. Es ist eine Fahrt, bei der man lange vor der Ankunft denkt, man müsste gleich schon die Küste erreicht haben. Denn die Flachheit des Landes scheint immer dringlicher in etwas anderes überzugehen, das Grün der Felder sich in die Bläue des Meeres verwandeln zu wollen, der weite Himmel sich schon über ein großes Wasser zu erstrecken.

      Ob er schon vorbeigefahren ist an der kleinen Bahnstation, hat er sich vielleicht gefragt. Und wenn er ein echter Reisender gewesen wäre, hätte er sich dann in dem Hafenstädtchen am Ende der Strecke einen Imbiss gesucht, frischen Fisch gegessen, aufs Meer geblickt, zu den Möwen hochgesehen und die Seeluft geatmet und dabei vielleicht ein Stück Zuhause empfunden? Denn er war einmal an der Ostsee zu Hause gewesen. Hier wäre es ohnehin nur die Nordsee gewesen und er war kein Reisender. Er war ein Bauer ohne Hof, der wieder ein Bauer mit Hof sein wollte und möglichst nahe am Meer. Er hatte die Bahnstation noch nicht verpasst. An den Zugfenstern zogen die Roggen-, Hafer- und Gerstenfelder vorüber, wurden immer mehr zu Wiesen und Weiden, auf denen Kühe, Pferde und Schafe grasten. Um die tief geduckten strohgedeckten Bauernhäuser mit ihren Ställen und Scheunen standen Erlen und Eichen, nebenan auf einer Wiese Apfel-, Birn- und Pflaumenbäume, vielleicht war auch einmal ein Kirschbaum dabei. Dazu passend große Scharen weißer Gänse, die mit ruckenden Bewegungen Gras rupften, Pferdeweiden in Sichtweite des Hauses, Schweine, die um die Ställe herum im Boden wühlten. Männer und Frauen und Kinder fuhren mit Treckern oder Pferden von den Höfen auf die Felder.

      Inmitten der Felder einsame Baumgruppen, deren Kronen zu einem Schopf zusammengewachsen schienen, durch stetigen Wind ostwärts gekämmt. Vielleicht konnte mein Vater sogar vom Zug aus sehen, dass die Baumstämme auf der Wetterseite von dem dort anhaftenden Schleier aus Moosen und Flechten grün waren. Die Kopfweiden entlang der Gräben stehen seltsam still – als wären sie Menschen, die sich plötzlich in Bewegung setzen könnten.

      Immer wieder tief liegende Gräben, viele schmal, einige sehr breit, grenzen sie die Höfe und Felder voneinander ab. Manchmal kann man die Höfe nur ahnen durch die an ihren Rändern wachsenden dichten Erlen oder Eichen. Die Felder liegen hier weit unterhalb des Straßenniveaus und erst recht unter dem der Bahntrasse. Sodass man als Betrachter über alles hinwegsehen, hinwegsegeln oder -schweben könnte.

      Aber genau das konnte mein Vater nicht. Er musste sich, im Gegenteil, alles sehr genau ansehen und zu Hause berichten. Und eine Entscheidung treffen.

      Dann war er endlich doch im Dorf angekommen, dem Dorf mit der schnurgeraden Straße, an der fast zwanzig gleich große Hofstellen lagen, in dem keine Kirche, aber eine Schule, ein Gasthaus und ein eigener Friedhof existierten. Der Makler hatte ihn vom Bahnhof abgeholt. Einer der Höfe steht zum Verkauf, der Hoferbe war im Krieg gefallen. Er ist heruntergekommen und billig zu haben, aber auch das Billige ging für meine Eltern nur mit einem staatlichen Kredit.

      Immerhin gibt es eine Straße. Der Schotterweg, den sie ersetzt und der bei Regenwetter für Mensch und Vieh kaum zu begehen war, ist seit einem halben Jahr Vergangenheit. In den Gräben und Kanälen liegt manchmal noch ein flacher, breiter Kahn. Mein Vater lässt sich erklären, dass damit die Milch zur Molkerei und, wenn es schlimm kam, selbst die Bullen zum Verkauf und die Särge zum Friedhof gebracht werden mussten.

      Die neue Straße ist auf eine hochgeschüttete Sandschneise gesetzt, große Betonplatten sind aneinandergelegt und mit schmalen Teerstreifen verbunden worden. Schnurgerade zieht sie sich zur Wettern hin, dem breiten Hauptgraben aus der Anfangszeit der Moorkolonisation. Dass ein Graben so heißt, bedeutet etwas. ›Wetter‹, das ist, wenn Regen die Felder und Weiden und Wege durchnässt und tagelang nicht aufhört, wenn starke Winde die Wolken von der Nordsee her in die Elbmündung und weiter ins flache Land treiben. Die Wettern sind Auffangbecken für das ständige Zuviel an Wasser.

      Es ist Mai, als wir ankommen. Mein Vater ist wieder vorgefahren und empfängt uns, seine drei kleinen Kinder, Frau und Schwiegermutter. Eine lange Bahnfahrt, vorher das Packen und Einladen der wenigen Möbel aus einem dreijährigen Leben in der Stadt, einem Leben in der kleinen Mietwohnung eines Chemiehilfsarbeiters, als der mein Vater damals im Einwohnermeldeamt der niederrheinischen Stadt geführt wurde. Seinem eigenen Verständnis nach war er Bauer, einer von jenen, die den ›Arbeiter- und Bauernstaat‹ verließen und über die innerdeutsche Grenze gegangen sind, weil ein Leben als Landwirt nach der Kollektivierung, wie er fand, dort nicht mehr möglich sein würde. Rügens Schönheit würde er sein Leben lang vermissen, mehr noch den schweren Ackerboden, den er von zu Hause gewöhnt war. Auf dem hatte man Weizen und Zuckerrüben anbauen können und Kühe fast nur wie nebenbei gehalten. Es war ein großer Hof, von dem er stammte, aber noch bevor er sein Erbe antreten konnte, war die Familie 1945 enteignet worden. In der Stadt am Niederrhein wollte man ihm dann nicht einmal mehr ein Fahrrad auf Kredit verkaufen. Das verblüffte ihn mehr, als dass es ihn ärgerte. Jetzt, in diesem Dorf an der Niederelbe, kommt es für ihn und seine Frau wieder auf etwas an. Sich als Bauern zu beweisen – im Moor, ohne gutes Ackerland, auf Grünland, in der Milchwirtschaft.

      Die Familienerzählung berichtet vom Einzug. Meine eigene Erinnerung bringt nur eine Schubkarre voller kleiner Katzen hervor, ein unglaublicher Anblick für das vierjährige Stadtkind, dieses Kribbelkrabbel von getigerten, schwarz-weißen Fellchen mit niedlichen Mäulchen, aus denen es allerdings erschreckend spuckt, als ich sie anfassen möchte, und aus deren Pfötchen sehr spitze Krallen fahren. Überliefert ist, dass der erste Schritt meiner Mutter in die Wohnstube des Hauses begleitet wird von einem gefährlichen Knacken des Holzfußbodens, der dann beim zweiten oder dritten Schritt tatsächlich durchgebrochen ist – und meine Mutter hat natürlich das Gleichgewicht verloren, als der eine Fuß durch den morschen Boden im Nichts verschwand.

      Feuchtigkeit, marode Mauern, Moder und Schimmel beherrschten das Haus – an dem von Anfang an bis heute immer wieder herumgebaut und -gebessert worden ist.

      Der Anfang war im Mai 1957.

      Wenn die Sonne schien, war es schön hier im Moor. Im Frühling wurden die Tage länger. Vor allem aber hatten wir Kinder, die wir an eine Zweizimmer-Neubauwohnung in der Stadt und einen Vater im Schichtdienst gewöhnt waren, plötzlich sehr viel Platz. Nicht mehr die Wohnung zählte, das Drinnen, sondern das Draußen, der Hof, die Scheune, der Stall.

      Allerdings löste sich in dem winzigen Kinderzimmer, das keinen Ofen hatte und in dem ich mit meinen beiden Geschwistern schlief, vor Feuchtigkeit bald die Tapete von den Wänden. Es machte uns ein gewisses Vergnügen, in die von der Wand abstehenden Blasen zu stechen und an den dadurch entstehenden Fetzen noch ein wenig zu ziehen. Unter den sich verengenden oder verbreiternden Spuren der reißenden Tapete kamen viele Lagen Farbe und manchmal Muster zum Vorschein, die noch mit Rollen direkt auf die Wände gemalt worden sind.

      Unsere Verwandtschaft fand, dass wir hier am