Der Bruch. Sabine Deubler

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Название Der Bruch
Автор произведения Sabine Deubler
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783702580841



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Leiter hinauf. Gestaltet danach den Start des Radiosenders Welle 1 mit. Ende der 1990er-Jahre gründet der Schauspieler als Stimmtrainer sein eigenes Unternehmen. Sein Slogan lautet: „Ich mache Stimmbesitzer zu Stimmbenützern.“ Sein Versprechen an Kunden: Wer bei ihm gutes Sprechen im „Eigenton“ lerne, der überzeuge im Geschäftsleben.

      Ich wollte mich als Stimmtrainer und Bühnenredner profilieren. Das habe ich geschafft und jeden Applaus genossen. Zurückblickend denke ich, ich habe mir etwas beweisen wollen. Mir ist es wichtig gewesen, wie mich andere finden. Zwischen den vielen Seminaren im In- und Ausland bin ich nur wenig zu Hause gewesen. Und wenn ich da war, war ich in Gedanken schon wieder woanders. Körperliche Bedürfnisse habe ich damals hintangestellt. Es ist mir nicht wichtig vorgekommen, ob ich müde oder hungrig bin. Irgendwann habe ich das auch nicht mehr so gespürt. Stress hat mich zur Hochleistung getrieben. Zeitdruck war mein Motor.

      Aber der Motor sollte ins Stocken kommen. Ein Gesundheitscheck zeigt, dass Arno Fischbachers Leben in Gefahr ist. Dass der Business-Stimmcoach an dem Test überhaupt teilnimmt, ist Zufall. Man lädt ihn dazu ein. Den Brief öffnet er in seinem Büro im schmucken Andräviertel in Salzburg. Es ist ein Junitag im Jahr 2015. Die Salzburger Christian-Doppler-Klinik wendet sich mit einer Bitte an den damals 59-Jährigen: Man untersuche gerade den Gesundheitsstatus von 10 000 Salzburgern. Er möge doch an dieser großen Studie teilnehmen.

       Begeistert war ich nicht. Aber eine Gesundenuntersuchung war damals sowieso fällig. Und so genau wie in einer klinischen Studie wirst du normalerweise nicht gecheckt. Also habe ich mich dafür entschieden. Ich habe gedacht: Dann investierst du halt für diese Studie einen halben Tag Lebenszeit. Als ich drei Wochen später zur Untersuchung in die Klinik gegangen bin, hat die Sonne gestrahlt. Die Tests haben um sieben Uhr morgens begonnen. Um 12.30 Uhr hat mich der Arzt zum Gespräch bestellt. Und siehe da: Alle meine Werte sind bestens. Herz, Leber, Lunge, Cholesterin – alle top. Aufeinmal stutzt der Arzt. Er deutet mit dem rechten Zeigefinger auf eine Stelle im Befundbogen und sagt: „Nur da, da ist etwas. Die Blutwerte passen nicht ganz.“ Und er meint: „Da müssen wir nachschauen.“ Mich hat das nicht beunruhigt. Ich habe mir einfach gedacht: „Na gut. Dann schauen wir nach.“

      Zwei Monate lang schauen die Ärzte nach. In dieser Zeit muss Arno Fischbacher regelmäßig in die Blutambulanz zur Blutabnahme gehen. Die Ärzte verschreiben ihm Medikamente und beobachten in engen Abständen, wie diese seine Blutwerte verändern. Der Coach ist jetzt auf einmal Patient. Im August 2015 bekommt er die niederschmetternde Diagnose: Eine lebensbedrohliche Bluterkrankung breitet sich in seinem Körper aus. Als der Arzt dazu anhebt, die Diagnose auszusprechen, drückt der Sprechtrainer gedanklich einen Knopf. Er schaltet um auf Geschäftsmodus.

       Am Tag der Diagnose bin ich in der Ambulanz dem Arzt gegenübergesessen. Und der schaut mich so an. Da habe ich gewusst: Der will mir jetzt etwas sagen, das haarig wird. Als Stimmcoach trainiere ich ja auch Ärzte. Wie durch eine Kamera habe ich den Arzt beobachtet. Die Art, wie er es machte, fand ich ganz professionell. Der hat nicht lange herumgeeiert. Er hat mir ganz nüchtern gesagt: „Sie haben eine lebensbedrohliche Bluterkrankung und hätten schon einen Hirnschlag haben können. Wir müssen einen Spender finden. Sie brauchen eine Blutstammzellentransplantation.“

      Wie betäubt geht der Stimmtrainer nach Hause. Kurz vernebelt die niederschmetternde Diagnose seine Gedanken. Dann schaltet der Patient um – er ist Geschäftsmann. Als solcher geht er in den Kalkulationsmodus: Stellt zu seiner Krankheit Fragen. Sucht im Internet nach Antworten. Was genau ist diese Krankheit? Bin ich selbst daran schuld? Was tut man mit dieser Diagnose?

      Für diese Blutkrankheit ist nicht mein Lebensstil ausschlaggebend gewesen. Ich hätte sie nicht verhindern können. Irgendwelche Gene in meinem Körper haben plötzlich verrückt gespielt. Wegen dieser spontanen Genmutation ist meine Blutproduktion aus dem Ruder gelaufen. Ich habe zu viele Thrombozyten produziert. Ohne Transplantation wäre meine Blutproduktion ganz entgleist und ich wäre in relativ kurzer Zeit gestorben.

      Sterben kann der Patient aber auch an der Transplantation. Mit zunehmendem Alter sinken die Chancen, dass man den massiven Eingriff überlebt. 20 Prozent beträgt das Sterberisiko in der Altersgruppe 60 plus. Arno Fischbacher geht zu diesem Zeitpunkt direkt auf die 60 zu. Um keine Angst aufkommen zu lassen, sammelt er weiter Fakten. Er versucht, sich möglichst viele Details aus dem Internet zu beschaffen. So will er sich vorbereiten auf das, was kommen wird.

      So wie ich mir das vorgestellt habe, ist es aber leider nicht gegangen. Meine Krankheit war eine Individualistenkrankheit. Die kannst du nicht googeln. Das hat meinen Elan, alle offenen Fragen zu beantworten, gebremst. Damals bin ich zum ersten Mal nachdenklich geworden. Dass ich an etwas Gravierendem erkrankt bin, hat mir auch ein Schreiben meiner Krankenkasse gezeigt. Es ist eine Kostenaufstellung gewesen. Es ging um die Medikamente, die ich bis zur Transplantation habe nehmen müssen. Meine Krankenkasse hat dafür 5 000 Euro bezahlt. Und das jeden Monat. Erst beim Lesen dieser Kostenaufstellung ist mir klar geworden: Das ist etwas, das begleitet mich länger.

      So vieles ist in diesen Monaten offen. Besonders der richtige Zeitpunkt für die Transplantation. Einen fixen besten Zeitpunkt gibt es nicht. Die Ärzte können nur so viel sagen: Es wird ein Zeitfenster geben, in dem die Transplantation erfolgen muss. Wann sich dieses Fenster auftun werde, das zeige sich erst mit der Zeit. So viel Ungewissheit kann einen lähmen. Damit das nicht passiert, nimmt Arno Fischbacher wieder die Dinge in die Hand. Er ruft eine frühere Arbeitskollegin an, die mittlerweile in München lebt. Kann sie ihm dabei helfen, eine Checkliste für wirklich alle Fälle zu erstellen?

       Mir war mulmig, als ich in mein Handy gesagt habe: „Hallo Kathleen. Ich brauche dich. Hast du einen Tag Zeit für mich?“ Sie hat gleich ja gesagt. Ich war so erleichtert. Da war ja so viel zu organisieren. Einen ganzen Tag lang haben wir gemeinsam eine Checkliste geschrieben. Die eine Frage hat gelautet: Was muss ich alles veranlassen, damit mein Unternehmen einen viermonatigen Komplettausfall überlebt? Erst nach der Transplantation sollte mir klarwerden: Dass ich nur vier Monate ausfallen werde, habe ich viel zu optimistisch angesetzt. Erst einmal habe ich mein Unternehmen schrumpfen müssen. Aber nur so weit, dass ich es nach der Transplantation jederzeit wieder hochfahren konnte. Ich habe meine Mitarbeiterin kündigen müssen. Auch verschiedene Versicherungen, Internetpakete und Abos, um die Grundkosten zu senken. Die zweite Frage ist noch viel schwieriger gewesen: Was muss ich tun, um für meinen Todesfall vorzusorgen? Mit Kathleen habe ich alle Besuche notiert, die ich in den nächsten Tagen machen würde: Zum Notar gehen, zum Steuerberater, zum Bankberater – Ich habe sie dann auch alle persönlich abgeklappert. Wir haben festhalten, wo alle meine Unterlagen sind, wo die Passwörter zu finden sind. Wir haben nachgeschaut, wo meine Frau Zugang hat, falls ich nicht mehr heimkomme. Ich wollte das alles einfach geklärt haben.“

      Nur so gut vorbereitet kann der Stimmtrainer unbelastet nach Graz in die Klinik fahren. Der Patient ist immer noch Unternehmer. Als solcher lebt er sein Leben jetzt erst recht unter Hochdruck weiter. In der Zeit vor der Transplantation muss mehr Geld als früher hereinkommen, um die erwarteten Ausfälle abzufedern. Zwei Jahre lang arbeitet der Salzburger mit Vollgas weiter. Er gibt noch mehr Seminare als früher und weiß zugleich um seinen bedrohten Gesundheitszustand: Seine Blutproduktion wird von Monat zu Monat schlechter. Ein Lichtblick in diesen zwei Jahren voller Ungewissheit: Nach langer Suche wird ein Spender gefunden. Ein Mann aus Berlin „passt“. Und: Er ist bereit dazu, sich mit Hormonen behandeln zu lassen. Bereit dazu, sich in einer Art Blutwäsche Blutstammzellen entnehmen zu lassen. Bereit zu dieser Prozedur, sobald sich Arno Fischbachers Zeitfenster öffnen wird. Jenes Zeitfenster, in dem sich sein Gesundheitszustand und das Eingriffsrisiko ungefähr die Waage halten. Die Transplantation kann ja auch tödlich enden. Der Patient soll am Tag Null also nicht mehr zu gesund, aber auch noch nicht zu krank für die fremden Blutstammzellen sein.

      Tag Null war der 13. November 2017. Neun Tage davor musste ich in die Grazer Klinik einrücken. Sechs Wochen sollte ich dort verbringen. Körperlich habe ich mich fit gefühlt. Ich war bereit. Mein Leben habe ich in Gedanken in die Hände der Ärzte gelegt und ihnen gesagt: Egal was nötig ist, macht es mit mir.

      Die neun Tage vor der Transplantation habe ich heftige Chemococktails bekommen. Die sollten meine Blutproduktion zerstören, damit mein Körper die neuen Stammzellen