Название | Els |
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Автор произведения | Christine Fischer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858826497 |
den Kopf ausbläst.
Ich fürchte mich.
Sei unbesorgt. Meine Mutter hat mich
im Schwitzhaus geboren.
Nicht Sauna gemacht, gebadet hat Els, die halbe Nacht lang. In Annes dreissig Liter Trinkwasser gesetzt hat sie sich, mit den Essenzen von Haarshampoo, schlechtem Gewissen und Übermut. Sie hat den Flickenteppich zusammengerollt, die noch leere Sammelbox für nicht brennbaren Abfall im Vorraum aus der Halterung gelöst und sich, eingeklemmt zwischen Küchenkasten und Tisch, in der hellen Mittsommernacht ein Bad gegönnt. Auf allen drei Gasherden, die in der Hütte zur Verfügung stehen, hat sie grosse Töpfe mit Trinkwasser aufgesetzt, hat es im Bottich mit Kaltwasser gemischt und sich hineingehockt, keusch und entschlossen, zusammengekrümmt wie ein Wichtelkind. So klein und schmächtig Els’ Körper auch ist, er füllte die Wanne leidlich aus, und bei jeder Bewegung schwappte Wasser über. Doch Els liess sich nicht beirren. Sie blieb sitzen, goss aus den Töpfen, die sie in Griffnähe um ihre Wanne herum postiert hatte, immer wieder heisses Wasser nach, spürte, wie die Wärme ihre Poren öffnete und sie verwandelte, in eine Jüngere, eine Schönere, eine Andere. Annewasser. Der Nachthimmel durchs Hüttenfenster war bald düster verhangen, bald ein Lichterfest von Lila, Gold und Glutrot gewesen. In der Wollust des Vergeudens konnte Els bald nicht mehr unterscheiden, war es salzig oder schweissig, was ihr über die Wangen rann und von der Nase troff. Sie war mit sich selbst zu zweit. Nun schämt sie sich.
Energisch stellt Els das Gas ab und reisst das Fenster auf. Es ist halb fünf in der Früh. Jetzt wird nicht mehr in Trinkwasser gebadet und auch kein Badewasser mehr getrunken. Jetzt kehrt die alte Ordnung in die Hütte von Hukejaure zurück. Die nassen Dielen werden trocknen. Es wird keine Spuren mehr geben. Auch die Scham wird irgendwann verschwunden sein. Sie wird versuchen, ein paar Stunden verpassten Nachtschlafs nachzuholen. Gäste werden, wenn überhaupt, erst am Nachmittag auftauchen. Els kennt die Gewohnheiten der Wanderer. Manchmal verachtet sie sie dafür. Sie sind wie Lämmer, wie Kühe. Eigentlich nicht dafür geschaffen, in der grossen Freiheit zu bestehen, die zu dieser rauhen Landschaft gehört. Els mag Rentiere.
Sie schleift den Bottich hinaus auf die Veranda, schüttet das erkaltete Badewasser aus, reibt die Schmutzränder weg und passt die Box wieder in die Halterung im Vorraum ein. Dann legt sie sich ins Bett, halb angezogen oder halb ausgezogen, wer weiss dies schon so genau bei einer alten Frau. Am Morgen muss ich die Uhr aufziehen, denkt Els und grübelt über die Frage nach, ob eine taghelle Nacht, die man nicht schlafend, sondern wachend zugebracht hat, in einen Morgen münden kann und wenn, wo dieses Morgens Anfang wäre und wo sein Ende. Über dieser Frage schläft Els ein, als wäre der Schlaf die Antwort selbst.
Vanille und Erdbeer
Els träumt, und im Traum ist sie in einem anderen Land. Dieses Land ist ein einziger grosser Garten mit Gewächsen, von denen Els nur den Hibiskus kennt und die Bananenstauden. Alles ist grün in diesem Land, grün mit bunten Sprenkeln, selbst die Sonne. Els breitet die Arme aus und rennt auf einem Pfad dahin. Das Grün fängt sie auf, als sie stürzt, und es trägt sie. Aus ihren Händen und Füssen spriessen Wurzelfäden. Einen der Fäden erfasst Els sanft mit den Zähnen. Ihr Mund füllt sich mit einem bitteren Geschmack. Sie erwacht.
Etwas hat sich verändert, das spürt Els ganz deutlich. Sie liegt ruhig da, und plötzlich weiss sie es: Das Ticken der Wanduhr neben der Tür fehlt. Das Pendel ist irgendwann stehengeblieben, während Els schlafend weitergegangen ist. Die Zeit hat mich verlassen, denkt Els. Wenn sie den Kopf dreht, kann sie vom Bett aus zwar das hölzerne Gehäuse sehen, nicht aber das Zifferblatt. Rasch steht sie auf, richtet die Zeiger nach der Armbanduhr und zieht das Uhrwerk auf. Das Ticken setzt ein und füllt den Raum mit seiner monotonen Sprechweise. Els fühlt sich auf der Stelle besser. Ha-llo Ol-sson, ha-llo Ol-sson, sagt Els im Rhythmus des Tickens. Olsson ist der Schriftzug auf dem Zifferblatt. Die Uhr ist ein Ungetüm, viel zu sperrig hängt sie an der Wand von Els’ enger Kammer, wie ein Findling macht sie sich aus in dieser Umgebung, die Unnützes weder kennt noch braucht, am allerwenigsten eine Pendeluhr. Doch sie ist nun einmal da, gehört zwar nicht Els, gehört aber zu Hukejaure, genau wie die Bank draussen an der Westwand und der Bunker auf halbem Weg zur Waschstelle. Sie ist der Pulsschlag der Tage am Rand der Welt. Die Uhr muss ein Erbstück ihres Vorgängers sein, oder des Vorgängers des Vorgängers. Eine Jahrzahl ist ins Holz eingekerbt, und die Kerben sind schwarz nachgedunkelt. Rechts und links der Zahl zwei wie von Kinderhand gezeichnete Sterne. In der nachtlosen Zeit von Mittsommer muten sie fremd an. Vielleicht zeigt die Zahl ein Hochzeitsjahr an oder das Fabrikationsjahr der Uhr. Dann wäre die Uhr gleich alt wie Els’ Mutter, wenn diese noch lebte.
Els denkt, dass sie nicht nur ein, sondern mindestens zwei Leben hat. In ihrem ersten Leben hiess sie Elsbeth und war ein Kind. Els’ Puppen änderten öfters ihre Namen, doch sie selber hiess immer Elsbeth. Den eigenen Namen zu ändern, wäre gefährlich gewesen. Genauso gefährlich, wie sich vorzustellen, man wäre ein Findelkind. Ganz langsam gewöhnte man sich nicht nur an seinen Namen, sondern auch an sich selber. Dazu war die Kindheit wohl gemacht. Auch als Erwachsene fuhr Elsbeth fort, ihren Namen zu tragen und alles, was damit zusammenhing. Doch mit vierzig brach Britt in Elsbeths Leben ein, Britt, die Schwedin, Britt, die Freizügige, Britt mit ihrem Schulterzucken und dem breiten Lachen. Mit Britt begann eine neue Zeitrechnung, und aus Elsbeth wurde Els. Erst schien der neue Name fast zu gross für den mädchenhaft gebliebenen Körper, doch mit der Zeit fühlte er sich gut an, ein Futteral fürs Leben, auch später noch, als Els mit ihrem Namen alleine weiterzog, ohne Britt. Vielleicht wäre schon längst wieder ein neuer Name fällig, denkt Els. Oder ein neues Leben.
Wirst auch du einmal sterben?
Oh ja, natürlich. Aber bis es so weit ist,
dauert es noch eine ganze Weile.
Lange?
Sehr lange.
Wenn du stirbst, werde ich dann auch sterben?
Nein, Kinder überleben ihre Eltern.
Und wenn ich nun nicht überleben möchte?
Es gibt Dinge, die man nicht wählen kann.
Leben gehört dazu.
Neben der Uhr, gleich bei der Tür, hängt ein Spiegel. Wenn Els will, kann sie sich beim Verlassen der Hütte mit einem Blick von sich selber verabschieden. Eines ihrer Ichs, das Wohn-Schlaf-Küchen-Ich, bleibt dann in der Hütte zurück, während sie in ein anderes Ich hineingeht. Ins Ich des Wetterprüfens, des Umherstreifens, ins Ich des Wasserschöpfens und Reparierens, ins Ich der Hüttenwartin und Gastgeberin. In einem Spiegel hat sie diese ausserhäuslichen Ichs allerdings noch nie gesehen, höchstens als verwackeltes Spiegelbild auf der Wasseroberfläche des Hukesees, flüchtig wie ein Windstoss, wie eine Wolke. Das muss reichen. Es kommt Els richtig vor. Mit Widerwillen denkt sie an die vielen Fotos, die von ihr in halb Europa in Alben und auf Computerfestplatten gespeichert sein müssen. Els hasst es, Motiv zu sein. Wenn sie die Macht hätte, würde sie mit einem Zauber alle diese Bilder löschen, als Hackerin in eigener Sache. Leute mit Kameras sind Diebe, hatte sie bei Klement geschimpft. In den Fotos, die sie nach Hause tragen, bauen sie an ihrem Selbstbildnis wie die Ameisen an ihrem Ameisenberg.
Vor vierzehn Jahren, am ersten Morgen ihres ersten Sommers auf Hukejaure, stellte Els fest, dass sie den Spiegel ein ganzes Stück tiefer hängen musste, da sie sonst bloss ihren Schopf darin sehen konnte, ihr struppiges, dichtes Haar, damals noch eher hellbraun als grau, von Arcos Fell kaum zu unterscheiden. Mittlerweile trägt Els den Pelz eines Grauwolfs, und ihre Augen haben das grüne Glimmen abgelegt, sind müde geworden und tränen am Abend. Wie der Fels vor der Hütte mit Flechten, ist ihre Gesichtshaut von einem feinen Haarfilm überzogen, vielleicht, um die dünne Haut des Alters gegen die Zumutungen von Wind und Wetter zu schützen. Ihre Nase, schon immer gerade und fein geformt, ist noch schmaler und schärfer geworden, ihr kleiner Mund droht einzufallen. Was Els noch nie an sich bemerkt hat, so alt sie auch geworden ist: dass sich die Lippen in regelmässigen Abständen vorstülpen und zurückziehen, einer Seeforelle nicht unähnlich. Es sieht aus, als wolle sie sich ein Lachen verkneifen. Oder verhindern, dass ihr eine spöttische Bemerkung entschlüpft.
Der