Название | Carl Schmitts Gegenrevolution |
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Автор произведения | Reinhard Mehring |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863935771 |
In seinen grundlegenden Schriften Politische Theologie und Der Begriff des Politischen führte Schmitt sehr drastisch aus, was er über diesen politischen „Willen“ dachte. Entscheidungen formieren sich in Unterscheidungen:
„Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ „Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist […] Den existentiellen Konfliktfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wir, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.“ (BP 26f)
Schmitt entwickelte aus diesem Ansatz eine Programmschrift zur Mobilisierung des nationalistischen Kampfes gegen die Versailler Friedensordnung, den Genfer Völkerbund und den Weimarer Liberalismus und Parlamentarismus. Seine Schrift Der Begriff des Politischen, 1927, 1932, 1933 und 1963 in verschiedenen Fassungen erschienen, wirkt bis heute als Kampfschrift der „Neuen Rechten“. Die Rede vom „existentiellen“ Willen, von Seins- und Lebensformen, demokratischer „Homogenität“ und Gleichheit im Kampf gegen Feinde, der Ton nationalistischer Xenophobie und ethnischen Homogenitätswahns spricht heute noch manchen an. Schmitt malte und buchstabierte ihn im Nationalsozialismus auch aggressiv antisemitisch, rassistisch, revanchistisch und imperialistisch aus. Alle illiberalen und diskriminierenden Töne, aber auch manche Gegenstimmen finden sich in seinem polysemen und kakophonen Werk. Im Februar 1956 notierte Schmitt dazu in sein Tagebuch:
„Modernes Gespräch: Wieviele Sprachen sprechen Sie eigentlich? Zwei tote Sprachen, Griechisch und Latein kann ich gut lesen; ich spreche leidlich 5 nationale, d.h. halbtote Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch; und beherrsche mindestens sieben lebendige, d.h. ideologische, wirksame, d.h. internationale Sprachen, nämlich humanistisch, liberaldemokratisch, faschistisch, marxistisch, römisch=katholisch christlich=evangelisch, ferner: positivistisch und hegelianisch. Macht also zusammen 14 Sprachen, deren Vokabulaire, Grammatik und Syntax mein Gehirn präsent haben muss. Sonst wäre ich nämlich schon längst ein- und untergebuttert. So aber lebe ich noch und genieße der Freiheit meines Geistes.“ (GL 341)
Schon früh verknüpfte Schmitt Macht und Recht systematisch miteinander. Seine Politische Theologie bindet das Recht der Macht an eine politische Ordnungsleistung. Nicht jede Macht ist im Recht, sondern nur diejenige, die eine effektive Ordnung stiftet. Der bekannte Schlüsselsatz der Schrift lautet hier: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Es heißt dort auch:
„Die Ordnung muß hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muß eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zustand wirklich herrscht. Alles Recht ist ‚Situations-recht‘. Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, das also richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist“. (PT 20)
Unter Berufung auf Thomas Hobbes spricht Schmitt von einem notwendigen Zusammenhang oder Konnex des juristischen Entscheidungsdenkens: des sog. „Dezisionismus“, mit einem „Personalismus“, und er betont, dass die personalistischen Voraussetzungen des Entscheidungsdenkens eigentlich nur in einem „theistischen“ Weltbild gesichert sei. Nur hier werde der Mensch als metaphysisches Wesen souverän über die Natur erhoben. Schmitt schmückte seinen Sprung in die Metaphysik normativ „aus dem Nichts“ geborener Entscheidung mit Berufungen auf Kierkegaard, Sorel und eine „Philosophie konkreten Lebens“. So schreibt er: „In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.“ (PT 22) „Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes“ (PB 200), schreibt er 1934. Schon 1923 beruft er sich auch auf Mussolini und die „schöpferische“ Aktion und Gewalt.
Schon damals gerät sein Werk auf die abschüssige Bahn der „Gegenrevolution“: Schmitt konstruiert einen Kampf zwischen „Autorität“ und „Anarchie“, „theistischem“ und „materialistischem“ Weltbild, und er setzt die personale Herrschaft und Entscheidung gegen ein Zerrbild vom liberalen und positivistischen Gesetzesdenken, das die Herrschaft des Rechts als Zwang einer juristischen Subsumptionslogik auslegt. Schmitt tritt mit seiner Souveränitätslehre 1922 schon in eine erbitterte Gegnerschaft zur „Reinen Rechtslehre“ Hans Kelsens und entblödet, schämt oder scheut sich nach 1933 nicht, Kelsens Gesetzesdenken als „jüdischen Geist“ zu denunzieren. Immer wieder betonte er nach 1933, dass sein „Dezisionismus“ eigentlich ein „konkretes Ordnungsdenken“ sei; seine starke These, dass souveräne Entscheidungen „personalistische“ und „theistische“ Voraussetzungen haben, dass die Freiheit des Menschen religiös und metaphysisch begründet sein muss, warf Schmitt aber in den Auslegungspfad der Führerideologie und des Mythos. Seine „Philosophie konkreten Lebens“ oszilliert zwischen einem theistischen und einem existentialistischen Credo. Eine konsistente philosophische Systematik findet sich im Werk nicht. Nach seiner Kritik am „bürokratischen Funktionsmodus“ des Gesetzesdenkens wurde Schmitt auch zum Apologeten der „unmittelbaren Gerechtigkeit“ des nationalsozialistischen „Führerstaates“, für den er dekretierte: „Gesetz ist Wille und Plan des Führers.“ Erst spät realisierte er, dass Hitler einen terroristischen Leviathan schuf. Verklärte er Hitler 1934 noch zum souveränen Diktator und Richterkönig im Ausnahmezustand, so notierte er 1948 in sein Tagebuch:
„Was ist seit 1918 in Deutschland geschehen? Aus dem Dunkel des sozialen, moralischen und intellektuellen Nichts, aus dem reinen Lumpenproletariat, aus dem Asyl der obdachlosen Nichtbildung stieg ein bisher völlig leeres unbekanntes Individuum auf und sog sich voll mit den Worten und Affekten des damaligen gebildeten Deutschland.“ (GL 112) „Nun hatte man den Ernstnehmer, den Ernstmacher, einen nichts als Realisator, einen nichts als Durchführer und Vollstrecker, den reinen Vollstrecker der bisher so reinen Ideen, den reinen Schergen.“ (GL 113) „Die Idee bemächtigt sich eines Individuums und tritt dadurch immer als fremder Gast in die Erscheinung. Der fremde Gast war Adolf. Er war fremd bis zur Karikatur. Fremd gerade durch die aseptischleere Reinheit seiner Ideen von Führer, Charisma, Genie und Rasse. Er war ein voraussetzungsloser Vollstrecker.“ (GL 114)
Schmitt möchte hier verstehen, weshalb Deutschland auf Hitler hereinfiel. Der souveräne und „charismatische“ Führer erscheint ihm plötzlich nur noch als Projektionsfläche und Phantom diverser Zuschreibungen. So merkwürdig und fragwürdig solche Überlegungen auch sind, formulieren sie doch auch eine Kapitulationserklärung der eigenen personalistischen Führersehnsucht: Die Flucht aus der Norm in die Entscheidung, der Abbau liberaler Verfahren und Machtkontrollen übereignete das Recht der Willkür und Tyrannei. Viele einstige Weggefährten brachen mit Schmitt und beschrieben seine „zynische“ und „dämonische“ Gestalt teils atemberaubend negativ. Moritz Bonn, ein einstiger Förderer, meinte: „Wie alle schwachen Geister lechzte er nach der befreienden Tat; ob Tat oder Untat, war ihm schließlich einerlei“.15 Karl Löwith kritisierte Schmitts „Dezisionismus“ 1935 als politischen Opportunismus16 und zielte damit auch gegen den philosophischen Existentialismus seines akademischen Lehrers Heidegger. Für das nihilistische Pathos bloßer „dezisionistischer“ Entschlossenheit erinnerte er an einen Freiburger Witz: „Ich bin entschlossen, nur weiß ich nicht wozu.“17 Schmitts politischer Theorie und Verfassungslehre wurde immer wieder vorgeworfen, dass sie die Staatszwecke nicht positiv formulierte. Max Weber hatte einst gehofft, dass