Bauern, Land. Uta Ruge

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Название Bauern, Land
Автор произведения Uta Ruge
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783956144165



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alle anderen auch, angelockt hat – auch wenn die Höfe nur Meyerstellen waren, Höfe in Erbpacht. Vielleicht sind seine Eltern und ein unverheirateter Bruder mit ihm auf die Meyerstelle gegangen. Tatsächlich tauchte 1792 ein weiterer Lafrenz in der Chronik auf, ein Claus Lafrenz übernimmt die Hofstelle uns zur Linken, die später Onkel Edu gehören wird.

      Im Frühjahr begannen dann die Feuer. Zuerst wurden Heide, Gras und Strauchwerk abgeschlagen, dann mit Spaten und Hacken große Soden gestochen, sogenannte Plaggen. Die Plaggen häufte man auf und steckte sie in Brand, dabei musste man aufpassen, dass sich das Feuer nicht tief in die Erde einbrannte, weil das Moor sonst tage- und wochenlang gebrannt hätte. So oder so verschwand die Gegend wochenlang in Rauch.

      Im nächsten Schritt wurde die Asche eingesammelt und als Dünger* gestreut, darauf dann die erste Saat ausgebracht. Meist konnte nur Buchweizen gesät werden, der auch auf armen Böden wächst und schnell zur Reife kommt.

      Im Sommer haben dann vielleicht die weiß blühenden Felder einmal einen Anblick ergeben, der träumen ließ von zukünftigen Feldern, die diese Benennung wirklich verdienten. Sie haben zumindest den Kindern eine kleine Helligkeit ins Herz gezaubert – wenn nicht das Ganze schon im August von endlosen Regentagen und dem ansteigenden Wasser der Wettern und aller anderen Gräben überschwemmt auf dem Halm verfaulte und verschimmelte. Mager wird die Ernte so oder so gewesen sein. Aber ein halber Sack mehr oder weniger Buchweizengrütze für den morgendlichen Brei im Winter oder ein paar Pfund Buchweizenmehl mehr für den Festtagspfannkuchen war für manche Familie womöglich schon der Unterschied zwischen einfachem Hungern und Verhungern.

      Vorstellen muss man sich die Mooranbauer noch elender als die legendär armen Geestbauern*, die auf Sand ackerten, bis dahin hier der magerste Boden. Die Kinder der Moorbauern starben in noch höherer Zahl – die Säuglinge schon wegen der nie trocknenden Wäsche und der schlechten Ernährung ihrer Mütter. Noch hundert Jahre später schrieb der Dichter Rainer Maria Rilke über die Moorbauern: »Das Lächeln der Mütter geht nicht auf die Söhne über, weil die Mütter nie gelächelt haben.«

      Während der Rauch über die Moore zog und die Menschen sich in ihre ersten Behausungen einlebten, versuchten die Behörden immer wieder, einen Überblick zu erlangen über die Landwirtschaft und wie sie zu verbessern wäre. Im Verlauf der Moorkolonisation wuchsen die Aktenberge, und für das platte Land entstand so etwas wie eine staatliche Verwaltung. Das Thema Landwirtschaft schob sich dabei langsam ins Zentrum des Politikmachens. Es ging um Entwässerungs- und schiffbare Gräben für den Transport von Produkten, vor allem den Torf, um gute Obstbäume und neue Sämereien, fieberhaft wurde nach der besten Düngung eines Ackers gesucht.

      Wann und durch welche Düngung wird ein Acker für welche Frucht besonders gut vorbereitet? Welcher Mist – von Geflügel, Schweinen, Rindern oder Pferden – hilft bei welchen Ackerfrüchten am besten und zu welchem Zeitpunkt? Und was soll geschehen, wenn kein Vieh und damit kein Mist vorhanden sind?

      Die erste Düngung im Moor war die Asche des Abbrennens – aber nach acht Jahren, so hieß es, funktionierte das nicht mehr. Als gute Düngemethode ohne Mist galt lange Zeit auch das Mergeln, also das Ausstreuen eines pulverisierten, kalkhaltigen und porösen Gesteins, des Mergels. Tatsächlich führte das in Feuchtgebieten zunächst zur Entsäuerung und Festigung des Bodens. Aber auch hier war nach ein paar Jahren der Boden ›ausgemergelt‹, das heißt, er war am Ende besonders stark ausgelaugt worden, weil er ohne jede wirkliche Zufuhr von Nährstoffen geblieben war.

      Die Bauern hatten das bald begriffen. »Mergel macht den Vater reich und den Sohn arm«, sagten sie. Aber in der frühen Beratungs- und Erfahrungsliteratur war noch lange vom Vorteil des Mergels die Rede. Und wenn wir schon vom Düngen ohne Mist sprechen, muss auch der Klee-Pionier Johann Christian Schubart2 Erwähnung finden, der sich als Propagandist des Rotkleeanbaus auf der Brache einen Namen gemacht hat. Denn damit war, wenn auch noch unverstanden, die Verbesserung des Ackerbodens durch Stickstoffbildung verbunden. 1784 wurde Schubart, Sohn eines Webers und Tuchmachers aus Zeitz, von Kaiser Joseph II. in den Adelsstand erhoben und hieß von nun an »Edler von dem Kleefelde«.

      Was die Bodenchemie anging, machte zwanzig Jahre später in London ein deutscher Apotheker Furore, der ein tragbares Labor entwickelte, mit dessen Hilfe er Boden- und Gesteinsproben direkt auf dem Acker auswerten konnte. Allerdings fehlte es noch an Wissen, um seine Resultate umfassend zu interpretieren und neue Arten der Fruchtbarmachung zu entwickeln. In diesem Bereich wird erst Justus Liebig3 später Abhilfe schaffen – und neue Probleme in der Agrarwirtschaft verursachen.

      Als Thaer sein Mustergut in Celle bewirtschaftete, reiste, schrieb, die »Annalen« publizierte und noch lange als Arzt praktizierte, entfaltete sich zwei Jahre lang eine landwirtschaftliche Korrespondenz mit einer leidenschaftlichen Landwirtin, Henriette Charlotte von Itzenplitz.4 Am Ende führte diese Beziehung zum Umzug Thaers nach Preußen in die Nachbarschaft aufgeklärter Gutsbesitzer. Ein aus dem stagnierenden Hannover schon früher ausgewanderter Niedersachse, Graf von Hardenberg, verschaffte ihm bald eine Einladung des preußischen Königs, Repräsentant des zu diesem Zeitpunkt weit fortschrittlicheren Landes. Über solche Verbindungen kam Thaer zu seinem nächsten Gut in Möglin, in Brandenburg zwischen Berlin und Oder gelegen, zu staatlichen Ämtern und Gehältern. Über Wilhelm von Humboldt ergab sich eine Professur an der neu gegründeten Universität von Berlin. So besetzte Thaer den ersten universitären Lehrstuhl für Landwirtschaft in den deutschsprachigen Ländern.

      7. KAPITEL

      DAMALS

       Als meine Mutter versuchte, ein Beet anzulegen.

      ES WAR IN EINEM DER ERSTEN JAHRE IM DORF. Mit großer Kraft stieß meine Mutter die Grabegabel mit den fünf scharfen, flachen Zinken in den Boden. Ein Spaten hätte hier nichts genutzt, er wäre zu schnell stumpf geworden, so viele Steine und Scherben lagen verborgen unter dem im Frühjahr struppigen, verfilzten Gras. Sie setzte ihren rechten Fuß auf, wie man es auch mit dem Spaten macht, trat die Zinken tief in die Erde ein und hebelte eine Grassode hoch, bückte sich, um die Sode abzunehmen, griff sich das Gras und schlug es kräftig gegen das gezinkte Eisen. Die Erde fiel in Brocken oder im Ganzen ab, sodass meine Mutter nur noch das Grasbüschel in der Hand hatte wie einen Haarschopf ohne Kopf. Das warf sie beiseite auf einen wachsenden Haufen, setzte wieder an, grub die nächste Sode aus, bückte sich wieder, packte das Gras und schlug wieder die Erde ab, um ein Beet zur Einsaat vorzubereiten.

      Wir arbeiteten am hinteren Giebel des Hauses, der über dieses kleine Stück wilden Rasens zum Buschhof hinaussieht. Der Buschhof ist ein schmaler Streifen Wald aus Eichen und Birken, Holunder und Brombeeren. Er zieht sich hinter dem ganzen Dorf entlang als Schutz für Haus, Mensch und Tier gegen die ständigen, starken Westwinde. Erst hinter Busch und Bäumen begannen die Weiden, zuerst die quer liegende Kälberweide, daran anschließend die Kuhweiden, genannt Unterster, Mittelster und Oberster Kamp. Sie waren durchzogen von schmalen, schnurgeraden Gräben, Grüppen genannt. Stacheldrahtzäune und breite Quergräben grenzten sie zusätzlich voneinander ab. An den Weidenrändern standen Birken, Erlen und Ebereschen.

      Ich musste die Queckenwurzeln aufsammeln, damit dieses äußerst widerständige Gras aus den Beeten fernbleibt. Die Wurzeln sind weiße harte Bänder im aufgegrabenen Boden, manchmal durchtrennt und gerissen, nur kurze Stücke. Aber oft griff ich eine Queckenwurzel und zog daran, und ihre Fortsetzung führte tief in die schon umgegrabene, tiefschwarze Erde oder auch unter dem noch nicht Umbrochenen weiter. Viele Meter lang kann so eine Wurzel sein. Und sie ist zäh. Es ist nicht leicht, sie abzureißen, und wenn ich es schaffte, warf ich sie auf den Haufen, der sich aus den Grasschöpfen schon gebildet hat.

      Meine Mutter arbeitete angestrengt. Stumm und verbissen ging sie zu Werk. Griff mit schwarzen Händen in die Erde, fischte zerbrochene Ziegel und Scherben heraus.

      Jemand, der vor uns auf dem Hof gelebt hat, musste ausgerechnet hier, wo meine Mutter Kartoffeln pflanzen wollte, viele Schubkarren Steine abgeladen, zerschlagen, eingeebnet haben, vielleicht Steine aus einem abgebrochenen Stall, der einmal auf dem Hof gestanden hatte, dazu Scherben und kaputte Fußbodenkacheln, Teller, Schüsseln – alles, was dem weichen und alles verschluckenden Moorboden etwas Festigkeit