Schlüsselbegriffe der Public History. Thorsten Logge

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Название Schlüsselbegriffe der Public History
Автор произведения Thorsten Logge
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846357286



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Fächer in unserer Lebenswelt vom hermeneutischen Verstehen abhängen, müssen Emotionen zwangsläufig eine zentrale Bedeutung in der Begegnung mit Geschichte und damit dem historischen Lernen zuerkannt werden.

      Gefühle blockieren die Auseinandersetzung mit Geschichte

      Das Fühlen ist jedoch nicht ein automatischer Erfolgsfaktor für eine intensive und nachhaltige Begegnung mit Geschichte. Es kann auch blockierend wirken. Das zeigen die Herausforderungen an heutigen Gedenk- und Erinnerungsstätten. Lernende kommen an diese Orte und versuchen, den im entsprechenden Kontext erwarteten Emotionen zu entsprechen, eine ‚Choreografie der Emotionen nachzutanzen‘, wie Gedenkstättenpädagog_innen beobachten.40 Auffallend ist das vor allem bei Themen aus der Diktatur- und Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Betroffenheit, Empathie, Mitgefühl oder Trauer gehören zu der emotionalen Melange, die das gesellschaftspolitische Gedenken und Erinnern an die Opfer einfordert. Den Lernenden kann aber genau das fremd sein; vielleicht würden sie sich diesen Themen lieber mit Neugierde, Wut oder vielleicht auch emotional distanziert nähern. Im Sinne des emotionalen Lernens ist es wichtig, auch diese Gefühle zuzulassen und didaktisch aufzufangen und nicht von vornherein gesellschaftlich normiertes Fühlen zu erwarten; denn gerade solche an sie gerichteten Erwartungen können bei die Lernenden emotional überfordern und zu Abwehrreaktionen führen.

      3.3.3Emotionalisierungen

      Emotionalisierung erfolgt, wenn Emotionen der Objekt- und der Subjektebene miteinander vermischt werden

      Das oben hergeleitete Verständnis von Emotionen auf der Objekt- und auf der Subjektebene verdeutlicht die Unterschiede und Grenzen zwischen diesen beiden Ebenen. In der konkreten Praxis aber bleiben Emotionen nicht jeweils auf ihrer Subjekt- oder Objektebene und damit voneinander unterscheidbar, wie der Hinweis auf das gesellschaftlich normierte Fühlen bereits verdeutlicht hat. Auch die Erlebnisangebote zur Geschichte versprechen ihren Besucher_innen das Nachempfinden vergangener Gefühle.41 In diesen Fällen, in denen die Emotionen von Menschen früherer Zeiten durch einen gezielten Einsatz von Medien und die Wahl entsprechender Narrative und Verhaltensaufforderungen wiedererlebbar gemacht werden sollen, kann man von Emotionalisierung sprechen. Spezifisch für Emotionalisierung ist, dass die Emotionen auf der Objektebene mit denen auf der Subjektebene vermischt werden und keine klare Trennung mehr möglich ist.

      Emotionalisierungsstrategien analysieren

      Die Aufgabe einer kritischen Public History ist es, einerseits die Strategien der Emotionalisierung zu erkennen und ein Bewusstsein dafür herzustellen, dass dieses Abzielen auf besondere emotionale Reaktionen (im Sinne des Nachfühlens) problematisch ist. Andererseits sollte darüber nachgedacht werden, an welcher Stelle Emotionen zielführend und produktiv in der Begegnung mit Geschichte wirken können. Dafür braucht es ein Instrumentarium, mithilfe dessen die Praktiken und Strategien der Emotionalisierung möglichst umfassend beschrieben und in Hinblick auf ihre Wirkung analysiert werden können. Insbesondere gilt es dabei in den Blick zu nehmen, wie die konstatierte Vermischung von Emotionen auf der Objekt- und auf der Subjektebene zustande kommt. Als Kategorien der Analyse bieten sich dafür an: Visualisierung, Narrativierung, Authentifizierung, Dramatisierung und Personalisierung.42 An jede dieser einzelnen Kategorien lassen sich erstens Fragen in Bezug auf Emotionen auf der Objekt- und auf der Subjektebene stellen. Zweitens geht es dann darum herauszustellen, wie diese beiden Ebenen durch die jeweiligen Praktiken konkret miteinander verbunden werden.

      Visualisierung

      Hinsichtlich des Asisi-Panoramas liegt es zunächst auf der Hand, die Mittel der Visualisierung genauer zu untersuchen: Was genau stellt das Panorama dar, in welchen Perspektiven, mit welchen visuellen Mitteln wird die Bildaussage unterstützt? Welche Mal- und Darstellungstechniken benutzte der Künstler, was war seine Absicht dabei, genau diesen Blick auf die Mauer darzustellen, was die intendierte Botschaft? Sinnvoll ist auch immer die Frage danach, was nicht zu sehen ist, wie in dem Mauer-Panorama die Menschen, die in Ost-Berlin lebten. Worauf verweist diese Darstellungsperspektive?

      Narrativierung durch Authentizität

      Die Narrativierung findet für das Geschichtspanorama vor allem in der Bewerbung statt. Die Webseite preist das emotionale Erleben dieser „perfekten Illusion“ an. „Erleben Sie den Alltag im Schatten der Berliner Mauer in einem einzigartigen Panorama“, heißt es dort, und weiter: „Sie erleben auf beeindruckende und einmalige Weise, wie alltäglich und zugleich grausam das Leben im Schatten der Mauer war“.43 Zusätzlich gibt es dem eigentlichen Panorama vorgelagert einen Raum, der zum einen die Entstehung des Panoramas und die Geschichte von Yadegar Asisi erzählt und zum anderen zahlreiche zeithistorische Fotos der Berliner Mauer zeigt und kommentiert. Mit diesen Informationen und historischen Bildern im Kopf wird den Besucher_innen eine Deutung der Geschichte mit auf dem Weg gegeben, mit der sie das Mauer-Panorama ansehen. Nicht zu vernachlässigen ist das gesamte Erlebnisensemble am Checkpoint Charlie, die Darsteller in ihren US-Army-Uniformen vor dem Grenzhäuschen, die Schilder, die die ehemalige Sektorengrenze markieren. Die Narrativierung zielt insbesondere auf eine besonders starke emotionale Grundierung der Geschichtsbegegnung. Daraus macht der Künstler selbst keinen Hehl und dafür nutzt er die „perfekte Illusion“, die das Medium Panorama ermöglicht. Das „grausame Leben im Schatten der Mauer“ soll nachfühlbar sein, die Besucher_innen sollen mit dem Gefühl nach Hause gehen, wirklich im Jahr 1980 an der Mauer gestanden zu haben.44 Das lässt ihnen kaum mehr die Möglichkeit eigener Sinnbildung oder subjektiven Fühlens, das vielleicht weniger von der intendierten Botschaft vom „grausamen Leben“ beeinflusst ist, sondern vielmehr von der Einsicht, dass auch das alternative Leben in den besetzten Häusern im Schatten der Mauer nicht sonderlich bunt oder aufregend war.

      Die begleitende Ausstellung mit der Lebensgeschichte des Künstlers, der selbst zu der Zeit in Kreuzberg wohnte und in dem Panorama seine eigenen visuellen Erinnerungen verarbeitet hat, authentifiziert das Panorama. Die gezeigten Fotos belegen das gezeigte Narrativ. Eine weitere Authentifizierung erfolgt mit einer konkreten Ortsbenennung. Die Besucher_innen blicken von der Sebastianstraße in Berlin-Kreuzberg auf die Mauer. Der Künstler zeigt das alternative Leben der Punks in dem bekannten Szene-Club SO 36, der bis heute existiert.

      Dramatisierung durch Licht und Ton

      Für die entsprechende Dramatisierung setzte der Künstler auf eine „diffuse[ ] Lichtstimmung“,45 die den Eindruck eines grauen Novembertags unterstützen soll. Die Besucher_innen sind in dem abgedunkelten Raum dem bunten Treiben und dem Straßenlärm am Checkpoint Charlie völlig entrückt. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf das gelenkt, was sichtbar gemacht ist, das Panorama. Auch akustisch setzt der Künstler auf eine Dramatisierung durch eine von ihm selbst und Eric Babak komponierte und arrangierte, klassisch anmutende Begleitmusik. Durch den langsamen, getragenen Rhythmus sowie den Einsatz überwiegend tiefer Streichinstrumente erinnert die Musik an ein Requiem. Überlagert wird sie von der grellen und im Gegensatz zur Musik lautstarken Wiedergabe von originalen Tondokumenten aus der Zeit des geteilten Berlins. Zu hören sind beispielsweise Auszüge aus Reden von Walter Ulbricht und Erich Honecker. Interessanterweise stammen diese Tondokumente eben nicht aus dem Jahr 1980. An dieser Stelle wird die Illusion nicht konsequent umgesetzt. Dennoch gehören die geradezu ikonischen Soundquellen in das Gesamtensemble der Inszenierung, denn sie knüpfen an bei den Besucher_innen mutmaßlich vorhandene geschichtskulturelle Erwartungen an und stehen somit überzeugend für ein pastness-Gefühl (vgl. Kap. 11 Rezeption).

      Personalisierung

      Die Strategie der Personalisierung findet sich in der sehr detailgetreuen Darstellung der Menschen, die auf einem Holzpodest stehen (ähnlich jenem, auf dem die Panorama-Besucher_innen selbst stehen), um einen Blick über die Mauer zu werfen. Zu sehen sind Kleinkinder mit ihren Eltern, weißhaarige Rentner_innen und Jugendliche. Somit ist das Angebot zur Identifikation mit den neugierigen Menschen des Jahres 1980 breit.

      Zusammenfassend ist herauszustellen, dass Emotionen im Hinblick auf die skizzierten Erlebnisversprechen der Public History in zweifacher Hinsicht eine Schlüsselfunktion haben: Einerseits bieten entsprechende Geschichtsdarstellungen über die Thematisierung der Gefühle früherer Menschen einen anscheinend niedrigschwelligen Zugang zur Geschichte