Schlüsselbegriffe der Public History. Thorsten Logge

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Название Schlüsselbegriffe der Public History
Автор произведения Thorsten Logge
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846357286



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statt.

      Subjektive Emotionen in der Begegnung mit Geschichte

      Zweitens geht es in den konkreten Situationen der Kommunikation und Rezeption von Geschichte immer auch um die Gefühle der beteiligten Menschen, der Ausstellungsmacher_innen, der Museumspädagog_innen und der Besucher_innen. Diese Emotionen sind auf der Subjektebene derjenigen angesiedelt, die an den Vermittlungspraktiken in welcher Rolle auch immer beteiligt sind. Diese subjektiven Emotionen werden zunehmend in der geschichtsdidaktischen Theoriebildung berücksichtigt, indem z. B. nach emotionalen Reaktionen von Schüler_innen in Prozessen historischen Lernens gefragt wird.

      Emotionalisierung in der Geschichtsvermittlung

      Drittens muss in den Blick genommen werden, wie die emotionale Ansprache in den verschiedenen Formaten der Geschichtsdarstellung konkret aussieht. Diese soll unter dem Begriff der Emotionalisierung erfasst werden. Dazu gilt es, genauer auf das Vermittlungssetting zu fokussieren: Wie sehen die Narrative über die Emotionen der historischen Akteur_innen aus? Mit welchen Medien, welcher Sprache, welchen Praktiken werden diese historischen Emotionen präsentiert? Wie verhält sich das zu der erwünschten emotionalen Reaktion der Rezipient_innen? Was sind demnach Techniken und Erscheinungsformen der Emotionalisierung?

      Insbesondere die Analyse der Emotionen auf der Objekt- und der Subjektebene muss zunächst getrennt voneinander stattfinden. Auf der dritten Ebene der Emotionalisierung kann diese Unterscheidung nicht immer eindeutig aufrechterhalten werden, das jedoch ist genau das Problem, das nachfolgend diskutiert werden soll.

      3.3.1Objektebene: Emotionen als Gegenstände historischer Darstellung

      Das ‚Augusterlebnis‘ und die Handlungsrelevanz von Emotionen

      Den Auftakt für eine Geschichte der Emotionen gab bereits 1941 der französische Historiker Lucien Febvre mit dem Statement, dass Emotionen „ansteckend“ und damit handlungsrelevant seien: „Sie implizieren zwischenmenschliche Beziehungen und kollektive Verhaltensweisen“.14 Beispiele dafür liefert die Vergangenheit genug; erinnert sei an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914. Die deutschen Tageszeitungen waren voll von Berichten über die emotionale Gemengelage von gelöster Anspannung, feierlicher Euphorie und banger Sorge. So wusste ein Reporter aus Freiburg zu berichten:

      Es ist Wahrheit, kalte, grausame Wahrheit, befreiende, erlösende Botschaft aus der Qual der furchtbaren Ungewissheit: Der Kaiser hat gesprochen. Aber während am Samstag sich die lohende Begeisterung in Jubelhymnen Luft machte, breitet sich jetzt ein tiefernstes Schweigen über die Tausenden, die bald zusammenströmen. Ein Schweigen allerdings, unter dem ein Vulkan von Empfindungen gährt [sic] und brodelt. Finsterer Ernst eiserner Entschlossenheit gräbt sich in die Züge der Männer.15

      In der zeitgenössischen Propaganda wurde insbesondere das Narrativ von der ansteckenden Begeisterung der deutschen Bevölkerung gepflegt. Dafür entstanden ikonografische Fotos von jubelnden Menschenmassen oder sogenannte Hörbilder, für die der scheinbar spontane Gesang nationalistischer Lieder auf Wachswalzen konserviert wurde. Diese konnten dann noch lange nach den ersten Todesmeldungen von der Front abgespielt werden.. Später haben sich Historiker_innen genau an der Frage der Handlungsrelevanz und des Ansteckungspotenzials von Emotionen zum Kriegsausbruch abgearbeitet. Christopher Clark hat beschrieben, wie die Bevölkerungen Europas größtenteils „schlafwandelnd“ in den Krieg getaumelt seien, gierig auf Ereignisse, euphorisch darüber, dass sich die explosive Spannung endlich in der Ausrufung des Krieges lösen durfte.16 Jeffrey Verhey hingegen hat herausgestellt, dass die Begeisterung längst nicht so weit verbreitet war, wie die Propaganda Glauben machen wollte.17 Das belegen auch Tagebucheintragungen aus der Zeit: Im Oktober 1914 beschreibt ein unbekannter Soldat seinen Einzug zur Front und notiert, wie er unter Jubel und Hurrageschrei zum Bahnhof begleitet wurde, die Stimmung im Zug sich jedoch änderte:

      Nun saßen wir an den Wagenfenstern. Scherzworte flogen hinüber und herüber, die Stimmung war mehr als ausgelassen. Noch zwei Minuten bis zum Abgang des Zuges. – Plötzlich wird die Stimmung ernst und ernster. Langsam setzt sich der ungeheure Zug in Bewegung; ich weiß nicht, es war uns allen so seltsam zu Mute. Ob wir ahnten, was uns allen bevorstand?18

      Ob Jubel oder Ängstlichkeit, die Quellen zum ‚Augusterlebnis‘ sind voller Schilderungen von Emotionen, die nachdrücklich verdeutlichen, dass sich die Geschichte des Augusts 1914 als eine Geschichte gegensätzlicher Emotionen schreiben lässt.19

      Ein geschichtswissenschaftlicher Emotionsbegriff

      Die neuere deutschsprachige Emotionsgeschichte startete vor knapp 15 Jahren mit der Beobachtung, dass Gefühle, so Ute Frevert, „geschichtsmächtig“ seien, Handlungen begründeten, historische Verläufe antrieben. Des Weiteren seien Emotionen auch „geschichtsträchtig […]. Sie machen nicht nur Geschichte, sie haben auch eine. Sie sind keine anthropologischen Konstanten, sondern verändern sich in Ausdruck, Objekt und Bewertung“.20 Das bedeutet, dass emotionale Erfahrung zwar etwas ist, das Menschen substanziell über Zeiten und Kulturen miteinander verbindet, dass sich aber die Bedeutung von Emotionen genauso wie die Deutung emotionalen Verhaltens, die Regeln des Zeigens und Versteckens von Emotionen verändern. Emotionen und ihr Ausdruck sind wandelbar, sie werden erlernt, geformt, „gemanagt“.21

      Dieser Wandelbarkeit habhaft zu werden, den Regeln emotionalen Verhaltens auf den Grund zu gehen, das ist das Ziel einer Geschichte der Gefühle und dafür braucht es ein operationalisierbares Konzept von Emotionen sowie entsprechende Methoden.

      Emotionen sind körperlich

      Mit dieser Wandelbarkeit ist ein wesentliches Merkmal im Emotionskonzept benannt. Ein zweites Merkmal siedelt Emotionen im menschlichen Körper an. Anders jedoch als in den Naturwissenschaften wird der Körper in diesem Konzept ebenfalls als historisch geworden und veränderbar betrachtet. Denn Emotionen sind nach den Überlegungen der Historikerin Sarah Ahmed die „Markierungen“ (im Sinne von einprägen, „impress“), die die Begegnungen mit der Welt in unseren Körper hinterlassen. Diese Markierungen und Eindrücke, auch Impressionen genannt, verändern den Körper immer wieder von Neuem.22 Emotionen schreiben sich damit dem Körper ein und sind an Körper gebunden. Denn mit dem Körper können Menschen Emotionen kommunizieren, sichtbar- und hörbar machen, zugleich lagert sich dem Körper emotionales Erleben ein. Glückliche Menschen bewegen sich freier, unbeschwerter, ängstlichen Menschen sitzt etwas wortwörtlich „im Nacken“, wer Ärger hat, dem ist etwas „auf den Magen geschlagen“. Daher sind Emotionen etwas, was wir „tun“, sie sind Praktiken des Selbst, wie Monique Scheer herausstellt. Daher erweitert sie ihr Konzept von Emotionen um „die Dimension des Handelns“:

      Ich möchte […] betonen, dass das Fühlen eng mit dem Ausdruck, mit körperlichen Aktivierungen und Bewegungen verwoben ist. Statt streng zwischen innerlichem Gefühl und äußerlichem Ausdruck zu unterscheiden, sollte man danach fragen, wie das Äußere und das Innere sich gegenseitig konstituieren.23

      Eine geschichtswissenschaftliche Definition

      Emotionen, so lässt sich definieren, sind demzufolge dadurch gekennzeichnet, dass sie kulturell und strukturell erlernt und in sozialen Praktiken verinnerlicht, aber auch ausgehandelt werden. Zentraler Akteur und Medium der Einschreibung von Emotionen, aber auch des Ausagierens, der Kommunikation, des Ausdrucks ist daher der Körper, der entsprechend den Konzepten der Körperethnologie als ein Produkt sowohl biologischer als auch kultureller Faktoren, als konzeptionelle Vereinigung von Körper, Geist und Gesellschaft gesehen wird.24

      Diese Definition erfasst demnach die Veränderbarkeit von Emotionen und siedelt deren Wirkmächtigkeit auf der Schwelle und im Miteinander zwischen dem individuellen „Innen“ und dem gesellschaftlichen „Außen“ an. Was das für die Geschichte eines konkreten Gefühls bedeutet, lässt sich beispielhaft an der Geschichte des Heimwehs zeigen.

      Heimweh als tödliche „Schweizer Krankheit“

      Heimweh galt zunächst gar nicht als Emotion, sondern als eine Krankheit. Zwischen dem 17. und dem späten 19. Jahrhundert war Heimweh eine medizinisch präzise erfasste tödliche Krankheit.25 Erstmals beschrieben wurde das Phänomen 1688 vom Schweizer Arzt