Schlüsselbegriffe der Public History. Thorsten Logge

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Название Schlüsselbegriffe der Public History
Автор произведения Thorsten Logge
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846357286



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besser zu erfassen, wird in den Museum Studies vermehrt auf performative Erklärungsansätze zurückgegriffen. Denn wenn Authentizität nicht länger als Qualität des Objekts, sondern als Relation zwischen Objekt und Subjekt verstanden wird, gerät auch die körperliche Bewegung durch den inszenierten Ausstellungsraum in den Blick und erweitert das Verständnis dafür, wann die Darstellung von Geschichte als authentisch wahrgenommen wird.41

      Die analytische Perspektive auf die museale Aura von Exponaten verändert zugleich den Diskurs über Repliken und Hands-on-Ansätze im Museum. Der mit der Aura von Objekten einhergehende Aneignungsmodus bestand im Museum über lange Zeit im An-Sehen. Mit der Einführung von Repliken und Tastmodellen, die zum Anfassen, zur multisensualen Annäherung einladen, findet eine Demokratisierung des Museums statt, insofern diese es ermöglichen, Geschichte barrierefrei und im besten Falle inklusiv zu präsentieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass der an das Museum herangetragene Begriff von Authentizität immer mit gesellschaftlichen Hierarchien verbunden ist, denn das anfassbare, nahbare Objekt galt und gilt als weniger wertvoll. Allerdings verändern sich diese Wertzuschreibun-gen, wenn das Museumserlebnis bzw. die (didaktisierte) Erfahrung von Geschichte im Mittelpunkt steht. Zwar ist durchaus zu beobachten, dass sich viele Ausstellungsorte darum bemühen, den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Doch die musealen Praktiken zeigen, dass dies – wenn nötig – auch ohne Original möglich ist.42 Insofern können Museen als Seismografen für gesellschaftliche Authentizitätsvorstellungen verstanden und untersucht werden.

      2.4.2Authentische Geschichte in Gedenkstätten

      Gedenkstätten definieren sich über die Authentizität des Ortes. Sie unterscheiden sich von Denkmalen, indem sie den spezifischen Ort markieren, an dem etwas Bestimmtes stattgefunden hat. Dieses Kriterium lässt sich unter anderem in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes erkennen, die als förderwürdig nur die Gedenkstätten bestimmt, die an authentischen Orten existieren. Dabei ist eine „Authentizität des Ortes […] gegeben, wenn sich das historische Geschehen in einer für den Besucher sichtbaren baulichen Substanz manifestiert“.43 Dem Ort wird damit eine Aura zugesprochen, die aus seiner Geschichtlichkeit resultiert. Hinsichtlich des Authentizitätsbegriffs lassen sich damit deutliche Parallelen zwischen Gedenkstätten und Kulturerbe-Stätten (vgl. Kap. 7) erkennen.44

      Orte und Zeitzeug_innen

      Im deutschsprachigen Raum bzw. in Europa wird in Gedenkstätten gern mit einer doppelten Authentizität gearbeitet, insbesondere wenn sie an die NS-Terrorherrschaft und die SED-Diktatur erinnern: Am Ort des jeweiligen Geschehens beglaubigen zusätzlich Zeitzeug_innen aus eigener Anschauung die Echtheit der dargestellten Geschichte. Im Rahmen von Führungen, Gesprächen oder Workshops berichten sie in persona von ihren persönlichen Erlebnissen. Zudem können an Hands-on-Stationen Audio- und/oder Video-Ausschnitte aus digitalisierten Zeitzeug_innen-Interviews angehört bzw. angesehen werden. Sowohl die Orte als auch die Zeitzeug_innen versprechen Authentizität, jedoch sind dabei ganz unterschiedliche Aspekte betroffen.

      Die Authentizität der Zeitzeug_innen geht dabei über die oben erwähnte Subjektauthentizität hinaus, denn es geht nicht nur um die ‚Echtheit‘ und Glaubwürdigkeit ihrer Performanz, mit der sie ihre individuellen Erlebnisse darstellen. Vielmehr kommt ihnen in Gedenkstätten die Autorität zu, das Wissen um die ‚ganze‘ Geschichte eines Ortes oder eines Geschehens zu repräsentieren. So führen beispielsweise Zeitzeug_innen nicht nur als Augenzeug_innen die Besucher_innen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, sondern auch als Expert_innen für die gesamte Geschichte der Unterdrückung, Verfolgung und Inhaftierung politisch Andersdenkender in der DDR. Diese Praxis ist hoch umstritten innerhalb der Gedenkstättenpädagogik. Was jedoch weniger beachtet wird, ist, dass Orte zur Diktaturgeschichte der DDR häufig auf bürgerliches Engagement zurückgehen. Die Männer und Frauen der ‚ersten Stunde‘ schrieben den Erinnerungsorten ihre eigene Deutung ein. Diese hidden agenda prägt bis heute Ausstellungskonzepte und pädagogische Arbeit. Aufgrund der mangelnden Transparenz ist jedoch kaum mehr erkennbar, dass es sich dabei ursprünglich um die Perspektiven von Zeitzeug_innen handelt und die Darstellung nicht ausschließlich auf historischer Forschung beruht.45 Diese Konstellation verdeutlicht die Machteffekte, die sich aus einer Verknüpfung von Authentizität und Autorität ergeben können.

      Auch und gerade in Gedenkstätten lohnt es sich, zwischen Authentizität als Selbstbeschreibung und damit als Quellenbegriff und als Analysebegriff zu unterscheiden. Der analytische Zugriff ermöglicht es, Techniken der Authentisierung zu erforschen sowie Praktiken der Kommunikation von Geschichte systematisch in den Blick zu nehmen. So lässt sich bei einem authentischen Ort beispielsweise der Zusammenhang zwischen Konservierungstechniken und der dem Ort zugeschriebenen Aura analysieren oder die authentisierende Funktion, die Zeitzeug_innen zuerkannt wird. Dabei ist beispielsweise auch von Interesse, dass Gedenkstätten zunehmend auf mediale Formen von Zeitzeug_innenschaft zurückgreifen müssen, da Zeitzeug_innen aus gesundheitlichen oder Altersgründen immer seltener auftreten können. Kuratorische Eingriffe schränken die Autorität und Deutungshoheit der Zeitzeug_innen dabei deutlich ein, denn für gewöhnlich werden ihre Zeugnisse stark gekürzt und in eine geschichtliche Inszenierung eingebettet, die häufig auf die „Illusion vielstimmiger Erinnerungen“ abzielt.46 Zugleich kommen bei der medialen Präsentation von Zeitzeug_innen jedoch auch spezifische Verfahren zum Einsatz, die deren Authentizität betonen, beispielsweise indem Pausen, die Suche nach Worten oder das Ringen um Fassung in den geschnittenen Interviewaussagen belassen werden. Hierdurch entsteht der Eindruck von Unmittelbarkeit und Authentizität, der die historische Korrektheit der Aussagen jedoch nicht zwangsläufig belegt.

      2.4.3Reenactment und Living History

      Der Zusammenhang von Authentizität und Inszenierung wird auch im Bereich des Geschichtstheaters deutlich, welches Praktiken wie das Reenactment und die Living History umfasst.47 Hier hängt das jeweilige Verständnis von Authentizität nicht zuletzt vom Ziel der Aufführung ab: Die experimentelle Archäologie, die beispielsweise nachgebaute Objekte testet, um Erkenntnisse über deren Verwendung zu sammeln, benutzt den Begriff anders als Reenactors, die sich für das (Nach-)Spielen einer Schlacht möglichst authentisch einkleiden, um die Erfahrung eines Zeitsprungs, eines period rush, zu machen.48 Im Allgemeinen verstehen die Ausführenden, so Stefanie Samida und Miriam Sénécheau, Authentizität als Verweis auf empirische Belegbarkeit und Wahrheit.49

      Nachgebildete Objekte und nachgespielte Ereignisse

      Interessanterweise resultiert die Authentizität von Kleidung oder verwendeten Gegenständen hierbei nicht aus ihrer Geschichte, sondern bemisst sich an den zur Herstellung genutzten Materialien und Techniken, die denjenigen der nachgestellten Raumzeit möglichst entsprechen. Je stärker die Annäherung an die historischen Techniken und Materialien, desto größer ist die ‚Echtheit‘, die dem Objekt zugesprochen wird. Der Authentizitätsanspruch beruht dabei nicht nur auf der Qualität der Nachbildung, sondern auch auf ihrer Verwendung für spezifische Handlungen, wobei die Authentizität noch dadurch gesteigert werden kann, dass diese an einem als authentisch wahrgenommenen Ort durchgeführt werden.50

      Im authentischen Erlebnis, auf das viele Reenactments zielen und das für Reenactors von besonderer Bedeutung ist, zeigt sich erneut die paradoxale Struktur des Authentizitätsbegriffs. Jede Repräsentation eines historischen Ereignisses ist eine Konstruktion, weil empirisch triftige Quellen zueinander in Beziehung gesetzt und unter bestimmten Fragestellungen betrachtet werden. Insofern ist eine unvermittelte Vergegenwärtigung der Vergangenheit unmöglich. Zudem impliziert die Vorstellung, dass beim Nachspielen von historischen Ereignissen authentisches Erleben (vgl. Kap. 5) möglich ist, einerseits, dass die ausgewählten Ereignisse überhaupt als solche wahrgenommen wurden. Sie setzt andererseits das Ausblenden des Wissens über den weiteren Verlauf der Geschichte voraus. Insbesondere Schlachten-Reenactments, deren Authentizitätswirkung explizit auf die gemeinsame Performanz zurückgeführt wird, unterscheiden sich von der vergangenen Realität in einem wesentlichen Punkt, der zumindest von außen betrachtet zunächst im Widerspruch zum Authentizitätsanspruch steht: Niemand wird auf dem Schlachtfeld tatsächlich getötet oder verletzt.