Название | TITANROT |
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Автор произведения | S. C. Menzel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957658388 |
»Die Anzüge sind im zweiten Gang in der dritten Kiste von links. Mittlere Reihe«, rief der Wissenschaftler, während er weitere Gläser hervorholte.
Tian knurrte wütend und legte Glenn neben der Tür ab, bevor er die Anzüge suchte.
Glenn betastete den roten Fleck an seinem Bein. Nasskalte Flüssigkeit klebte an seinen Handschuhen. Er spürte keinen Schmerz. Eigentlich spürte er gar nichts, als sei er in Watte gepackt. Die ganze Welt wirkte dunkler, leiser und ruhiger. Obwohl das Jaulen der Sirenen nur von einer lärmenden Durchsage unterbrochen wurde. Ihm fiel es schwer, die Worte zu verstehen. Schock. Er stand unter Schock.
Der Wissenschaftler kam zurück und stellte fünf Gläser neben ihn. Alle waren mindestens zur Hälfte mit Dreck gefüllt. Glenn blinzelte das Etikett des ihm am nächsten stehenden Glases an: ›Grubenaushub. Chuquicamata Mine. Fundort: Atacama-Wüste; Erde. Historische Datierung: ca. zwanzigstes Jahrhundert‹.
Dreck von der Erde? Wer zum Allwal machte sich die Mühe, Dreck von der Erde nicht nur ins All, sondern weit hinaus in die Außenbereiche des Sonnensystems zu befördern und dann in Gläsern auf einem Asteroiden einzulagern? Das ergab überhaupt keinen Sinn.
Er las das nächste Etikett: ›Vulkangestein. Fundort: Neapel; Erde. Historische Datierung: ca. erstes Jahrhundert‹.
Vielleicht funktionierte sein Gehirn aufgrund des Blutverlustes nicht mehr richtig. Er kniff die Augen zusammen und entzifferte die Beschriftung einer der kleinen Kisten in der Ecke.
›Wrackteile, Außenhülle einer Raumstation. Fundort: Trümmerfeld Adlivun 34B; historische Datierung: keine.‹
Die lagerten hier anscheinend nicht nur Dreck von der Erde, sondern auch Metallschrott aus Trümmerfeldern ein. Wieso gab Lehrsinn-Bode Geld für so was aus? Ihm fiel keinerlei gewinnbringende Unternehmung ein, die auf diesen Zutaten fußte.
Er wechselte einen Blick mit Tian, der beladen mit Raumanzügen und vom Arm baumelnden Helmen zurückkam. Der Mechaniker wirkte im Angesicht der Gläser voll Müll und Schmutz genauso verwirrt.
»Was soll das werden, wenn’s fertig ist?«, fragte Tian. Anscheinend war er so verdattert, dass er vergaß, wütend zu sein.
»Die müssen mit«, sagte der Wissenschaftler und kam mit einem weiteren Glas voller Scherben an.
Die Sirenen hörten für einen Moment auf, zu blöken. Kurz darauf meldete sich eine Frauenstimme. »Achtung – wichtige Durchsage der Stationssicherheit. Die gesamte Station inklusive aller Labors und Habitate wird mit sofortiger Wirkung abgeriegelt. Bitte warten Sie an Ihrem Platz, bis die Station wieder freigegeben wird. Bei dringenden Notfällen melden Sie sich bitte bei Ihrem Vorsteher. Es wurden Eindringlinge in der Station festgestellt. Bitte melden Sie unbefugte Personen Ihrem Vorsteher. Sicherheitsmannschaft 3 bitte zur Schleuse 1A. Eine unidentifizierte Raumfähre wurde etwa dreihundert Meter östlich der Schleuse 1A entdeckt.«
Dreihundert Meter östlich? Glenn fröstelte und Magensäure stieg in seinem Rachen auf. »Unser Dingi!«
»Was ist ein Dingi?«, fragte der Wissenschaftler.
»Unser Beiboot. Damit sind wir von der Sonnenwind hergeflogen«, erklärte Glenn.
»Wir müssen los«, rief Tian und begann Glenn in die Hosen eines Raumanzugs zu helfen. Er zog den neuen Anzug über den alten an. »Sofort.«
»Das bringt nichts.« Kroll sammelte hastig die Gläser ein. »Die sind vor uns an der Schleuse. Und die Ausgänge sind auch alle verriegelt. Mein Ausweis wird uns nicht mehr helfen. Vermutlich stehen die bereits vor der Tür.«
»Ich dachte, wir haben noch eine halbe Stunde Zeit«, sagte Glenn. Vor der Tür wurden Stimmen laut. Er drehte den Kopf zum Eingang. Die Bewegung brachte die Welt kurz ins Wanken. »Der Sicherheitsdienst schießt uns hier gleich zusammen.«
»Zum Allwal mit denen.« Tian sprang in einen blitzsauberen Kongloanzug und half Glenn, seinen Helm anzulegen. »Wir sprengen uns hier raus, Käpt’n.«
Die Schritte der Sicherheitsleute kamen vor der Tür zum Halten. Glenn versuchte, aufzustehen. Doch sein Bein gehorchte nicht. Tian reichte ihm eine helfende Hand.
»In welcher Richtung liegt der Hangar?«, fragte Glenn den Wissenschaftler. Kroll versuchte, mit dem Kinn eines der Gläser so zu fixieren, dass es ihm nicht runterfiel.
»In welcher Richtung liegt der Hangar?«, wiederholte Glenn seine Frage mit Nachdruck und nahm ihm das überzählige Glas ab, bevor es wirklich fiel.
»Etwa hundert Meter da hinten.« Der Wissenschaftler deutete mit dem jetzt freien Kinn zu einer Seite des Lagerraums. »Aber wir kommen nicht an ihnen vorbei in den Flur. Sie sind hier. Sie werden uns finden. Ich muss hier raus.«
»Was liegt zwischen dem Lager und dem Hangar?« Er steckte das Glas in seinen Rucksack.
»Die Gewächshäuser.«
»Gut. Da gehen wir durch«, entschied Glenn. »Tian, ich glaube nicht, dass ich schnell laufen kann.«
»Ich glaube nicht, dass du noch wach bist, wenn wir am Hangar sind«, erklärte Tian und rannte mit Glenn im Arm zur anderen Tür. Mit jedem Schritt legte er mehrere Meter zurück. Vorbei an weiteren Gläsern voller Dreck. Der Wissenschaftler hielt seine eigenen an die Brust gepresst wie kleine Kinder. Hinter ihnen öffnete sich die Tür zum Lager. Die Stimmen der Wachmänner und das Surren der Drohnen drangen zu ihnen herüber.
Tian heftete eine kleine Sprengladung an die Rückwand des Lagers und zündete sie. Ein kurzes Aufblitzen blendete Glenn und öffnete einen Durchgang, durch den die feuchte Hitze der Gewächshäuser strömte. Sein Visier beschlug und dimmte das Licht der Kunstsonnen, das durch das Loch fiel. Dahinter wuchsen hydroponische Kulturen auf sechs Etagen. Hellgrüne Blätter ragten aus schwarzen Gefäßen, die in langen Reihen standen.
Tian hielt nicht an, um die Umgebung zu bestaunen. Er zog Glenn im Laufschritt vorbei. Mit seinem Blut floh auch die Wärme aus Glenns Körper. Sein Bein verweigerte den Gehorsam.
Hinter ihnen erklangen das Trampeln von Magnetstiefeln und aufgeregtes Rufen. Die Sicherheit hatte das Loch in der Wand gefunden. Er sah sich nicht um. Seine Füße schliffen nutzlos über den Boden.
»Sie haben uns gleich«, rief der Wissenschaftler. Die Gläser mit Dreck und Scherben hielt er fest umklammert. Glenn starrte ihn verständnislos an. Wieso ließ der den Dreck nicht fallen?
»Allerdings«, sagte Tian und nahm Glenn auf den Arm, um schneller fortzukommen. Dank der geringen Schwerkraft stellte das den Mechaniker vor keinerlei Probleme. »Ist das der Ausgang zum Hangar?«
Etwa zwanzig Meter vor ihnen öffnete sich eine Tür.
»Rauchbombe rechte Tasche!«, rief Tian. Glenn langte in die Rucksacktasche und erfühlte das runde Metallbehältnis. Er warf es in die Truppe aus Wachmännern, die in das Gewächshaus drängten. Dichte Rauchschwaden umhüllten alles und jeden im Umkreis von zwanzig Metern. Die Wachmänner, die keine Anzüge trugen, husteten und keuchten. Irgendwo fielen Körper dumpf auf den Metallboden.
Der Schatten einer Drohne tauchte aus den Rauchschwaden im Raum auf und Glenn fischte ohne Aufforderung den Störsender aus Tians Rucksack. Er startete ihn, bevor er ihn auf den Boden fallen ließ, um der Metallbüchse keine Gelegenheit zu geben, das Gerät zu zerstören. Hoffentlich waren das die letzten Schrotthaufen, die sie ausschalten mussten.
Die Drohne fiel mit lautem Scheppern zu Boden. Das Licht flackerte. Irgendwo im Rauch raschelte es. Jemand stand auf.
Kalter Speichel sammelte sich in Glenns Mund. Das lag nicht an der ungewohnten Schwerkraft. Es fühlte sich an, als ströme Eiswasser statt Blut durch seinen Körper. Der Blutverlust drohte, ihn außer Gefecht zu setzen.
»Wir haben euer Dingi gefunden«, rief jemand aus dem verrauchten Gewächshaus. »Ihr kommt hier nicht mehr weg. Ergebt euch.«
Für wie dumm hielten diese Konglos sie? Die ließen niemanden aus einer Geheimanlage spazieren,