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zum Opfer. Insgesamt erkrankten einundneunzig der zweihundertzwanzig Schauspieler und Crewmitglieder an Krebs, sechsundvierzig starben daran.16 Da allerdings damals etwa die Hälfte aller Amerikaner irgendwann im Leben an Krebs erkrankte und ein Viertel durch Krebserkrankungen sein Leben verlor, bleibt der Zusammenhang, bestenfalls, unbewiesen.

      Nachdem die USA und andere Atommächte 1963 das Moskauer Atomteststoppabkommen unterzeichnet hatten, wurden in Nevada keine weiteren oberirdischen Tests mehr durchgeführt. Unterirdische Tests in Bohrlöchern und Tunneln fanden aber weiterhin statt. Dabei verdampfte oder schmolz zwar Gestein, doch in der Regel gelangte kein radioaktives Material in die Erdatmosphäre. Allerdings gab es Ausnahmen. Der in geringer Tiefe durchgeführte »Sedan«-Test ließ mit bis zu 390 Metern Durchmesser und bis zu 98 Metern Tiefe einen der größten Krater menschlichen Ursprungs entstehen und verteilte mehr radioaktives Material über das Land als jeder andere oberirdische Test der Vereinigten Staaten. Mehr sogar als »Dirty Harry«.17 Niemand riet den Downwinders, in Deckung zu gehen.

      Solange Sie nicht selbst fürchten, an einer durch Strahlung verursachten Erkrankung zu leiden, kommt es Ihnen wahrscheinlich so vor, als läge all das lange zurück. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit der letzte Atompilz über der Wüste von Nevada aufgestiegen ist. Aber wenn man von Las Vegas aus den Highway 95 hinunterfährt, kann man Anzeichen einer moderneren Kriegsführung erkennen. Kurz vor der Abfahrt zu der »Zeitkapsel« namens Mercury kommt man an der Air-Force-Basis »Creech« vorbei. Den ganzen Tag über sitzen hier »Piloten« der Luftwaffe in Containern und steuern die wachsende Kampfdrohnenflotte der USA bei ihren tödlichen Missionen in den Tausende Kilometer entfernten Kampfgebieten von Syrien, Afghanistan und Somalia.18

      Las Vegas boomt natürlich weiterhin, aber die Faszination für die Bombe, die anfangs zu seiner Blüte beigetragen hat, ist geschwunden. 2016 hatte ein schlauer Produzent die Idee, im Londoner West End eine Musical-Komödie mit dem Titel Miss Atomic Bomb auf die Beine zu stellen, die in Las Vegas spielt: »wo stets am Horizont ein Silberstreif erstrahlt und der Fallout dein Freund ist«. Er muss es für ein todsicheres Erfolgsrezept gehalten haben: Nostalgie, aber mit einer schrägen Note. Das Stück hielt sich jedoch nur wenige Wochen. Sogar die Bikini-Martinis an der Bar des St. James Theatre waren ein Reinfall.

       KERNWAFFENTESTS IM PAZIFIK: GODZILLA UND GLÜCKLICHER DRACHE

      Es geschah am 1. März 1954, kurz vor Sonnenaufgang. Der japanische Trawler Daigo Fukuryu Maru (Glücklicher Drache V) war auf Thunfischfang bei den Marshallinseln im tropischen Pazifik, knapp zweitausend Kilometer von seinem Heimathafen entfernt. Der Mann im Ausguck wartete darauf, dass die Sonne aufging, als er plötzlich zu seinem Erstaunen in der entgegengesetzten Richtung, am westlichen Horizont, eine grellorangefarbene Kugel erblickte. Er rief die übrigen zweiundzwanzig Mitglieder der Crew an Deck, und bestürzt beobachteten sie, wie die »Sonne« verblasste und eine riesige Pilzwolke am Himmel erschien.

      Zwei Stunden später, beim Netze-Einholen, begann weiße Asche auf das Deck zu rieseln. Fünf Stunden lang ging der Fallout nieder. Die überraschten Fischer zerrieben die geheimnisvolle Asche zwischen den Fingern, einer probierte sie sogar. Nach einer Weile lag auf dem Deck eine so dicke Schicht, dass sie Fußspuren darin hinterließen. Sie wussten es nicht, aber was da als weiße Asche herunterkam, waren die radioaktiv verseuchten Überreste der Koralleninsel Namu, die zum 160 Kilometer entfernten Bikini-Atoll gehörte. Ihr Korallenring war in Stücke gerissen worden, als »Bravo«, die erste echte amerikanische Wasserstoffbombe, detonierte. Mit einer Sprengkraft von 15 Megatonnen, tausendmal stärker als die Bombe von Hiroshima, ist sie bis heute die größte Kernwaffe, die die USA je gezündet haben. Die »Sonne« war der mehr als sechs Kilometer breite Feuerball der Explosion gewesen.1

      Auf der Rückreise mussten die Fischer sich übergeben. Durch die Strahlung bildeten sich Verbrennungen und Wundstellen auf ihrer Haut. Das Haar fiel ihnen aus. Das Zahnfleisch begann zu bluten. Als sie zwei Wochen später in der südjapanischen Stadt Yaizu anlegten, hatte sich ihr Zustand noch immer nicht gebessert. Manche gingen nach Hause, andere suchten das örtliche Krankenhaus auf. Da die Befunde aus Hiroshima und Nagasaki den Ärzten noch deutlich vor Augen waren, begriffen sie schnell, was passiert sein musste. Die Seeleute waren radioaktiver Strahlung ausgesetzt gewesen und litten an akuter Strahlenkrankheit. Rasch wurden auch die übrigen Crewmitglieder ins Krankenhaus gebracht.

      Die japanischen Seeleute hatten zwischen 2.000 und 6.000 Millisievert erhalten, eine potenziell tödliche Strahlendosis.2 Als einer der Ärzte aus Yaizu an die Atomenergiekommission der US-Regierung schrieb und um Behandlungsempfehlungen bat, erhielt er keine Antwort. Offenbar fürchteten die Bombenbürokraten, dass jegliche Informationen über die Isotopenzusammensetzung des Fallouts Rückschlüsse auf die geheime Bauweise der Bombe zuließen. Der Vorsitzende der Kommission, Lewis Strauss – ein Selfmade-Millionär und glühender Antikommunist, bekannt dafür, den Entzug von Robert Oppenheimers Sicherheitsberechtigung vorangetrieben zu haben –, ließ vielmehr verlauten, dass er die Fischer für einen »Haufen roter Spione« hielt.3

      In Wirklichkeit war der Glückliche Drache V mit seiner Besatzung schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Bei der Detonation von »Bravo« hatte sich das Schiff ein gutes Stück außerhalb der offiziellen Gefahrenzone befunden. Doch kurz zuvor hatte der Wind gedreht, wodurch es sich genau in der Richtung befand, in die sich der Fallout ausbreitete. Bald wurde bekannt, dass insgesamt rund hundert japanische Thunfischtrawler in Gefahr gewesen waren. Panisch nahmen Fischhändler überall in Japan den Thunfisch aus der Auslage. Im ganzen Land flammte die Furcht vor Nuklearwaffen wieder auf, die seit dem Trauma von Hiroshima und Nagasaki weitergeschwelt hatte. Als Reaktion auf die Tragödie entstand der japanische Film Godzilla, der sieben Monate später ins Kino kam und ein großer Erfolg werden sollte. Er schildert den Kampf des Landes gegen ein marodierendes Mutantenmonster, das durch Atomtests auf einer japanischen Insel entstanden ist.

      Während sich ganz Japan an diesem nuklearen Horrorszenario weidete, lagen die Seeleute noch immer im Krankenhaus und bekamen zur Dekontamination regelmäßige Bluttransfusionen. Der Funker Aikichi Kuboyama starb an Hepatitis, nachdem er sich bei einer Transfusion infiziert hatte. Die anderen überlebten, und einige erreichten sogar ein Alter über achtzig Jahre, litten aber unter der Ausgrenzung durch Freunde und Nachbarn, die glaubten, dass Strahlenkrankheit ansteckend sei.

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      »Bravo« stand am Anfang einer ganzen Ära von Tests mit Bomben, die weit mächtiger als die von Hiroshima und Nagasaki waren und oft auch viel zu mächtig für eine Detonation in der Wüste von Nevada oder sogar in der kasachischen Steppe, dem bevorzugten Testgebiet der Sowjetunion. Als Schauplatz für diese Detonationen in Megatonnenstärke wählten die USA – und später auch Großbritannien und Frankreich – die augenscheinlich so entlegenen Atolle des Pazifiks, Tausende Kilometer entfernt von größeren Siedlungsgebieten. Die Sowjetunion entschied sich für die Arktis. Tatsächlich aber war niemand mehr vor ihnen sicher. So schien es jedenfalls. Eine einzige Wasserstoffbombe war nun in der Lage, jede beliebige Stadt der Welt zu zerstören – sogar New York, wie sich Strauss einmal im Interview mit einem amerikanischen Journalisten brüstete. Und da der Schutt in weit größere Höhen geschleudert wurde, erreichte ihr Fallout die ganze Erde.

      Bei einer nuklearen Explosion entsteht ein enormer Feuerball, der alles in seiner Reichweite mit in die Luft reißt – auch Boden, Wasser und, im Fall des Bikini-Atolls, die Trümmer des Korallenriffs am Ort der Detonation. Irgendwann erreicht diese Wolke schließlich ihre größte Höhe und breitet sich nach allen Seiten aus, was zu der charakteristischen Pilzform führt. Dann wird sie durch die Winde zerstreut, und das Material sinkt nach und nach zu Boden. Ein Teil dieses Fallouts erreicht den Grund bereits nach wenigen Minuten, wie es die Fischer auf dem Glücklichen Drachen erleben mussten. Der Anteil jedoch, der hoch in die Atmosphäre geschleudert wird, kann mehrere Monate in der Luft bleiben.

      Je größer die Explosion, desto höher hinauf gelangt der Staub, desto länger dauert es, bis er zu Boden fällt, und desto weiter breitet