Bauern, Land. Uta Ruge

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Название Bauern, Land
Автор произведения Uta Ruge
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783956144165



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das andere kläglich blökt. Aus dem Weg gehen sie ihnen nur, wenn sie bei ihnen zu saugen versuchen.

      Der größte Bereich im Stall ist der, in dem die ›melkenden Kühe‹ sind, wiederum aufgeteilt in den Bereich, in dem die ›Roboterherde‹ ist, und in den größeren, in dem noch konventionell gemolken wird. Denn ein Roboter schafft, wie gesagt, nur sechzig bis siebzig Kühe – einen zweiten Melkroboter wird man sich erst in ein paar Jahren leisten können. Die konventionell gemolkenen Kühe werden morgens und abends in einen abtrennbaren Bereich direkt vor dem Melkstand getrieben. Hinter ihnen schließt sich wiederum ein Gatter, sodass die noch ungemolkenen getrennt bleiben von denen, die nach dem Melken zurückkehren in den Stall.

      Ich gehe an Hund und Katzen vorbei zum Melkstand, klettere in die Melkergrube zu Waldemar und Anna. Rechts und links von ihnen stehen je vier Kühe auf Schulterhöhe, von Gestängen an ihrem Platz gehalten. Sie legen ihnen die Melkgeschirre an, tragen dabei Handschuhe, schützen sich und die Tiere vor Keimen. Mich nehmen sie sozusagen nur aus den Augenwinkeln wahr und ich muss sehen, dass ich ihnen nicht im Weg stehe.

      Aus der Gruppe der noch ungemolkenen Kühe kommen durch Schiebetüren die nächsten herein, wenn eine Kuh fertig ist. Türen und Gestänggatter werden vom Melkstand aus von Seilen bedient, teils gehen sie automatisch. Die nächste Kuh wird durch das hier herrschende System sich öffnender und schließender Gatter auf ihren Platz geleitet, kommt an, und gleich wird ihr Euter, wie gesagt, auf Schulterhöhe der Melkenden, besprüht, gewischt, mit ein paar Handgriffen angemolken und die Zitzenbecher angelegt.

      Wenn einmal nicht gleich die nächste Kuh nach dem Öffnen der Melkstandtür den Melkstand betritt, steigt mein Bruder oder seine Frau eine Metalltreppe hoch, gehen durch eine schmale Tür zu den ungemolkenen Kühen und treiben nach. Da sind die Neuen oder die Scheuen oder diejenigen, die zu oft von hierarchiehöheren Kühen abgedrängt worden sind. Schnell und dabei doch ruhig gehen sie dann zurück in die Grube und prüfen, welche der acht gleichzeitig gemolkenen Kühe jetzt so weit ist, dass ihr das Geschirr abgenommen werden kann – sehen währenddessen darauf, ob die vier zwischen Becher und Schlauch gesetzten Gläschen anzeigen, dass auch wirklich jedes Euterviertel ausgemolken ist, und prüfen aus dem Augenwinkel die digitale Anzeige der Milchmenge. Es gibt Kühe, die ihre Milch ›verhalten‹, vielleicht weil sie krank sind oder brünstig oder aus irgendeinem anderen Grund. Kühe sind empfindliche Tiere und man muss so einiges im Auge behalten, besonders bei einer großen Herde, in der es dann beim Melken ein paar Minuten Zeit gibt, um jede einzeln in Augenschein zu nehmen.

      Ich registriere das Sich-nicht-mehr-bücken-Müssen, die-Milch-nicht-mehr-tragen-Müssen. Früher haben wir auf einem Melkschemel dicht an der Kuh gesessen, den Kopf in ihre Flanke gestützt, Hände am Euter oder am Milchgeschirr der Kuh, die angekettet im Stall stand – im Winter standen sie fünf oder sechs Monate am selben Fleck. Wenn die Kuh ausgemolken war und wir den Deckel mit dem Pulsator, der den rhythmisch pulsierenden Sog für das Melken produzierte, auf einen zweiten Eimer gesetzt, die nächste Kuh per Hand angemolken und ihr das Sauggeschirr angelegt hatten, griffen wir den vollen Eimer und eilten mit der Milch durch den Mistgang zur Milchkammer, hoben den Eimer hoch, schütteten die Milch durch ein Sieb in die Kanne, eilten zurück, passten auf, im Gang nicht in der Jauche auszurutschen. Und immer so weiter, bis die zehn, später zwanzig und dreißig Kühe ausgemolken waren.

      Jetzt wird die Milch direkt vom Euter durch ein Rohrsystem zum Tank geführt. Es herrscht große Sorgfalt im Schutz gegen Bakterien. Am Ende des Melkvorgangs wird das Euter wieder mit einer desinfizierenden Lösung besprüht. Dann öffnet Waldemar per Seilzug das vordere Gatter des Stands, während sich schon das hintere Gatter öffnet, um die nächste einzulassen. Wie mein Bruder und seine Frau hin- und hergehen in der Grube – und ich sie möglichst nicht störe –, ihr Alles-im-Blick-Haben, ihre Handbewegungen, das ist schnell, effizient, tänzerisch elegant trotz der Störungen. Eine Kuh schlägt das Geschirr mehrmals ab, bei einer anderen Kuh hängt das Geschirr zu tief und muss abgestützt werden, genau in diesem Moment aber rutscht das stützende Holz- oder Plastikstück heraus und das Geschirr fällt zu Boden, die nervöse Kuh tritt darauf. Da bewährt sich, was alle, die mit Tieren arbeiten, gelernt haben: Abstand halten, langsame Bewegungen, eine ruhige Stimme, klare Gesten des Beruhigens oder Leitens. Es ist, als ob sich das gemächliche Tempo dieser großen Tiere auf die Menschen, die mit ihnen arbeiten, übertragen hat. Ich erkenne wieder, was ich als Kind selbst gelernt habe. Das ist geblieben.

      Nach einer Weile sehe ich dann vom Futtergang aus zu, was die Tiere tun, wenn sie vom Melken kommen. Viele gehen erst einmal zur Tränke und trinken in großen Schlucken. Manch eine geht auch gleich zum Futtertisch und guckt, ob da inzwischen frisches Futter liegt, oder sie spaziert mit ihrem Transponder um den Hals zur Ausgabestelle für das Kraftfutter und probiert, ob ihr der Apparat nach sekundenschnellem Einlesen ihrer Kennziffer vielleicht Nahrung zuteilt; in diesem, dem sogenannten konventionellen Melkstand wird kein Futter beim Melken ausgegeben. Eine andere tritt vielleicht unter eine der großen Bürsten, die von der Stalldecke herabhängen, und lässt sich durch ihr Darunterhergehen den Rücken und die Flanken bürsten; die Nächste zieht es zum Mineralsalz eines Lecksteins, den sie mit kräftiger Zunge bearbeitet. Und manche sucht sich eine Freundin – alle ranggleichen Kühe sind Freundinnen –, deren Hals oder Kopf sie beleckt oder sich von ihr belecken lässt.

      Ich finde es schwierig, dabei zuzusehen, ohne selbst die Hände zu rühren, während Waldemar, Anna und Sohn Hannes auf ihren Arbeitsgängen vorbeieilen – Kälber tränken, Kühe melken, Jungrinder füttern.

      Waldemar hat schlechte Laune. Nach dem Melken sitzen wir am Frühstückstisch, er liest in der Zeitung. Wütend macht ihn nicht, dass sie vor dem Kaffee schon zwei Stunden gearbeitet und das Vieh besorgt haben und dass dies trotz Melkroboter schon wieder gut zwei Stunden dauert, weil viele Stärken* aus der eigenen Nachzucht, also Erstkalbende hinzugekommen sind, die Herde gewachsen ist und damit auch die Menge der zu fütternden Kälber. Das ist ja, was er gewollt hat: Wachstum. Die höhere Arbeitslast ist nur die logische Folge.

      Mein Bruder nimmt das Brot aus dem Toaster, legt sich eine Scheibe auf sein Brett, wirft die andere mit zu viel Schwung auf den Brotteller in der Mitte des Tischs. Sie fällt daneben. Meine Schwägerin und ich sehen uns schweigend an. Ich nehme die Scheibe, Anna schenkt ihm Kaffee in den hingehaltenen Becher.

      Wir kauen, trinken Kaffee, reichen uns dies und das.

      Ich lobe die Kürbismarmelade.

      Anna erzählt, dass eine ihrer Töchter ihr einen großen Topf mit schon geschnittenem Kürbis gebracht hat. Den musste sie sofort verarbeiten, und da hat sie eben Marmelade gekocht. Ich bewundere, wie sie sich immer wieder etwas Neues einfallen lässt. Auch das weiche, gelbliche Kürbisbrot war ein Erfolg.

      »Na«, sage ich nach einer Weile, »wo drückt der Schuh?«

      Waldemar schnaubt nur: »Frag lieber, wo er nicht drückt.« Dann liest er weiter die Zeitung. Schließlich schiebt er sie mir hin. »Lies selbst«, sagt er.

      Es sollen in Niedersachsen neue Feuchtgebiete geschaffen werden, Moore renaturiert. Das Wasser soll wieder die Weideflächen erobern dürfen – zum Nutzen der Artenvielfalt von Flora und Fauna.

      Die Zeitung berichtet von heftigen Diskussionen. Es werden die Argumente von Befürwortern und Gegnern wiedergegeben. Aber sie nimmt nicht Partei für die Bauern. In einer Gegend wie dieser, die derartig von der Landwirtschaft geprägt ist, wundert mich das.

      Aber als ich das sage, blickt mein Bruder mich nur verärgert an.

      »Was denkst du denn? Wo lebst du? Wir sind doch in den Dörfern längst eine Minderheit. Auch auf dem Land fühlen sich die meisten durch uns nur gestört – durch unsere schweren Maschinen auf den Dorfstraßen, die man nicht überholen kann, durch den Gestank der Tiere, die nun mal Mist machen, durch unsere Silagehaufen*, auf denen so hässliche alte Gummireifen liegen, durch den Mais, der hier steht statt des hübschen Roggens und der Rüben von früher …«

      Er winkt ab und steht auf. Im Weggehen sagt er: »Hauptsache, eure Kühlschränke sind voll.«

      Dann ist er draußen.

      Am nächsten Morgen, es war mein letzter, versuchte ich noch einmal, meinen Bruder Waldemar