Название | Wie ich den Sex erfand |
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Автор произведения | Peter Probst |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956144134 |
Zum Buch
Eine Weltstadt mit Herz, ein fast noch dörfliches Viertel, eine sehr katholische Familie und Franz Josef Strauß – schöner ist von einer Jugend in den 70er Jahren selten erzählt worden. Sprich, Erinnerung, sprich!
Seit einigen Wochen sammelt der zwölfjährige Peter in einem Heft geheimnisvolle Worte. „Unbefleckt“ und „Hingabe“ und „Empfängnis“. Er ist Ministrant und so fromm wie seine Eltern, die er nicht fragen kann, was diese Worte bedeuten. Und schon gar nicht solche wie „Unzucht“, „Beischlaf“ oder „Prono“, die er bei manchen Erwachsenen aufschnappt oder bei Schulkameraden, die über mehr Wissen verfügen als er. Das muss sich ändern, beschließt er, er muss das Rätsel lösen. Gott sei Dank hängt ein Plakat von Franz Josef Strauß über seinem Bett, der ihm wichtige Ratschläge fürs Leben gibt.
Peter Probst erzählt liebevoll und mit großem Witz von den Zumutungen der Pubertät und davon, wie die Revolte der Jugend in den 70er Jahren in ein konservatives Milieu einbricht - zum Entsetzen der Erwachsenen, zu unserem Lesevergnügen.
Über den Autor
Peter Probst ist 1957 in München geboren. Er studierte Deutsche und Italienische Literatur sowie Katholische Theologie. Bald begann er mit dem Schreiben von Drehbüchern, etwa für Tatort. Für seine Fernsehspiele erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Ab 2006 schrieb Probst erst Kinderkrimis, dann Kriminalromane wie Blinde Flecken oder Im Namen des Kreuzes. Bei dem Sachbuch Verliebt, verlobt… verrückt? arbeitete er mit seiner Frau Amelie Fried zusammen, mit der er in München lebt.
für Amelie und Arthur
1
Schuld war die Muttergottes.
Wegen ihr und ihren Wundern fröstelte ich sogar unter der schweren Wintersteppdecke, die mein Vater bei der Bundeswehr abgestaubt hatte.
Meine Mutter erzählte immer von der kleinen Bernadette, der in Lourdes eine wunderschöne Frau im weißen Kleid mit blauer Schärpe erschienen war. Achtzehn Mal insgesamt. Erst beim sechzehnten Mal hatte Bernadette den Mut gehabt, sie nach ihrem Namen zu fragen.
»Ich bin die unbefleckte Empfängnis.«
Was die Wörter unbefleckt und Empfängnis bedeuteten, wusste ich nicht. Ich war noch keine zwölf und der Sohn sehr gläubiger Eltern. Besonders Empfängnis klang gruselig, fand ich.
Ich war genauso fromm wie Bernadette, betete morgens und abends und vergaß es nie. Ich ministrierte bei Hochämtern, Trauungen und Beerdigungen, am liebsten aber bei Marienandachten und sang mit Inbrunst:
»Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn.
in Freuden und Leiden ihr Diener ich bin.«
Dann gab es noch die Kinder von Fátima: Jacinta, Francisco und Lúcia. Ihnen hatte die Muttergottes drei Geheimnisse anvertraut, von denen das dritte so schrecklich gewesen war, dass es niemand erfahren durfte. »Die Menschen würden sonst aus Angst glatt tot umfallen«, sagte meine Mutter. Ich traute mich nicht zu fragen, wieso die drei Kinder überlebt hatten – vielleicht waren sie außergewöhnlich kernig gewesen oder hatten die Botschaft der Muttergottes gar nicht richtig verstanden. So oder so wollte ich auf keinen Fall zu den Auserwählten gehören, denen die Muttergottes etwas weissagte.
»Heilige Maria, Muttergottes, ich bitte dich: Erscheine mir nicht!«
Lourdes 1858, Fátima 1917, München-Untermenzing 1970. Die Reihe erschien mir logisch. Bernadette, Francisco, Jacinta, Lúcia, Peter. Auch diese Aufzählung klang in meinen Ohren so selbstverständlich, als wäre meine Marienerscheinung beschlossene Sache.
Es gab eine Hoffnung: die Muttergottes bevorzugte offenbar arme Müllers- und Hirtenkinder. Ich war ein Arztkind, sogar eines von zwei Ärzten. Wir aßen zwar Scheibletten, Corned Beef und Hering in Tomatencreme aus der Dose, aber so richtig arm waren wir nicht.
Andererseits gab es in Untermenzing keinen Müller und keine Hirten mehr, nur den komischen alten Schäfer, der zweimal im Jahr hinter unserem Haus über die Wiesen zog und seine Herde absichtlich über den Bolzplatz lenkte, damit sie ihn komplett zuschiss. Er hatte aber keine Kinder. Weil er auch noch Junggeselle war, hatte unser Vater uns verboten, ihn in seinem Schäferkarren zu besuchen. Dabei hätte ich ihn so gern gefragt, wieso er seine Herde nicht woanders kacken ließ.
»Heilige Muttergottes, kannst du dir nicht einfach ein anderes
Kind aussuchen?«
Tagelang zerbrach ich mir den Kopf darüber, wen ich ihr an meiner Stelle vorschlagen könnte. Aber mir fiel niemand ein, der infrage kam. Alle anderen Kinder benutzen unanständige Wörter, manche logen, manche stahlen, viele naschten. Alle waren Sünder, nur ich blöderweise nicht.
In meiner Verzweiflung zog ich mir, sobald ich im Bett lag, die Decke über den Kopf, obwohl ich kaum Luft bekam und mir klar war, dass die Muttergottes mit Leichtigkeit hindurchstrahlen konnte, wenn sie wollte.
Ich sah sie schon über meinem Bett schweben, die unbefleckte Empfängnis, wie einen riesigen weißen Falter mit blauer Schärpe. Sie würde mir womöglich ein Geheimnis anvertrauen, das noch viel schrecklicher war als das dritte von Fátima, und ich würde zur Salzsäule erstarren wie die Frau Lot, die sich auf der Flucht nur noch mal kurz nach dem brennenden Sodom umblicken wollte – immerhin war es ihre Heimatstadt.
Von der Angst, die mich Nacht für Nacht heimsuchte und viele Stunden wach hielt, erzählte ich keinem Menschen. Ich war verschwiegen wie meine Vorgänger in Lourdes und Fátima, die ihr Geheimnis so lange wie möglich für sich behalten hatten.
Bald hatte ich wegen des Schlafmangels solche Augenringe, dass meine Arzteltern mir eine Sanostol-Kur verordneten. Sie verrieten mir nicht, dass es sich um Lebertran handelte, weil ich Leber so hasste, dass mir allein das Wort Übelkeit bereitete. Sanostol schmeckte nach sehr süßer Orange und fühlte sich wunderbar klebrig auf der Zunge an. Nach dem Zähneputzen wartete ich ungeduldig auf den Moment, da meine Mutter mit der braunen Flasche und dem Suppenlöffel an mein Bett trat. Ich achtete darauf, dass sie nicht sparte, und behielt den Sirup so lange im Mund, dass ich ihn noch am nächsten Morgen schmecken konnte.
Sanostol war mein Zaubertrank und beherrschte meine Gedanken in manchen Nächten beinahe so sehr wie die Muttergottes. Das lag auch an einer Zeitungswerbung, die mich vor Jahren bei meinen ersten Leseübungen in den Bann gezogen hatte.
Sanostol macht kernig und feit gegen Krankheiten.
Wie vermutlich die meisten Kinder hatte ich nicht gewusst, was feien bedeutet, aber ab da dringend kernig werden wollen. Kernig, wie die Waden der Burschen beim Menzinger Trachtenumzug, die Politiker im Bayerischen Fernsehen, die mit der Faust auf den Tisch hauten, kernig, wie die Sprüche am Stammtisch im Alten Wirt gegen die Preußen und alle anderen Fremden.
Meine Augenringe verschwanden dank der Sanostol-Kur allmählich, von echter Kernigkeit war ich aber weit entfernt. Ich stand auf Steckerlbeinen und redete aus Schüchternheit sehr leise.
Trotzdem glaubte ich eines Abends, in mir eine Veränderung wahrzunehmen – meine Angst vor der Muttergottes war auf einmal nicht mehr ganz so schrecklich.
»Dann erschein mir halt, heilige Muttergottes, wenn du einfach kein anderes Kind findest.«
Ich hatte noch nicht zu Ende gebetet, da wusste ich, dass das der falsche Ton gewesen war. So redete man nicht mit einer unbefleckten Empfängnis. Wahrscheinlich war mein Gebet sogar eine Sünde. Und Sünden wurden bestraft. Meistens mit dem, was dem Sünder am wehsten tut, sagte mein Vater. Das konnte in meinem Fall nur eine Marienerscheinung sein.
Ich wartete zwei Nächte, ohne dass etwas geschah. In der dritten sah ich das Licht. Es tanzte vor der Wand hin und her, als müsste die Muttergottes erst noch in ihr weißes Kleid schlüpfen. Wo war denn die blaue Schärpe? Das Licht wurde kreisrund. Hatte sie sich doch gegen die Lourdes- und für die Fátima-Version